Malstube Ulmenstraße – Kunsttherapie in interkulturellem Kontext
Im Frühjahr 2015 wurde die „Malstube Ulmenstraße“ als Gemeinschaftsprojekt von Marta Herford und des DRK Herford ins Leben gerufen.
Dort, in dem kleinen Zimmerchen der Spielwohnung im Wohnblock Nr.7 treffen sich seither an jedem Dienstag Kinder, Jugendliche und einige Erwachsene aus den umliegenden Flüchtlingsunterkünften für zwei Stunden zum „begleiteten Malen“. Von Anfang an bin ich für das Marta als „Malleiterin“ dabei, unterstützt von Maryam Naggar, Sozialpädagogin beim DRK und zwei bis drei freiwilligen Helferinnen.
Gerade im interkulturellen Kontext einer Flüchtlingsunterkunft bietet sich das „begleitete Malen“ als niederschwellige kunsttherapeutische Methode an: Hier ist der Malprozess selbst das zentrale Ausdrucksmedium, verbale Kommunikation kommt, wenn sie überhaupt möglich ist, nur ergänzend hinzu. Viele Flüchtlinge haben in ihrer Heimat und auf der Flucht kriegerische Auseinandersetzungen, Gewalt und existenzielle Bedrohung erlebt, sind oft psychisch schwer belastet. Einhergehend mit traumatischen Erlebnissen sind Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Kontrollverlust. Ziel des „begleiteten Malens“ ist es, die in jedem Menschen vorhandenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren und Verarbeitungsprozesse in Gang zu bringen: Im kreativen Schaffensprozess verlagert sich der Schauplatz des inneren Erlebens auf die Ebene des Bildes. Übertragen in die Symbolsprache von Farbe und Form entsteht dort ein sichtbares, dem Bewusstsein zugängliches „Gegenüber“. Das Malen als Brücke zwischen Innen- und Außenwelt macht Gefühltes sichtbar und schafft damit gleichzeitig Distanz zu traumatischen Erinnerungen. Ein „Früher“ und „Heute“ lässt sich unterscheiden.
Doch Bilder sind nicht nur Container für Belastendes. Oft fördern sie Ressourcen der Malenden zutage, stärkende, heilsame Kräfte, die zu Entwicklung und Veränderung ermutigen. So kann zunächst „probehandelnd“ auf der Bildebene z. B. durch das Weiter- oder Übermalen eines Bildes die eigene Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit neu erfahren werden und schließlich auch das „Morgen“, die eigene Lebensperspektive ins Blickfeld rücken.
Soviel zur Theorie. Zurück zur Praxis.
Im vergangenen Frühjahr startete die Malstube mit einigen aus dem Marta-Atelier geborgten Staffeleien. Zum Schutz vor Farbflecken wurde der Teppichboden in der Malstube jede Woche neu mit Malervlies abgeklebt. Inzwischen hat sich einiges verändert: Die Wände der „Malstube“ sind mit Pappelholz verkleidet. Dort kann, wie an den Staffeleien, im Stehen gearbeitet werden. Das schafft Platz in dem kleinen Raum und sorgt für Bewegungsfreiheit beim Malen. Auch der Teppichboden ist zugunsten des wischbaren Linoleums gewichen. Selbstgebaute Palettentische mit 20 leuchtenden Gouachefarben stehen – nicht ganz optimal – über Eck vor Einbauschrank und Fenster und laden auf den ersten Blick zum Malen ein. Daneben ein Eimer voll Wasser und einige Putzlappen. Pinsel, für jede Farbe zwei, dick und dünn. Papier liegt auf der Fensterbank bereit, große Bögen von 50 x 70cm, Pins zum feststecken. Ansonsten ist der Raum leer, selbst der Blick ins Grüne endet an der meterhohen Hecke zum Nachbargrundstück. Dieses „Setting“ mit seiner klaren Ordnung und Überschaubarkeit bildet den äußeren Rahmen der Malstube, soll Orientierung, Sicherheit und „Raumgeborgenheit“ vermitteln.
In der Malstube ist es still. Einigermaßen. So still wie es halt sein kann in einem Raum, in dem sechs Personen hin und her gehen, um Farbe zu holen, Pinsel auszuwaschen oder mit dem Nachbarn Neuigkeiten auszutauschen, während ein Kleinkind, das noch nicht auf Mamas Anwesenheit verzichten kann, Spielzeugautos durch den Raum schleudert und Kickergeräusche oder erbitterte Kämpfe um ein Spielzeug durch die geschlossene Tür dringen. Mich stört das wohl mehr als die Malenden – bin ich doch mit meiner Konzentration ganz bei den einzelnen Malprozessen. Die im Blick zu behalten, jedem und jeder das Gefühl meiner vollen Aufmerksamkeit und meines aufrichtigen Interesses zu vermitteln, immer im richtigen Moment da zu sein mit der passenden Intervention oder nur um Pins umzustecken oder verschmutzte Pinsel auszuwaschen, empathisch und gleichzeitig wohlüberlegt auf alles sich Zeigende zu reagieren, das fordert mich sehr. Hier in der Ulmenstraße begegne ich Menschen, deren Denken und Handeln, deren Glauben und Sozialisation verschieden sind zu meinem/meiner eigenen. Um mit ihnen gemeinsam an ihren Bildern zu arbeiten bedarf es nicht nur einer wertfreien Haltung, sondern besonders auch kulturspezifischer Bildkompetenzen. Da gibt es noch viel zu tun. Und auch der professionelle Umgang mit individuellen Schicksalen muss erst gelernt und verinnerlicht werden. Auch da bin ich auf dem Weg.
Und die Bilder? Man mag vielleicht erwarten, dass gerade hier in der Malstube Darstellungen von Kriegsszenerien oder traumatischen Ereignissen überwiegen. Doch das ist nicht so! Gerade weil es keine thematischen Vorgaben gibt, keine Aufforderung, erlebte Schrecken zu erinnern, überwiegen die guten, die heilenden Bilder. Oft sind das Landschaftsdarstellungen, die an die Heimat der Flüchtlinge erinnern, ohne jede Spur von Krieg und Verwüstung. Blühende Blumen, Früchte tragende Bäume, Häuser, Nationalflaggen. Solche Bilder könnte man als Anker bezeichnen, als Halt gebende Erinnerungen an eine Zeit vor Traumatisierung und Flucht. Erinnerungen, die mit Gefühlen von Geborgenheit, Sicherheit, Orientierung oder Balance verknüpft sein mögen. Über das Malen werden solche Erinnerungen aktiviert und wach gehalten, kommen die Malenden mit ihren Ressourcen, dem bereits erlebten Guten, Stärkenden, in Kontakt.
Um den Überblick über die einzelnen Malprozesse zu behalten, fotografiere ich alle Bilder und lege für alle Malenden ein digitales „Bilderbuch“ an. Für mich ist es eine wertvolle Erfahrung, die individuellen Entwicklungsschritte zu verfolgen, wenn auch nur über begrenzte Zeit. Für alle TeilnehmerInnen hoffe ich, dass die Erfahrungen der Malstube einen Beitrag dazu leisten können, ihre traumatischen Erfahrungen zu bewältigen und dass ihnen der Zugang zur eigenen Kreativität als wertvolle Ressource zur Lebensbewältigung erhalten bleibt.
Die Diplom-Designerin Ingvild Scheele-Kolesch ist seit drei Jahren für uns in der Marta-Kunstvermittlung tätig. Außerdem besitzt sie Qualifikationen als Malleiterin für Ausdrucksmalen sowie als Fachbegleiterin für Kunsttherapie.
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