Museum und Supermarkt: Eine kurze Geschichte des Vergleichens
Ein Supermarkt verführt uns in der Regel zu lustvollem Konsum: Wir kaufen nicht bloß Lebensmittel, sondern immer auch Wünsche und Phantasien, die in der Wareninszenierung angelegt sind.
Ganz anders dagegen scheinbar der Raum des Museums. Hier kann sich der Blick des Besuchers meistens in ruhiger Atmosphäre ganz dem Rätsel der ausgestellten Werke hingeben.
Darf oder sollte man nicht sogar in dieser Weise ein Museum mit einem Supermarkt vergleichen? Womöglich wird man danach beide Orte mit anderen Augen sehen. Vergleicht man beide soziale Räume, so ist man vielleicht überrascht, welche Ähnlichkeiten sich hier plötzlich abzeichnen: An beiden Orten versammeln sich Menschen, die eine ausgeprägte Schaulust auszeichnet. Ob sie sich auf Kunst oder Werbung, Bildung oder Lebensmittel bezieht, ist hier erstmal nicht relevant – oder anders als erwartet. Am Rande erwähnt: Die postmodernen Lüste des Kaufens und des Beobachtens waren übrigens schon Thema einer großen Ausstellung „Shopping: A Century of art and consumer culture“ (2002). Dieser Zusammenhang beweist wie kein zweiter, dass Kunst und Konsum, Auswählen und Vergleichen eine sehr enge Bindung eingegangen sind.
Das Vergleichen von ähnlichen Motiven unterschiedlicher Werke gilt – vor allem auch in der Kunst- und Bildgeschichte – als eine Königsdisziplin. Heute, im Zeitalter von Vergleichsportalen, lassen sich nicht nur Ähnlichkeiten zwischen unterschiedlichen Elementen (Texten, Theorien, Bildern, Aussagen) vergleichen, sondern vor allem auch Differenzen, die sich innerhalb eines Werkes an früheren und gegenwärtigen Wahrnehmungen erkennen lassen. An der Wirkungsgeschichte eines Werkes oder eines Problemzusammenhangs lässt sich dann unmittelbar ablesen, wie kreativ oder weniger kreativ die jeweiligen Nutzer mit diesem früher umgangen sind oder jetzt umgehen. Das Problem oder die Herausforderung jeder Vergleichsoperation besteht in der nicht-beliebigen Auswahl von zu vergleichenden Fällen, die letztlich eine subjektive Entscheidung des Vergleichenden darstellt.
Entscheidend beim Vergleichen ist die Tatsache, dass man einen möglicherweise überraschenden Vergleich gewagt hat – und sich diesem dann auch stellt. Der Vergleich führt den Vergleichenden in ein offenes Gelände interdisziplinärer Fragestellungen – zwischen Formen der Banalisierung und der exklusiven Anspielung. Nicht selten entsteht durch den Vergleich als Effekt einer überraschenden Situation ein Umfeld, das die Kreativität eines Autors auf den Leser überträgt. Der Leser, der liest, wie ein Autor etwas vergleicht, erkennt, dass es Vergleiche gibt, die zum Vergleichen geradezu animieren, dabei immer wieder neue Unterscheidungen offenbar werden lassen und geistesgegenwärtige Schlussfolgerungen generieren. „Der Vergleich ändert das Image des miteinander Assoziierten“, notiert etwa Wolfgang Ullrich in seiner Untersuchung „Des Geistes Gegenwart“ (2014). Ein Vergleich zeigt, was jetzt anders möglich und neu erkennbar wird.
Ein Autor, der vergleicht, operiert also immer doppelt – sachlich und zeitlich: Er formuliert jetzt einen Vergleich, der zeigt, wie Unterschiede entstehen, die verblüffende Ähnlichkeiten offenbaren. Der Autor einer Darstellung ist also nicht nur Autor, er wird selbst zu einem Produkt und Partner seiner Geschichte/n, die er auf seine eigene und eben nicht auf fremde Art wieder zum Leben erweckt. Dabei steuert er sein reflektierendes Geschehen, indem er Beobachtungen seiner Gegenwart mit Beobachtungen anderer Autoren vergleicht und daraus dann eigene Schlüsse zieht. Typisch für eine Vergleichsoperation ist weiterhin, dass sie ihre Konsumenten in gewisser Weise unter Zugzwang setzt. Der Leser/ Betrachter muss sich mit diesem Vergleich auseinandersetzen. Ein Vergleich fokussiert, erschafft Aufmerksamkeit und aktiviert aktuelle Fantasien.
Andererseits macht jeder überzeugende Vergleich auch Lust auf ein Mehr an Evidenz: Ein Vergleich funktioniert also eben nicht wie eine Maschine, die permanent identische Dinge wie Waren auswirft, sondern er arbeitet genau umgekehrt: wie eine Art Medium, das auf unbekannte Art Ideen, neue Bedeutungen, Content produziert. An Vergleichen und ihrer Geschichte(n) kann man studieren, wie man lernt, zielgerichtet Zusammenhänge zu erkennen oder neu und subtil herzustellen. Ob im Museum oder im Supermarkt: Lebendigkeit findet – vergleichend gesprochen – immer dort statt, wo die eine Hand nicht genau weiß, was sie konsumieren will, während die andere bereits gerade das Passende ausgesucht hat …