Homo Imagines II – Das Zeitalter der Bilder Teil 2
Digitale Bilderflut – unkontrolliertes Risiko oder bahnbrechende Möglichkeit?
Instagram hat mehr als 400 Millionen aktive NutzerInnen – 9 Millionen alleine in Deutschland. Facebook verbindet mittlerweile mehr als 1,5 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt. Täglich werden dort Millionen Fotos und Videos hochgeladen und auch kommerzielle Anbieter nutzen die Plattformen längst für zielgruppenspezifische Werbemaßnahmen. Woher diese Bilder stammen und welchen Nutzen sie verfolgen, wird dabei immer undurchschaubarer.
Heute tritt Werbung gerade in den sozialen Medien weit weniger aggressiv „werbend“ auf als noch vor einigen Jahren. Dadurch kann sie sich unbewusst in unser Blickfeld schleichen. Es kommt zudem zu einer Vermischung von Inhalten, nicht zuletzt dadurch, dass z.B. Künstler für große Werbekampagne angeheuert werden und die Resultate keiner klassischen Werbeästhetik mehr folgen. Juergen Tellers Visuals für Adidas könnten auch als Ausstellungsprojekt im öffentlichen Raum durchgehen. Oft erkennt man Werbung erst auf den dritten oder vierten Blick. Deshalb braucht es neue Strategien, mit dem Anstieg an Inhalten, der verringerten Halbwertszeit von Medien und dem Gleichgewicht von Erinnern und Vergessen umzugehen, wie Ellen Euler zurecht feststellt.
Digitale Sammlung Marta – unkontrollierbares Risiko oder bahnbrechende Möglichkeit?
Der erste Zugang zu Kulturinstitutionen wird heute über das Internet gesucht. Dort informiert man sich über die aktuellen Ausstellungen ebenso wie über Sammlungsschwerpunkte und Veranstaltungen. Unsere Homepage vermittelt ebenfalls einen Überblick über das, was gerade bei uns los ist, allerdings fehlt eine digitale Sammlungspräsentation mit frei zugänglichem Bildmaterial der Werke.
Die Digitalisierung der Sammlung Marta würde uns als Museum die Chance bieten – ohne räumliche Begrenzung und konservatorische Bedenken – alle Bestände „auszustellen“, die derzeit im Depot lagern. Einzelne Werke werden zwar immer wieder in Rahmen von Ausstellungen gezeigt, oder reisen als Leihgabe um die Welt, abgesehen davon aber ist unsere Sammlung derzeit für ein breites Publikum nicht zugänglich. Ein ähnliches Bild bietet sich vermutlich in vielen deutschen Museen. Vor einigen Jahren bereits sind die ersten digitalen Sammlungen online gegangen, die eben genau diese Lücke schließen wollen. Doch für welchen Anwender digitale Sammlungen konzipiert werden und wie sie sinnvoll genutzt werden, sind Fragen, die immer wieder neu verhandelt werden müssen.
Eine digitale Sammlung hat für mich persönlich weit mehr inhaltlichen Nutzen als Highlights der Museen wie „Besucherfänger“ hochauflösend zu präsentieren. Vor allem die Kontextualisierung halte ich für entscheidend: Zu welcher Sammlung gehören die Werke? Was sehe ich da?, sind nur zwei Beispiele für Fragen, die sich im Zuge einer solchen Präsentation stellen und nicht mehr von persönlichen Vermittlungsmaßnahmen geklärt werden können. Damit Online-Sammlungen keine leeren Bilddatenbanken werden, deren Inhalte einfach nur millionenfach geteilt werden, wünsche ich mir Plattformen, die mit mir als virtuelle Besucherin in einen Dialog treten.
Liken, teilen und kommentieren sind Interaktionen, die ich mir neben der Funktion der Bereitstellung des hochauflösenden Bildmaterials auch für unsere digitale Sammlung wünsche. NutzerInnen können so herausfinden, woher Abbildungen stammen und wo sie mehr Infos über das Original erfragen können. Weiterführende Erklärungen, eine Einordnung in einen Werkkomplex und rein digitale Ausstellungsprojekte sind Dinge, die ich mir in Zukunft vorstellen kann, auch hier im Marta. Dann kann mit den digitalen Sammlungen auch gearbeitet werden, z.B. im Rahmen von Studienarbeiten. Kuratieren kann mit „sich kümmern, sorgen“ übersetzt werden und genau das sollten sich Kulturinstitutionen auch für ihre digitale Präsentation auf die Fahne schreiben!
Klasse statt Masse
Zwei Projekte machen dabei vor, wie digitale Sammlungen auf BesucherInnen zugehen können. Die größte europäische Online-Bibliothek Europeana.eu will kulturelles Erbe zugänglich machen und verfügt mittlerweile über ein riesiges Bildarchiv, zu dem auch zahlreiche Museen beitragen. Dort finden AnwenderInnen zu jedem hochgeladenen Bild neben inhaltlichen Infos auch Hinweise zu dessen Herkunft. Gezielt werden Angebote gemacht, sich mit Teilen der unüberschaubaren Sammlung zu beschäftigten: Bild- und Informationsmaterial werden z.B. für Themenmonate zusammengestellt. Europeana hat so eine Strategie entwickelt, die immense Menge an Bildern für ihre (didaktische) Zwecke gezielt zu filtern und gleichzeitig eine große Zielgruppe mit einem bestimmten Thema anzusprechen.
Ähnlich kann ich mir das für die digitale Sammlung Marta vorstellen, in der wir auch austellungsbezogene thematische Inhalten liefern könnten, die Hemmschwellen des Museumsbesuchs abbauen. Der digitale Raum und allen voran die sozialen Medien sollten – wie es Europeana in Teilen vormacht – von Museen als Erweiterung begriffen werden, in denen ein enormes Potential schlummert. Gut aufgebaute Online-Sammlungen und thematische Schwerpunkte laden durchaus ein, sich die Originale anzuschauen, zu denen am Bildschirm ein erster Zugang gefunden wurde. Abbildungen können dann auch gerne in den sozialen Netzwerken geteilt werden, wenn klar ist, woher sie stammen und die Möglichkeit besteht, sich näher mit dem Werk auseinander zu setzen.
Das Rijksmuseum wiederum lädt seit drei Jahren dazu ein, sich von der digitalen Sammlung inspirieren zu lassen und mit den hochaufgelösten Reproduktionen zu arbeiten. Die kreativsten Ergebnisse können sich für den Rijksstudio Award bewerben. Herausgekommen sind für den Wettbewerb in diesem Jahr Schlafbrillen, Butterdosen, aber auch eine Tanzperformance und Kondome, die von den Bildvorlagen ausgehen. Ohne die hochauflösenden, freigegebenen Reproduktionen der digitalen Sammlung gibt es nur wenig legale Chancen mit den Originalen zu arbeiten. Auf diesen Umstand macht der illegale Scan der weltberühmten Nofretete im Neuen Museum Berlin aufmerksam.
Um noch einmal auf Benjamin zurückzukommen, der den Verlust der Aura der Kunstwerke analysierte: Ich bin der Überzeugung, dass Kunstwerke von Museen online zur Verfügung gestellt werden sollten, ohne zu befürchten, dass mit ihnen unbedacht umgegangen wird. Wir leben in einem Zeitalter, in dem digitale Bildreproduktionen zum Alltag gehören. In den sozialen Netzwerken findet man längst unzählige Aufnahmen von Werken, die eigentlich nicht fotografiert werden dürfen. Digitale Sammlungen könnten sich mit der Verbreitung von gutem Bildmaterial, mit Herkunftsnachweisen und Infos an dieser Entwicklung beteiligen. Vielleicht entsteht so eine digitale Aura, die sich aus der Interaktion mit den Kunstwerken ergibt, die Benjamin noch gar nicht im Sinn hatte. Liken, teilen, kommentieren und weiterverwenden drückt schließlich ein Interesse an Kunst aus, das den Zeitgeist widerspiegelt.
Hinweis:
Der erste Teil erschien am 23.5.17.
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