#artbookfriday: DABEI – viele tage lang buch
Künstlerbücher sind nicht das populärste Kunstgenre, aber eines, bei dem häufiger ein zweiter Blick gewagt werden sollte. Ungewöhnlich oder ungewohnt ist es schon, dass man ihnen weniger im Ausstellungskontext als im privaten Umfeld begegnet und sie oft viel persönlicher als andere Kunstgattungen erscheinen.
So kommt auch „DABEI – viele tage lang buch“ von Suse Wiegand erst einmal äußerlich betrachtet nicht als ein typisches Künstlerbuch daher: Eine Fotografie eines Objektes ist zentral auf dem farbenfrohen Cover des umfangreichen Buches eingebunden, ebenso wie dessen Titel. Was sehr viel dezenter erscheint, aber mehr über das Werk als solches verrät, ist der E-Mailkopf am oberen Rand, der Betreff, Absender, Datum sowie den Adressaten benennt oder auch offen lässt.
Dadurch wird der Leser, der bei diesem Buch vielmehr als Betrachter fungiert, schon auf das folgende Werk als eine Konservierung eines per E-Mail stattfindenden Kunstprojektes, eingestimmt. Die Ästhetik verkommt hier also nicht zu einem Selbstzweck, sondern gibt den Inhalt und die Idee des Projektes von Suse Wiegand wieder: Ein Jahr lang verschickte sie täglich ein Bild gemeinsam mit einem in Worte gefassten Gedanken. Ein Frank Schwertfeger empfing und konservierte diese.
Im Fokus der Arbeiten von Suse Wiegand steht stets das Ding in all seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen. Wen wundert es da, dass diese auch im Zentrum von „DABEI – viele Tage lang Buch“ stehen. Doch an Stelle von klassischen Objektfotografien, wie sie uns alle aus Ausstellungskatalogen und ähnlichen Publikationen geläufig sind, wartet dieses Künstlerbuch mit viel mehr Persönlichkeit auf. Es zeigt nicht nur die Arbeitsweise der Künstlerin und ihre persönlichen Impulse, sondern auch, dass Kunst den Dialog braucht. Außerdem wird erahnbar gemacht, was bei der Kunstbetrachtung geschehen und wie sich das Werk dadurch verändern kann. So ersetzen an einigen Tagen Anmerkungen und Assoziationen anderer AutorInnen und KünstlerInnen die ursprünglichen von Suse Wiegand. Das Buch zeigt auch, dass KünstlerInnen immer Teil einer Gemeinschaft sind und sich Kunst durch diese und in der Betrachtung verändert.
Der Stil dieser kurzen, formlosen Kommentare oder Aktualisierungen zeigt, was passiert, wenn man über Kunst spricht: Denn zu allererst gibt es kurze und unverfälschte Assoziationen, Vergleiche und Gedanken, bevor es dann irgendwann zu wohlformulierten, mit zahlreichen Fachworten gespickten Besprechungen der Werke kommt. Und auch kann man sich vorstellen, dass derartige Gespräche zwischen KünstlerInnen den Prozess des Schaffens beeinflussen und verändern und schließlich zu neuen Ideen und Ansätzen führen. Durch die äußerliche Form der E-Mails wird diese Form des Kommentierens und des Gespräches möglich und darüber hinaus auch authentisch.
Jede Doppelseite steht für einen Tag des Jahres, die linke Seite ist für die eventuellen Kommentare reserviert, während die rechte die gesamte E-Mail wieder gibt. So begegnet dem Betrachter Kunst in einem ganz alltäglichen, banalen Kontext. Auch Suse Wiegand selbst schreibt im Epilog ihres Buches, dass diese Lösung vom Original des jeweiligen Dings durch die Fotografie und das Kommentieren innerhalb einer E-Mail – die unverbindlicher als das geschriebene und gesprochene Wort erscheint – befreiend auf das künstlerische Denken und Schaffen gewirkt habe.
Tage, an denen keine Auseinandersetzung mit Dingen stattgefunden hat, sind mit farbigen Seiten und unadressierten E-Mailvorlagen gekennzeichnet.
Das Wunderbare an diesem Buch ist jedoch nicht nur seine ungewöhnliche Erscheinungsweise zwischen unkonventionell und durchstrukturiert, sondern auch, dass es vermag ganz unterschiedliche Aspekte der Kunst miteinander zu verbinden. Es folgt keiner Leserichtung, sondern lässt verschiedene Herangehensweisen zu, es hat kein Anfang und kein Ende, es weist auf neue Sichtweisen hin, es lässt Leerstellen zu, fordert zum Nachdenken auf, es kann Geschichten erzählen, bezieht weitere KünstlerInnen ein und verändert unsere banale und alltägliche Sicht auf die Dinge.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des #artbookfriday entstanden. Dieser wurde von Michelle van der Veen und Wera Wecker von Museumlifestyle ins Leben gerufen.