#MartaonTour in Brüssel
Eine Reise zur internationalen Kuratorenkonferenz ist wie ein ausgedehnter Ausstellungsbesuch: In weniger als einer Woche sehe ich zahlreiche ganz unterschiedliche Institutionen, lerne Kollegen und ihre Arbeit vor Ort kennen.
Dies ist nicht nur wichtig, um Ideen auszutauschen und ein internationales Netzwerk aufzubauen, sondern es bewirkt auch, dass ich Abstand von meinen eigenen Projekten nehmen kann, um einen frischen Blick darauf zu richten.
Der IKT ist ein Verband internationaler Kuratoren für zeitgenössische Kunst, der bereits seit den 1970er Jahren Kuratoren aus verschiedenen Ländern zusammenbringt, um sich auszutauschen. Seit 2013 bin ich Mitglied des Verbandes und nach Aufenthalten in Madrid, Irland, Österreich, der Slowakei und Ungarn führte mich die Reise in diesem Jahr nach Belgien.
Am 17. Juni fahre ich also mit dem Thalys von Dortmund nach Brüssel, in die Europa-Hauptstadt. Sie wirkt immer noch deutlich gezeichnet von den Terroranschlägen am 22. März 2016 – die Präsenz der Panzer in den Straßen und die vielen Obdachlosen auf dem Weg zu unserem täglichen Treffpunkt lassen mich innehalten: Was für eine Idee von Europa verkörpern diese Bilder, die einem in Brüssels Straßen begegnen?
Vorerst erkunden wir aber mit dem Bus die weitere Umgebung. So führt uns der erste Tag nach Charleroi in der Wallonie, einer der drei Regionen Belgiens. Mit 200.000 Einwohnern ist die Stadt die größte wallonische Gemeinde, wirkt jedoch im Vergleich zu Namur und Lüttich eher ein wenig farblos.
Bis in die 1960er Jahre war Charleroi ein wichtiger Ort für Kohlebergbau und Stahlindustrie. Obwohl es nun mit dem Niedergang dieser Zweige zu kämpfen hat, zeugen die Strukturen vor Ort von seiner Geschichte, so auch das BPS22, das Museum der Provinz de Hainaut. Untergebracht in einer alten Industriehalle findet man hier eine ungewöhnliche Verbindung von historischem Bestandsbau und aktueller Architektur.
2011 als Ausstellungsraum der Industrie- und Handelsmesse genutzt, dienten die Gebäude anschließend der gegenüberliegenden, 1903 gegründeten „Universität der Arbeit“ als Werkstätten zur Ausbildung der breiten Bevölkerung – vom Industriearbeiter bis zum Ingenieur.
Eine Kollegin aus dem Museumsteam berichtet uns davon, dass hier – wie auch im Marta Herford – die Arbeit mit allen Besuchergruppen wichtig ist. Dies äußert sich bereits darin, dass das pädagogische Atelier auf gleicher Ebene mit den Museumsgalerien angesiedelt ist, es befindet sich direkt neben dem Haupteingang.
Das 2014 eröffnete Museum erhielt gerade einen Erweiterungsbau. Die aktuelle Präsentation zeigt die Werke der Sammlung epochenübergreifend nebeneinander unter verschiedenen subjektiven thematischen Zugängen, um gewissermaßen die Geschichte neu zu schreiben: politische Mythologien, Woanders, Brüchiger Lärm, Metallische Landschaften, Schwarze Sonne, Neo-Gotik. Anschließend besuchen wir das 60 Kilometer entfernte Grand Hornu, das seit 2012 als industrielle Anlage auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes steht.
Neben dem zentralen kreisrunden Backsteinbau im neoklassizistischen Stil findet sich dort eine Stadt mit 425 Wohnhäusern im Stil der englischen Arbeitersiedlungen samt weiterer Infrastruktur. Das ehemalige Kohlebergwerk Grand Hornu bei Mons ist aber nicht nur ein herausragendes Beispiel funktionaler Städteplanung aus dem 19. Jahrhundert, sondern es beherbergt zugleich zwei Museen unter einem Dach – das MAC für Kunst und das CID für Design. Obwohl diese zwei Disziplinen – anders als im Marta – räumlich klar getrennt bleiben, ist die Verbindung aus Geschichte und Gegenwart zumindest baulich hier herausragend gelungen!
Mons wurde 2015 zur Kulturhauptstadt Europas ernannt. Auch diese charmante Kleinstadt wartet mit einem großen Museum auf: Das BAM zeigt derzeit eine Ausstellung von Terry Fox, die zuvor in der Akademie der Künste in Berlin zu sehen war und vor allem das Fachpublikum begeistert. In Mons findet man noch ein weiteres architektonisches Highlight – das hervorragend ausgestattete Schaulager der Stadt – die sogenannte Artothèque. Auch sie ist in einem historischen Bau – der ehemaligen Kapelle des Ursulinenklosters aus dem 17. Jahrhundert – untergebracht. Neben ihrer Funktion als Archiv, Forschungszentrum und Restaurierungsstelle sind hier Kunstwerke zu sehen und in einem interaktiven Parcours wird die Geschichte der einzelnen Exponate nacherzählt.
In der Stadt passieren wir die beeindruckende Arbeit von Arne Quinze, die 2015 für große mediale Aufmerksamkeit sorgte – zweimal stürzte sie ein und wurde von dem Künstler wieder aufgebaut. Im Herbst 2016 wird Arne Quinze im Marta Herford eine neue Arbeit in der Ausstellung „Der fremde Raum – Angriffe, Verwandlungen, Explosionen“ zeigen. Vorfreude macht sich breit angesichts der beeindruckenden Holzkonstruktion, die wie ein Sturm durch die Straßen fegt, die Bewegung der Passanten begleitet und den Blick in die Höhe lenkt.
Am nächsten Tag führt uns die Reise nach Gent. Hier trenne ich mich zeitweilig von der Gruppe, um Peter Buggenhout in seinem Atelier zu besuchen. Eine ehemalige Schule im Hafen von Gent dient dem Künstler als Atelier. Hier entstehen seine materialgewaltigen, geheimnisvollen Skulpturen, die nicht selten aber auch die Maße des geräumigen Ateliers sprengen. Auch er wird für die Herbstausstellung eine ganz besondere Arbeit entwickeln, um das Marta Herford auf den Kopf zu stellen.
Weitere Besuche im MuHKA in Antwerpen, im Middelheim Museum sowie im Bozar und im Iselp in Brüssel, wo ich eine ehemalige Kollegin treffe, schließen den Aufenthalt ab. Wir haben nicht nur zahlreiche Institutionen kennengelernt, Ausstellungen gesehen und in intensiven Gesprächen auf den Busfahrten Ausstellungsideen und Projekte ausgetauscht, sondern dank unseres kenntnisreichen Kollegen Emmanuel Lambion gleichzeitig vieles über die lebendige Kunst- und Kulturlandschaft Belgiens erfahren. Natürlich kenne ich die Heimat von unserem Gründungsdirektor Jan Hoet bereits von einigen Besuchen. Es ist aber immer wieder eine Reise wert!