Kunst denken: Karl Schawelka über „Grün stört“
Nun beruht das Argument, dass Grün keine Grundfarbe sein könne, da es sich ermischen lässt, auf keiner soliden Grundlage. Nach dieser Logik musste, wie jeder Tintenstrahldrucker erweist, auch Rot zu den Mischfarben zahlen, da es aus dem Übereinanderdrucken von Magenta und Gelb entsteht.
Auch Blau als Mischung von Cyan und Magenta durfte demnach nicht als Grundfarbe anzusehen sein. Überdies erhält man kein wirklich strahlendes Grün, wenn man Blau und Gelb mischt. Das Resultat hängt einmal davon ab, wie transparent respektive deckend die Ausgangsfarben sind, und zum anderen davon wie stark der gewählte Blauton zum Cyanblau tendiert. Seit Helmholtz ist außerdem klar, dass zwischen additiver und subtraktiver Mischung der Farben unterschieden werden muss und die Vorstellungen der Maler allenfalls für die subtraktive Mischung annähernd gelten.
Die hierfür optimalen Farben Gelb, Cyanblau und Magenta unterscheiden sich jedoch nicht unerheblich von Rot, Blau und Gelb, wie sie üblicherweise als Grundfarben angesehen werden. Bei der additiven Mischung, die wir aus unseren Monitoren kennen, ist Grün dagegen (neben Violettblau und einem warmen Rot) entschieden als eine der drei Grundfarben anzusehen.
Nun ist Grün aber während langer Epochen mindestens der westlichen Geschichte als untergeordnet wenn nicht sogar als bedenklich oder trügerisch angesehen worden und die Frage ist, weshalb. Verschiedene Ursachen können angeführt werden. Da wäre einmal die Tatsache, dass es über lange Jahrhunderte nicht gelungen ist, ein leuchtendes, stabiles grünes (unlösliches) Pigment bzw. einen (löslichen) Farbstoff für die Farbetechnik zu finden oder herzustellen. Es gab lediglich grüne Erde, die recht stumpf und von schwacher Leuchtkraft war. Die beste davon, das Veroneser Grün, beruht auf dem Mineral Seladonit das schon im Altertum als grünes Pigment diente. Es war zwar haltbar, aber nicht sonderlich farbrein. Ähnliches gilt für andere Mineralien wie Türkis, der als Pigment jedoch so gut wie keine Rolle spielt oder dem ungesunden Malachit. Auch der Grünspan ist giftig, ebenso das um 1805 entwickelte arsenhaltige Schweinfurter Grün, dem man nachsagt, dass es als Tapetenfarbe Napoleons Tod auf St. Helena beschleunigt habe. Dass ein leuchtendes Grün gern als „Giftgrün“ bezeichnet wird, geht wohl darauf zurück. Erst seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war die chemische Industrie imstande, gesättigte leuchtende und lichtechte grüne Farbstoffe und Pigmente herzustellen, die relativ untoxisch sind. Dieser Mangel an einem reinen Grün, das als (löslicher) Farbstoff oder (unlösliches) Pigment dienen konnte, hat vermutlich dazu beigetragen, es als trügerisch, unzuverlässig wandelbar oder gewöhnlich anzusehen. Anscheinend gilt dies sogar für China, wo die Wendung „einen grünen Hut tragen“ soviel wie „betrogener Ehemann“ bedeutet.
Die Etymologie des Wortes grün bzw. green, groen etc. verweist auf Verben mit der Bedeutung von „wachsen“ oder „sprießen“, während die auf das lateinische viridis zurückgehenden Wörter wie vert, verde ebenfalls auf die Bedeutung „grünen“ bzw. „sprießen“ zurückgehen.
Da Grün in der Natur sozusagen allgegenwärtig ist, liefert es wenig Information. Biologisch wichtige Signale müssen sich von Grün abheben, um gut wahrgenommen zu werden. Die Blüten und Früchte, die von farbtüchtigen Lebewesen wie Insekten, Vögeln oder Primaten aufgesucht werden sollen, sind daher nicht grün. Es gab eine Koevolution des Farbensehens vieler Tiere mit den Farbsignalen, die von Pflanzen ausgehen. Unter den Buntfarben, Rot, Blau, Grün und Gelb, ist Grün (für uns Menschen) die unauffälligste, redundanteste. Grün bedeutet bei Früchten in der Regel Unreife. Dass Grün eher als Hintergrund dient, aus dem die wichtigen Signale herausstechen müssen, gilt noch heute für unsere Verkehrszeichen. Was Grün ist, kann zur Not übersehen werden. Es signalisiert den Normalzustand. Grünes Licht zu erhalten heißt fortfahren zu können. Goethes und Kandinskys Schelte des Grünen ist von daher nachvollziehbar. Grün stört dann, wenn es sich nicht mit seiner Rolle im Hintergrund zufrieden gibt, sondern selber Aufmerksamkeit beansprucht und als Signal auftritt. Die leicht despektierliche Redewendung „dasselbe in Grün“ bezieht sich ebenfalls darauf, dass es sich dabei um eine weniger wertvolle Kopie handelt. Die Information, die von Grün ausgeht, ist meist nichtssagend.
Auch synästhetisch unterscheiden sich Rot und Grün deutlich. Beispielsweise wird ein roter Sportwagen gegenüber einem ansonsten identischen lindgrünen als lauter und schneller eingeschätzt. Kein Wunder dass, wem an Status und Dominanz gelegen ist, Grün eher weniger zusagt. Selbstverständlich ist die Farbe Grün nie wirklich aus der Kunst verschwunden, trotz der „reductio ad elementa“ wie sie fundamentalistische Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts propagiert haben. Bei Landschaftsgemälden ist ein Verzicht auf Grün ohnehin nicht denkbar. Schon um Rot im Sinne des Komplementärkontrastes zu steigern ist Grün nötig. Wenn Ernst Wilhelm Nay ein Gemälde „Lob des Grün“ nennt, so setzt er sich implizit gegen die Farblehren des Bauhauses ab. Es mag zu weit gehen, ihm zu unterstellen, dass er damit auch die Natur gegen cartesische Logik und funktionale Rationalität ausspielen will. In der Tat stört Grün eine von Menschen gemachte Ordnung. Das Unkraut, das zwischen den Fugen eines gepflasterten Weges wuchert, war nicht nur für Mondrian unerträglich. Die utopische Hoffnung, von der die Avantgarden des 20. Jahrhunderts zehrten, beruhte darauf, Chaos und Wildheit zu beherrschen. Inzwischen haben wir Rasensteine und freuen uns etwa in Werken von Lori Hersberger über einen Naturzustand, der sich ohne menschliche Eingriffe einstellt.
Bei diesem Gastbeitrag handelt es sich um einen Ausschnitt der gleichnamigen Einführung von Prof. em. Dr. Karl Schawelka in den Katalog zu der Ausstellung „Grün stört – Im Fokus einer Farbe“.
Der Kunsthistoriker Dr. Karl Schawelka setzt sich in seiner Forschung insbesondere mit Kunsttheorie, Kunst im öffentlichen Raum, Gegenwartskunst und den Bereichen Farbe und Wahrnehmung intensiv auseinander. Vor seinem Ruhestand lehrte er zuletzt an der Bauhaus-Universität Weimar Geschichte und Theorie der Kunst und war von 2002 bis 2007 1. Vorsitzender des Deutschen Farbenzentrums e.V.