Zwölf angemessene Übertreibungen
Im Rahmen des 61. Loccumer Kulturpolitischen Kolloquiums (19.–21.2.2016) zum Thema „Vom Wert der Kunst als Ware und öffentliches Kulturgut“ habe ich anstatt eines Kurzreferats nachfolgende zwölf Herausforderungen vorgetragen.
Die Thesen waren im Sinne einer lebendigen Diskussion bewusst vereinfachend und polarisierend formuliert. Sie stießen auf reges Interesse und werden nun auf unserem Blog noch einmal einer breiteren Öffentlichkeit vorgelegt – wohlwissend, dass Vieles im Detail durchaus zu differenzieren und zu erläutern wäre. Aber vielleicht übernimmt das ja eine sich anschließende Diskussion dieses Beitrags. Das gesamte Programm des Kolloquiums findet sich hier.
EINS
Die Kunstwelt hat sich unwiderruflich gespalten: in einen heiß laufenden Markt formatgerecht produzierter Trademarks und ein Prekariat der Unbelehrbaren – Künstler wie Institutionen. Die Aufgabe besteht allein darin, dieses Schisma produktiv anzunehmen.
ZWEI
Museen sollten grundsätzlich kostenfrei zugänglich sein. Die Kompensation der dagegen stehenden Einnahmeausfälle durch private und Unternehmenssponsoren aber führt nur zum verlangsamten Erstickungstod der Museen.
DREI
„Unsere“ Kultur war schon immer die Kultur der Anderen. Alle Versuche zur Formulierung allgemeingültiger Kriterien für schützenswerte Kulturleistungen verkennen, dass Kulturentwicklung maßgeblich von außenstehenden, rastlosen, unerwarteten, unbegreiflichen Akteuren vorangetrieben wird.
VIER
Ein gesellschaftlich relevantes Museum kann nicht zur Identitätsstiftung dienen. Es hat geradezu die Pflicht, Identität und ihre Verfestigungen immer wieder neu und grundsätzlich zu erschüttern.
FÜNF
Das Museum ist ein Ort der produktiven Irrtümer: Hier wird Gegenwärtiges verkannt, Wertvolles vergessen und Schnelllebiges gefeiert. An den Reibungspunkten der wiederholten Um- und Neubewertungen erst entsteht eine halbwegs valide Kulturgeschichte.
SECHS
Auch öffentliches Sammeln ist immer subjektiv und sollte es auch sein. Bedeutende Sammlungsentwicklungen entstehen durch starke Individualitäten mit selbstkritischem Auftragsbewusstsein und ausgeprägtem Urteilsvermögen.
SIEBEN
Kunstwerke gelangen deshalb in die Sammlung eines Museums, damit sie dauerhaft den Mechanismen des Marktes entzogen und Teil eines kulturellen Gedächtnisses werden. Die Aufkündigung der Unveräußerlichkeitsvereinbarung führt direkt in die Barbarei.
ACHT
Museen sollten Dauerleihgaben nur nach sorgfältiger Abwägung und mit verbindlich vereinbarter Schenkungsperspektive annehmen. Ansonsten werden sie zu willfährigen Durchlauferhitzern für strategisch positionierte Handelsware.
NEUN
Das Museum der Zukunft muss seine gewohnten, liebgewonnenen Räume verlassen, von seiner Architektur unabhängiger werden. Es gehört mitten in die Handlungs- und Bildungszusammenhänge der Gesellschaft, es muss sich im realen Raum virtualisieren.
ZEHN
Kulturelles Erbe – so es denn überhaupt existiert und nicht reine Konstruktion ist – ist immer immateriell. Kunst ist allein der Katalysator, an dem es sich temporär manifestieren kann.
ELF
Kulturelle Bildung und Partizipation als Gegenzauber für den schleichenden Bedeutungsverlust der Museen sind nicht die Lösung, sondern Teil des Problems. Begrifflichkeiten wie Programme sind längst durch entsprechende Interessensgruppen kannibalisiert und als Zombies an die Museen zurückgeschickt worden.
ZWÖLF
Die Debatte um das Kulturgutschutzgesetz markiert eine Stellvertreterdiskussion zur Verschleierung eines gravierenden Paradigmenwechsels: Tatsächlich verhandeln wir gerade die endgültige Auslieferung eines Schutzgutes an die Begehrlichkeiten der globalisierten, neoliberalen Märkte.
8 Replies to “Zwölf angemessene Übertreibungen”
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Spitze! Nur bei These ELF bin ich mir nicht sicher, ob echte „Partizipation“ in Museen, geschweige denn in der Kunst (abgesehen vllt von den Dada Happenings), überhaupt schonmal stattgefunden hat. Aktuell beschränkt sich „Partizipation“ weitgehend darauf, mal was zu Blättern oder einem Touchscreen zu wischen.
Ach, ganz so düster würde ich das nicht sehen! Es gibt schon einige tolle partizipative Projekte, die genau die Ballance auszuloten versuchen zwischen echter Einbeziehung der Besucher und guten Rahmenbedingungen durch die Institution, jenseits von „hier darf jeder alles“. Auch bei uns im Hause haben wir mit diversen Formaten experimentiert, mit positiven wie ernüchternden Erfahrungen. Aber mehr geht immer … Schwierig wird es dort, wo solche Schlagworte dann im politischen Raum Karriere machen und zu Worthülsen in Förderprogrammen und Kulturverwaltungen degenerieren.
Ich Stimme zu was die politischen Phrasen angeht, jedoch bin ich nicht sicher was Sie mit „degenerieren“ meinen. Spricht es nicht gerade für eine Politik, wenigstens Kenntnis von solchen Begriffen zu haben, anstatt an konservativen Konzepten festzuhalten? Aber wahrscheinlich ist dieses Thema alleine schon zu komplex um es hier kurz abzuhandeln.
Ich habe erlebt, dass „hier darf jeder alles“ (mal abgesehen von realer Gewalt) unberechenbare Potenziale freilegen und – Achtung, Worthülse – echte kollaborative Prozesse in Gang setzen kann. Nach gut 12 Jahren „Kunstsamstag für alle“, auf einem mittelgroßen, nicht-kommerziellen Festival, erlaube ich mir hier einfach, das behaupten zu können. Jedes Jahr absolut nicht ernüchternd. Aus solchen „Happenings“ lassen sich natürlich nicht so einfach kommerzialisierbare Autoritäten ableiten, zur Schau stellen und zur eigenen Profilierung als Institution oder Förderer nutzen.
Es ist schon ein ziemlicher Minimalkonsens, wenn wir uns schon darüber freuen, dass politische Entscheidungsträger Kenntnis von Begrifflichkeiten und Initiativen haben, die ihr Fachgebiet betreffen. Aber ich will hier gar kein plattes Politiker-Bashing betreiben, sie haben völlig Recht damit, dass dieser Raum etwas zu eng für den differenzierten Diskurs ist. Ansonsten freut mich aber Ihre positive Erfahrung mit partizipativen „Happenings“ sehr, da gibt es sicherlich noch viel an Impulsen und Erfolgen zwischen den einzelnen Akteuren auszutauschen. Wichtig ist vor allem die Lust am Experimentieren.
Lieber Herr Nachtigäller,
gut gebrüllt, würde ich sagen. Hat es eine lebhafte Diskussion gegeben auf der Veranstaltung? Das hätte ich gerne angehört.
Mir springt natürlich auch die Nr. 11 ins Auge
Sie schreiben, Kulturelle Bildung und Partizipation seien Teil des Problems „Bedeutungsverlust der Museen“. Verstehe ich Sie richtig, dass Sie vor allem die Kannibalisierung und Zombifizierung damit meinen? Und nicht das grundsätzliche Wollen?
Mir ist sehr bewusst, dass es leider viel zu viele gut gemeinte Ansätze gibt, die der Sache nicht dienen. Aber vielleicht geben Sie mir ein Beispiel, damit ich mir vorstellen kann, was Sie als „Problem“ sehen. Welche Programme sind in Ihren Augen so richtig am Ziel vorbeigeschossen?
Für die Eröffnung von „Magie und Macht“ wünsche ich viel Erfolg und sende herzliche Grüße ans Team
Anke von Heyl
Liebe Anke von Heyl,
erst einmal sorry für die späte Antwort, es gibt leider immer wieder Zeiten, da kann ich mich nur sehr punktuell um das Blog kümmern – und bisher schreibe ich meine Kommentare noch selbst (soll auch noch etwas so bleiben).
Ja, es gab eine lebendige Diskussion während der Tagung, auch wenn sie vor einem breiten kulturpolitischen Konsens stattfand und diesmal die Museumspädagogik selbst nur vereinzelt vertreten war. Aber Sie haben natürlich recht: Mein kritisches Statement bezog sich weniger auf das Wollen als auf das Sollen: Es hat schon manchmal absurde Züge, wenn man z.B. im ministeriellen Umfeld spricht und spürt, wie immer mehr hohle Floskeln aus einst tollen neuen Ansätzen generiert werden. Schon vor längerer Zeit saß ich einmal in einer Runde, in der ich dann irgendwann etwas sarkastisch anmerkte, man solle aber bei den vielen neuen Programmen zur Vermittlungsförderung auch darauf achten, dass am Ende noch etwas zum Vermitteln da ist. Denn natürlich werden öffentliche Gelder für kulturelle Bildungsrucksäcke u.ä. nicht aufgestockt, sondern aus den klassischen Förderwegen umverteilt, d.h. es wird bei der Künstler- und Ausstellungsförderung eingespart.
Ansonsten: Die „Magie und Macht“-Eröffnung war super!
Beste Grüße (das Team liest mit und dankt für die Ihrigen)
Roland Nachtigäller
Lieber Roland Nachtigäller,
das ist – glaube ich – sowieso das Grundproblem. dass es im Gießkannenprinzip mal hier mal da ein bisschen gefördert wird. Aber wer hinterfragt mal die Programme. Da wird dann oft etwas am grünen Tisch entwickelt und im Museum muss man dann rumrödeln, um das einigermaßen entsprechend der Richtlinien hinzubekommen. Dann stöhnen alle. Auch die Kunstvermittler!
Ich komme bestimmt auch bald mal rum nach Herford. Die liebe Herbergsmutter Ute wusste nur Gutes von ihrem Besuch zu berichten.
Herzlichst
Anke von Heyl
Ja, wir hatten ein sehr nettes Gespräch und freuen uns natürlich ebenso über den Besuch der anderen Herbergsmütter! Bis dahin alles Gute. R.N.