Kreativität. Zwischen Freiheit und Selbstzwang
„Geld ist gar kein Kapital aber Fähigkeit ist Kapital.“ (Joseph Beuys)
Heute soll, nein heute muss jeder kreativ sein; jeder, der heute arbeitet, kommt ohne Kreativität, sei sie kurzzeitig improvisierend oder dauerhaft in Bearbeitung, nicht mehr aus.[2] Wahr ist auch: Auf Dauer nicht kreativ zu sein, können sich heute immer weniger Arbeitende leisten. Dabei ist Kreativität in hohem Maße ambivalent: entsteht sie einerseits unmittelbar in einem lebendigen Prozess schöpferischen Handelns, kann man andererseits auch Probleme und Leistungen kreativ kontrollieren und managen. Der Frage, die entsteht, kann man nicht ausweichen: Was ist das für eine Gesellschaft, die von immer mehr ihrer Akteure fordert, lebenslang kreativ bleiben zu müssen – und ihnen nicht mehr vermittelt welcher Sinn dabei dauerhaft entsteht?
Gerade Kreative gelten – im Durchschnitt eher unterbezahlt – als Ideengeber einer Gesellschaft, die auf ständiges MEHR, ANDERS und NEU geeicht ist. Doch kann man in diesem von wirtschaftlichen Erwägungen dominierten Umfeld überhaupt noch von einer Freiheit eigener Kreativität sprechen? Wird Kreativität nicht immer schneller unfrei, vom Konkurrenzdruck des Marktes entwertet? Und was ist mit den vielen scheinbar nicht kreativ Tätigen? Haben diese etwa keinen Anspruch auf eigene freie Entfaltung ihrer Fähigkeiten? Wie verändert sich unter diesen verschärften Bedingungen der Sinn unseres „lebendigen Kapitals“?
Arbeit heute: Neben Sinn und Erfolg ist heute vor allem auch Selbstverantwortung und Selbstkontrolle getreten. Man investiert in sich selbst, macht jeweils das Tagesmögliche möglich und trägt eigene Verantwortung für seine Arbeit, seine Zukunft und seine Gesundheit: jeder glaubt an die eigene Fähigkeit selbst noch das für unmöglich Gehaltene nicht zu auszuschließen. Be creative: Marketing heißt heute Produkte inklusive seiner selbst in den Mittelpunkt zu stellen – solange der Glaube an die eigenen Fähigkeiten nicht nachlässt.
Von ästhetischem Kapitalismus spricht der Soziologe Andreas Reckwitz. Etwas kreativ zu übertreiben heißt fest daran zu glauben, dass alles auch einen ideellen, ästhetischen Mehrwert produzieren kann. Neue Ideen, mehr Kunden, andere Formate. Gleichzeitig beklagt die Gesellschaft und die Politik heute zunehmend ihre eigene Ideenlosigkeit während ihre eigenen Erwartungen durch ihre eigenen hohen Ansprüche unterwandert werden. Alles verändert sich in der Gesellschaft so wie sie gleichzeitig immer auch selbstzufrieden bleibt: nach Aussen innovativ und erfolgreich und im Inneren sozial aber nicht unbedingt gerecht, Erfolge werden „Leistungsträgern“ zugerechnet, die Kosten für „Nichterfolge“ wie unbezahlte und unbezahlbare Schulden und andere Negativposten werden auf die anonyme Masse der Steuerzahler ungerecht verteilt.
Wer kein Geld hat, der macht Schulden, wer keine eigenen Ideen hat, der leistet sich Berater oder Gutachten. Trotz aller Visionen und der ständigen Propagierung „neuer Geschäftsfelder“: auf lange Sicht, so kann man übertreibend zusammenfassen, stirbt eine Gesellschaft unter ihrem krampfhaften Zwang zur Kreativität an ihrem eigenen Ideenmangel. Wie anders könnte jedoch ein soziales System handeln, wenn nicht nur der enge Blick auf jeweils Eigenes sondern etwas Unwahrscheinliches und gemeinsam neu Entwickeltes entstehen würde. Und sei es erst einmal nur eine zeitgemäße Bestimmung von Freiheiten, die zu Nichtfreiheiten geworden sind. Freiheit auf postmodern heißt, die paradoxe Zumutung kreativ sein zu müssen, so einzusetzen, dass nichts mehr unverändert bleiben wird. Was könnte es heute bedeuten frei von Kreativitätszwängen zu werden? Was eine Gesellschaft alles könnte, wenn sie frei werden dürfte, ist abhängig von der Entfesselung ihrer gut „Dressierten“ (Peter Sloterdijk).
Bezeichnenderweise herrscht zwischen Kunst und Kreativität eine einseitige Beziehung; über nichts sprechen gerade Künstler so ungern wie über ihre eigene Kreativität. Eine freie Kunst, so die gängige These, habe mit angewandter Kreativität nichts am Hut. Doch ist es nicht längst an der Zeit, diese Ausschließung zu relativieren? Gerade Künstler und ihre Werke verändern unsere Welt-Wahrnehmung und die Art und Weise, wie Begriffe und Formate unser Leben prägen – so eben auch einen so janusköpfigen Begriff wie Kreativität. Kreativ ist nicht Kunst, sondern eine Form ihres jetzt veränderten Zusammenhangs zwischen allen Größen. Oder wie der Soziologe Ulrich Bröckling[3] empfahl: „Man kann nicht nicht kreativ sein aber vielleicht kann man aufhören, allzeit kreativ sein zu wollen.“
[Zitat] Joseph Beuys. Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle. Texte 1941 – 1986. Hg. v. Eva Beuys. München 2000, S. 399.
[2] Vgl. Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Berlin 2012
[3] Ulrich Bröcking, Kreativität. In: Glossar der Gegenwart. Hg. von Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke. Ffm. 2004, S.139 – 145.