Ich komme aus OWL – Fragen an Britta Thie
Heute feiern wir die Premiere unserer neuen Blogkategorie „Ich komme aus OWL“. Diese widmet sich Persönlichkeiten aus der Region Ostwestfalen-Lippe, die mittlerweile an anderen Orten leben und überregionale Bekanntheit erlang haben, aber dennoch weiterhin stark mit der Region verbunden sind.
Um herauszufinden, was sie hier in OWL geprägt hat und wie diese Erfahrungen sie bei ihrem Erfolg unterstützt haben, stellen wir ihnen persönliche Fragen. Als Erstes stand mir Britta Thie, Künstlerin der Ausstellung „OWL4 – Gegenspieler“, Rede und Antwort. Die in Minden geborene Künstlerin ist international sehr gefragt und stellte neben Herford bereits u.a. in New York, Wien, Berlin, Toronto, Frankfurt und Hannover aus. Sie lebt heute in Berlin.
Welchen Einfluss hat Deine Kindheit und Jugend in OWL auf Dein künstlerisches Werk?
Ich habe es schon als Kind sehr geliebt durch das Mindener Glacis zu streifen und mit meinen Freunden TV Serien nachzuspielen. Es war immer richtig abenteuerlich. Oft haben wir draußen „Naturdokumentationen“ nach-inszeniert. Insgesamt hatte ich eine sehr idyllische Kleinstadt-Kindheit, die ich sehr genossen habe. Bis ich zehn Jahre alt war, haben wir in der Mindener Innenstadt gewohnt. Mir war damals gar nicht klar, dass ich in einer kleineren Stadt wohnte oder gar in der „Provinz“ – dieser Begriff hatte gar keine Bedeutung für mich. Vor dem Internet war man sich über Subkulturen in größeren Städten ja noch nicht so bewusst. Und alles, was man als Kind wusste, lernte man im Erdkunde-Unterricht in der Grundschule. Aber ich weiß noch, dass mein Vater im Arbeitszimmer immer MTV schaute, das war in den 90ern als Musikvideos groß waren. Damals war mir schon klar, dass diese in OWL nicht produziert wurden.
Was wäre heute anders, wenn Du nicht in Ostwestfalen aufgewachsen wärst?
Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, dass mich meine Kindheit in OWL insofern geprägt hat, als dass ich diese gewissen ostwestfälische „Bodenständigkeit“ in mir trage, die man vielleicht auch als „Sturheit“ bezeichnen könnte. Sie hat mich aber schon oft gerettet, wenn mir in den Sphären der Großstadt oder auch während meiner Zeit in New York alles zu viel wurde.
Sowohl in New York als auch in Berlin trifft man viele junge professionelle Akteure, die im Kunst- und Kulturbereich tätig sind, die ihre Kindheit schon innerhalb einer Kultur- und Bildungselite verbracht haben und ihr Leben viel stärker an einem ausgeprägten Schichtensystem ausrichten. Die klassische Mittelklasse, wie wir sie in Deutschland haben, gibt es da nicht so sehr, noch weniger ist das z.B. in London der Fall. Wenn man aus OWL kommt, ist es schwer sich vorzustellen, wie es sich anfühlen muss in New York auf der Upper East Side oder in London groß zu werden und schon mit drei Jahren mit den Eltern Bücher zum Expressionismus durchzublättern und mit berühmten Künstlerfreunden der Eltern zu spielen.
Auch empfand ich das Ivy League-Schulsystem als sehr befremdlich. Mir war früher nicht klar, welch große Kluft in Amerika zwischen „Arm“ und „Reich“ herrscht, sowohl in Bezug auf das Bildungssystem als auch in Bezug auf eigentlich alle Bereiche dort. Es ist sehr extrem und man fühlt sich als deutsches Mädchen aus der Provinz manchmal wie ein Alien, das sich mit einer Realität konfrontiert sieht, innerhalb derer sie selbst etwas zu beweisen versucht. Die Kunstwelt, insbesondere die kommerzielle Kunstmarkt- und Galeriewelt, bewegt sich nämlich leider immer noch sehr innerhalb eines kleinen hermetischen Bildungs- und Finanzelitengefüges.
Du bist für ein Stipendium nach New York gegangen. Wenn Du Dich entscheiden müsstest, wo würdest Du lieber für den Rest Deines Lebens leben wollen, in New York oder Minden?
Das ist schwer zu beantworten. Ich liebe New York und wenn es keine finanziellen Parameter gibt, die diese Entscheidung beeinflussen, dann tatsächlich vielleicht New York. Dennoch habe ich meine Heimat sehr ins Herz geschlossen und komme immer gern nach Hause und möchte nicht unbedingt für den Rest meines Lebens zu weit weg von dort verbringen. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dieses Gefühl zu haben von beiden Seiten etwas Inspirierendes mitzunehmen. Als Künstler – oder wie ich lieber auf Englisch sage als „Cultural Producer“ – ist man es gewohnt sich eher als „globaler Nomade“ zu sehen. Reisen ist wichtig für die eigene Praxis und dennoch spüre ich, dass ich ein Mensch bin, der eine Struktur und eine gewisse „Bodenhaftung“ als Ausgleich braucht und deswegen vielleicht auch immer wieder die Nähe zur Heimat sucht. Dafür komme ich gern nach Minden und fahre mit meiner Familie im Mühlankreis Kuchen essen oder schaue abends Kabelfernsehen.
Du lebst heute in Berlin. Wovon könnten sich die Berliner von den Ostwestfalen eine Scheibe abschneiden?
Also die Berliner Schnauze kann manchmal etwas nerven, aber genauso kann die ostwestfälische „trockene Art“ irritierend sein. So lange man aber weiß, dass beide es im Grunde ihres Herzen immer gut meinen, kann ich gar nicht richtig sagen, wer sich von wem eine Scheibe abschneiden soll. Ich mag sie beide mit all ihren Macken.
Hast Du einen (geheimen) Lieblingsort in OWL?
Ich fahre wirklich gern ins Große Torfmoor zwischen Lübbecke und Hille, da gibt es so einen Aussichtsturm aus Holz, von dem aus man auf das Wiehengebirge schauen kann. Dort werde ich immer ein bisschen melancholisch und nostalgisch – aber im besten Sinne. In diesem Moor gibt es ein paar ganz schöne ruhige Orte zwischen Bäumen und weichen Wanderpfaden, die ich sehr inspirierend finde.
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