Mode, Kunst und Schönheit – Eröffnung mit Performance
Freitagabend, 13. Oktober 2017: Reges Treiben herrscht in der vor wenigen Minuten eröffneten Ausstellung „Revolution in Rotgelbblau“ im Marta. Interessierte betrachten die Exponate, andere stehen in Gruppen zusammen, in angeregte Gespräche vertieft, während ich aus dem Augenwinkel Einzelheiten des Geschehens beobachte.
Bewegt sich da etwa ein Mondrian durch den Raum? Ja, und ein es folgt sogar ein zweites Exemplar. Aber es sind natürlich keine Gemälde, sondern zwei junge Damen im Sixties-Look, die wie lebende Mondrian-Bilder durch die Galerien wandeln. Die gestylten Models tragen sogenannte Mondrian-Kleider zur Schau und sind damit wahre Hingucker – viele fotografierende Gäste nehmen sie als Motiv mit nach Hause.
Ich verfolge die beiden über den Abend hinweg, wie sie sich unter das Publikum mischen, sich besonnen die Objekte der Ausstellung ansehen, gemächlich durch die Galerien flanieren und sich gelegentlich an die Wand lehnen oder auf eine Bank setzen, um in den Büchern zu lesen, die sie bei sich tragen. Werden sie von interessierten Besuchern angesprochen, geben sie freundlich und knapp Auskunft über ihr Tun und setzen ihren Weg fort.
Luxus, Mode und schöner Schein
Diese zwei Akteurinnen inszenieren die Performance „C’est la Vie!“ der Schweizer Künstlerin Sylvie Fleury (*1961 Genf) zur Eröffnung der Ausstellung über den Designer und Architekten Gerrit Rietveld, erweitert um Beiträge zeitgenössischer KünstlerInnen, für die sein Werk große Anziehungskraft besitzt. Die Performance- und Objektkünstlerin Sylvie Fleury, die in ihren Werken immer wieder Themen aus Konsumkultur, Mode, Warenwelt und Luxus hinterfragt, greift für diese performative Arbeit auf die erfolgreiche Kollektion der „Mondrian Dresses“ des französischen Modemachers Yves Saint Laurent zurück: Er entwarf 1965 sechs Variationen dieses Minikleides mit den legendären geometrischen Motiven des bekannten niederländischen De-Stijl-Künstlers Piet Mondrian (1872–1944). Offen bleibt die Frage, ob es sich bei den Kleidern der Performance um YSL-Originale handeln könnte – was Fleurys Spiel mit Schein und Wertigkeiten zeigt.
Mondrian, Laurent und die Geometrie
Saint Laurent, heute selbst zur Modeikone geworden, hatte Mondrians Kunst und Errungenschaften der De-Stijl-Bewegung in den Modekontext der 1960er Jahre transportiert und für seine eigenen Kreationen quasi nutzbar gemacht. Diese übergreifende Bewegung Anfang des 20. Jh. hatte sich von der (utopischen) Vorstellung genährt, dass sich die abstrakte Kunst mit reduzierter Farbigkeit und klarer geometrischer Ordnung von Biederkeit und Traditionalismus abkehrte, um Leben und Gesellschaft radikal zu erneuern und gestalten.
Der Modeschöpfer wiederum, der sich seinerseits 1965 mit den Mondrian-Kleidern von den Regeln der Haute Couture absetzte und Modegeschichte schrieb, war von den schmalen ärmellosen Minikleidern der 1960er Jahre und auch der Farbflächen-Malerei dieser Zeit inspiriert: Ihm schienen wohl die geometrischen Formen Mondrians wie gemacht für die geradlinig und ohne Abnäher geschnittenen Kleider, bei denen die weiblichen Körperformen im Hintergrund bleiben und der Körper mehr wie eine Art Gerüst für das Kleid fungiert.
Diese Formen bestimmten auch die spezielle Herstellung des Kleids: Nähte wurden nur entlang der Farbflächen oder der schwarzen Linien gesetzt. Das Mondrian-Kleid war auf Titelblättern wie der „Elle“ zu sehen und befindet sich heute in Sammlungen großer Museen wie u.a. dem The Metropolitan Museum of Art in New York.
Nicht nur schöner Schein
Auf den ersten Blick mag man Sylvie Fleurys Performance selbst als Verherrlichung von Luxus(mode), schönem Schein oder einer Kultur von Marken und Vermarktung verstehen. Aber gerade als Kunstaktion im Zusammenhang dieser Ausstellung führt sie diese Scheinwelt zugleich auf kritische Weise vor. Erst auf den zweiten Blick vermittelt sich durch die besonderen Requisiten noch ein subtiler Kommentar, der auf die (damals) patriarchal geprägte Gesellschaft zielt: Die beiden Models blättern in Büchern, die von Künstlerinnen, Designerinnen und Architektinnen handeln, die Anfang des 20. Jh. zu Zeiten von De Stijl oder des Deutschen Bauhauses tätig waren. Frauen wie Nelly van Doesburg, Lucia Moholy, Margarete Schütte-Lihotzky, Eileen Grey, Lotte Stam-Beese, Sophie Taeuber-Arp oder Marianne Brandt standen angesichts der gesellschaftlichen Situation meist im Schatten ihrer männlichen Kollegen – was in der Rezeption sogar bis heute der Fall ist.
Making Of…
Der Performance ging ein längerer Vorbereitungsprozess voraus. Allein zwei junge und vor allem sehr schlanke Frauen zu finden, die neben einem gewissen „Typ“ die passenden Maße mitbrachten, hat sich länger hingezogen: Immerhin sollte ihnen das Kleid mit dem durchgehenden Umfang von 90 cm locker über die Hüften fallen (entspricht ca. der deutschen Konfektionsgröße 34). Noch wenige Tage vor der Veranstaltung haben die letzten Anproben möglicher Models mit den vorab vorliegenden Kleidern stattgefunden.
Für den gewünschten Look im Stil der 1960er Jahre hat am Veranstaltungstag schließlich das Team von Denroy Cadeau Hairdressing im Elsbach-Haus (im Marta-Viertel) gesorgt, das Haare und Makeup beider Models professionell und perfekt im Sinne der Künstlerin und ihres Assistenten in nur zwei Stunden gestylt hat.
So ist noch eine Stunde für Briefing und erneute Proben geblieben, bis die seit 20 Uhr in die Ausstellungsgalerien strömenden Besucher sich von der einmaligen Präsenz der beiden Models – Linda und Natascha – begeistern lassen konnten.
Hinweis:
Bis zum 4. Februar 2018 wird die Filmdokumentation der Performance in der Ausstellung „Revolution in Rotgelbblau“ zu sehen sein.