Ausstellungseröffnung: Zur Rezeption eines unbekannten Formats
Manche Fragen sind so einfach, dass es einem schwer fällt, hierauf entsprechend einfach zu antworten. Was wäre, würde man einmal in einem soziologischen Forschungsprojekt die Frage untersuchen, wie sich eine Kunstausstellung eigentlich von ihrer Eröffnung unterscheidet?
Wer eine Ausstellungseröffnung besucht, der erwartet nicht, über die aktuelle Ausstellung nur Nebensächlichkeiten zu erfahren. Vor allem erwartet er aber, seine Zeit mit einer Mischung aus interessierter Neugier und Lust auf interessante Fiktionen zu verbringen. Welche Geschichten werden hier also erzählt? Welche Fragen werden aufgeworfen, welche Haltungen unter Beweis gestellt – und vor allem, was bleibt danach alles unbeantwortet? Die Eröffnung ist ein Format, das sich selbst noch nicht kennt.
Zur im Titel angesprochenen Frage fällt dem Eröffnungsbesucher gleich eine Vielzahl möglicher Ergänzungen ein: Warum zählt eigentlich gerade das Eröffnungsevent zu einem so wichtigen, vielleicht schon zum wichtigsten Teil einer Ausstellung? Genauer: Was wird hier vor den Augen und Ohren der Gäste explizit aufgeführt? Wozu dient eigentlich die Rede des Ausstellungsredners? Folgt die Eröffnung einem unbekannten sozialen Ritual und wenn ja, welche zeitgenössischen Dimensionen dieser kollektiven Erfahrung werden hier aktiviert? Soll die Rede das Publikum in die Geheimnisse der Kunst und die Ideenlinien der Kuratoren einweihen, wie das heute immer noch (oder schon wieder) praktiziert wird? Oder dient die Performance, die das Publikum unausgesprochen vom Redner erwartet, ganz anderen Zwecken als denen, in die Fragestellung der Ausstellung einzuführen? Immer funktioniert die Eröffnung neben verblüffenden Einsichten und provokanten Details ja auch der wechselseitigen Bestätigung – von welchen konkreten Einstellungen, Werten und Erwartungen auch immer dann die Rede ist.
Geht es also vielleicht gar nicht mehr so sehr allein um die Kunst selbst, sondern inzwischen auch um mehr: beispielweise um ein exklusives Begegnen in einer Gemeinschaft von euphorisch gestimmten Kunstkennern? Oder dient eine Eröffnung nicht immer auch dazu aktuelle Fragen an die Kunst zu stellen, eine Haltung zu entwickeln, die in der Rede dem Publikum präsentiert wird? Könnte eine Eröffnung nicht auch Anlass für eine Situation sein, in der die Besucher erwarten, ganz ungewohnten Perspektiven zu begegnen oder vielleicht selbst entsprechend neue Fragestellungen zu generieren? Etwa so: Würde sich unser Blick auf die Kunst eigentlich verändern, wenn auf das Eröffnungsritual plötzlich komplett verzichtet würde?
Da es zum Thema der Ausstellungseröffnung so gut wie keinerlei Forschung gibt, muss man natürlich auch fragen, warum ist dieses wichtige Kapitel eigentlich bis heute so unbeachtet geblieben ist?
Als vor einigen Jahren einmal der Eröffnungsredner im Marta Herford plötzlich eingestand: „Ich weiß eigentlich gar nicht, was Kunst ist.“, sah jeder der Gäste in die verblüfften Gesichter des Nachbarn. Während einer Eröffnung öffentlich zuzugeben (oder zumindest so zu tun als ob), dass man nicht wisse, was Kunst sei, das war zumindest ein Stück erfolgreich angewandter Kommunikationskunst. Bis heute ist mir eigentlich unklar geblieben, was der Redner damals genau mit seiner Äußerung erreichen wollte. In eine bisher noch unrealisierte Untersuchung „Zur Soziologie der Ausstellungseröffnung“ gehört dieser provokante Satz ohne Zweifel mit hinein.