„…bass erstaunt“: Vier Kontrabassisten und ein Schlagzeuger im Marta-Forum
In der Ausstellung „Der fremde Raum“ wird die eigenwillige Architektur Frank Gehrys durch massive Eingriffe und Umbauten der KünstlerInnen auf energetischer wie poetischer Weise erlebbar.
Doch nicht nur in den Gehry-Galerien, auch das Marta-Forum mit seinen fließenden Formen wurde zum Ort eines außergewöhnlichen Raum- und Hörerlebnisses: Das Kontrabassensemble der Nordwestdeutschen Philharmonie versetzte bei der vergangenen „Marta philharmonisch“-Veranstaltung (am 13.11.2016) Saal und Publikum in Schwingung.
Kontrabass als Soloinstrument
Visuell bot sich schon kurz vor Konzertbeginn auf der kurvigen Bühne des Veranstaltungsraums ein eindrucksvolles Bild: Ich war gespannt, was von diesen sieben mächtig wirkenden Kontrabässen, alle in unterschiedlichen Brauntönen und elegant glänzend, nebst Schlagzeug zu erwarten war. Denn ein Programm allein mit Kontrabassisten (teilweise in Begleitung eines Schlagzeugers) ist durchaus ungewöhnlich. Aber genau das ist es, was die Konzerte von „Marta philharmonisch“, der Reihe mit Musik und Kunst in Kooperation von der Nordwestdeutschen Philharmonie und Marta Herford, ja ausmacht. Der Kontrabass ist nämlich eigentlich ein Instrument, „welches selten solistisch hervortritt und einen festen Platz in nahezu jeder musikalischen Stilrichtung hat“, wie mir die vier Kontrabassisten der NWD – Théophile Bonhert, Gerhard Christ, Andreas Jung und Oleg Moznaim – zwei Tage zuvor bei der Generalprobe im Marta erläutert hatten. Mich interessierte auch, wie sie ihre „Rolle“ im Orchester sehen: „Wir Kontrabassisten sind das musikalische, harmonische und rhythmische Fundament und müssen sehr flexibel sein, müssen sehr gut reagieren können.“
Zwischen Barock und Heavy Metal
Die Idee, ein Konzert „nur“ mit Kontrabässen als Soloinstrumenten zu geben, hatte daher zuallererst wohl etwas für Verwirrung unter ihnen gesorgt, wie die Musiker schilderten. Zugleich hatten sie es aber auch als besondere Herausforderung gesehen, dieses Instrument in all seiner Vielseitigkeit einmal in den Vordergrund zu stellen. Mit allen gemeinsam ein Programm zu entwickeln, erschien ihnen zunächst als nicht so einfache Aufgabe. Einerseits wegen der wenig vorhandenen Originalliteratur für Kontrabassquartett (seit dem 19. Jh.), andererseits auch, weil sie selbst alle Individualisten seien: „Einer stellte sich nur Bach-Stücke vor, einer hatte ein experimentelles Programm ganz ohne Struktur vor Augen, und einer hauptsächlich Stücke mit humorvollem Charakter“. Letztendlich war eine Mischung aus all dem entstanden, ein Programm „zwischen Barock und Heavy Metal“, wofür sie Bearbeitungen gewählt hatten, „vom verletzlichsten weltabgewandten Gesang über die Ordnung Bach‘scher Kompositionen bis hin zu experimentellen Klangräumen“, sogar eigene Kompositionen waren darunter.
Bassklänge in Gehrys Architektur
Das Marta-Forum scheint im Übrigen der perfekte Ort für ein Kontrabasskonzert zu sein. Die Musiker hatten nämlich begeistert die besonders „bassfreundliche Akustik“ gelobt, „es wäre nicht zu trocken, so dass man dagegen anspielen müsste, sondern man würde jeden kleinsten Ton hören“. – Was ich interessant fand vor dem Hintergrund, dass andere Musiker oder Sänger das Marta-Forum mit seiner ganz eigenen Akustik, die manche Töne von der Bühne recht überraschend und mit Verzögerung bis in die hintersten Ecken des Raumes trägt, als „speziell“ empfinden, und sich dann damit auseinandersetzen (müssen) oder musikalisch auch ausdrücklich damit arbeiten wollen.
Als das Konzert begann, wurde die eindrückliche stilllebenähnliche Szene der Kontrabässe auf der Bühne mit Leben und das Marta-Forum mit Musik gefüllt: Die Musiker begeisterten ihr Publikum mit düsteren, schweren Klängen, eindringlichen wie auch zarten, wehmütigen Tönen, gestrichen und gezupft. Auch Sphärisch-Experimentelles durchströmte den Raum, als zusätzlich Didgeridoo und Handpan (ein Blechklanginstrument, gespielt vom Schlagzeuger Alfonso Ribeiro) zum Einsatz kamen. Nach sogar rockigen Klängen gab kurz vor Schluss Ravels „Bolero“ Anlass zum Schmunzeln. Diesen inszenierten die vier Musiker humorvoll an einem (!) Kontrabass und gaben dabei ein einzigartiges Bild ab: im Verlauf des Stückes „bemühte“ sich jeder, einen Platz am Instrument zu „ergattern“, das schließlich mit vier Bögen durch vier Musiker gleichzeitig gestrichen wurde.
Ein „plumpes“ Instrument?
Dass sie den Humor nicht zu kurz kommen lassen wollten, vermittelten auch die Zitate aus dem bekannten Theaterstück „Der Kontrabass“ (1981) von Patrick Süskind, die sich wie ein roter Faden durch das Programm zogen. Der Einakter zeichnet das Porträt eines Kontrabassisten, der anfangs voller Lobreden auf sein Instrument ist, aber in zunehmender Verbitterung seine Abscheu nicht nur auf den Kontrabass zum Ausdruck bringt.
Was die vier NWD-Musiker wohl von Süskinds Ein-Mann-Stück hielten, in dem sich Sätze wie dieser finden? „Der Kontrabass ist das scheußlichste, plumpeste, uneleganteste Instrument, das je erfunden wurde. Ein Waldschrat von Instrument.“ Bei der Probe hatten sie mir dazu entgegnet, dass darin durchaus etwas Authentisches stecken würde, dass man dies aber heute differenzierter betrachten müsste. „In den letzten zwanzig Jahren hat sich das Niveau des Kontrabassspiels sehr stark entwickelt, so dass der Kontrabass heutzutage viel mehr als vollwertiges solistisches Instrument verstanden wird. Heute sind Solokontrabassisten anerkannte Virtuosen, im Vergleich zu früher, als diese eher belächelt wurden.“
Die Musiker berichteten mir, dass ihre Begeisterung für dieses „große, schwere Instrument“ hauptsächlich von dessen erstaunlicher Vielfältigkeit abhänge, nicht nur, was verschiedene Musikstile und unterschiedliche Epochen angeht, sondern auch, dass „der „melodiöse Charakter der Ober- und Mittelstimmen ungewohnte Herausforderungen und Entfaltungsmöglichkeiten bietet“ – wie es auch bei diesem Konzert im ausverkauften Saal zu erleben war. Die Musiker dankten dem enthusiastisch applaudierenden Publikum schließlich noch mit dem Stück „Fever“ als Zugabe. Mit diesen Musikeindrücken im Ohr konnten die Besucher anschließend in Kurzführungen durch die Ausstellung „Der fremde Raum“ wandeln und die dortigen künstlerischen Raumeingriffe, wuchernde, explosionsartige wie auch zeichnerische Formen, auf sich wirken lassen.