5 Fragen an die Streetart-Künstler*innen Kobe Eins und Nelli Nickel
Seit Anfang Juni ziert ein neues Graffiti die Tupac-Säule vor dem Marta. Der Berliner Streetart-Künstler Kobe Eins, der mit bürgerlichem Namen Roger Berndt heißt, reagierte mit seiner Gestaltung auf die aktuelle Rassismus-Debatte, die durch den Tod von George Floyd ausgelöst wurde. Seine Projektpartnerin Nelli Nickel und er berichten nun von Ihrem Werkprozess und den aktuellen Entwicklungen in der Streetart-Szene.
Es ist nur wenige Wochen her, dass der Tod von George Floyd, der Opfer rassistischer Polizeigewalt wurde, weltweit Proteste ausgelöst hat. Kurz darauf, habt Ihr die Säule unserer Tupac-Skulptur dazu genutzt, um auf den gegenwärtigen Rassismus aufmerksam zu machen. Wie genau habt Ihr Euer Anliegen in eine Bildsprache übersetzt? Welche Idee steckt dahinter?
Roger Berndt (R.B.): Zu Beginn habe ich mich mit den stilistischen und künstlerischen Elementen bzw. Inhalte und Formen der Schwarzen Bewegung, vor allem aber der anti-rassistischen Bewegung, auseinandergesetzt. Bei der Recherche habe ich mich meiner Meinung nach für das stärkste Symbol der Schwarzen Bewegung, die Faust, entschieden. Zudem war mir wichtig auf das Schicksal von George Floyd einzugehen und seine letzte Aussage „I can’t breathe“ sichtbar zu machen. Das Schicksal von George Floyd ist zwar kein Einzelschicksal, jedoch war sein grausamer Tod durch einen weißen Polizeibeamten der Auslöser einer weltweit beginnenden und notwendigen Rassismus-Debatte. Des Weiteren habe ich Planeten in braunen und rötlichen Tönen gemalt, um die Missstände und die Wut auf unserer Erde farblich darzustellen. Die grauen Linien symbolisieren einen Aufbruch in neue Denkweisen und eine Einheit unserer gesamten Welt, auf der jeder Mensch die gleichen Chancen und Zugänge haben sollte.
Ist Rassismus generell ein Thema, mit dem Ihr Euch in Euren Streetart-Werken beschäftigt? Welche weiteren behandelt Ihr?
R.B.: Die Themen rund um Rassismus, aber auch andere gesellschaftliche Themen, sind zunehmend wichtige Bestandteile meiner Kunst. Vor allem hat mir aber der Fall von George Floyd eins bewusst gemacht: Mein Leben lang bediene ich mich als weißer Mensch der Schwarzen Kultur. Seit frühester Kindheit begeistere ich mich für HipHop, für die Musik (Rap), den Tanz (Break Dance), dem Beat Boxing, aber vor allem für die Graffiti-Kultur. Dabei habe ich nie wirklich darüber nachgedacht, dass ich mich ganz selbstverständlich Elementen der Schwarzen Bewegung bemächtige, ohne zu wertschätzen und zu verstehen, aus welcher Situation heraus sich diese Kultur überhaupt geformt hat. Nämlich aus der Unterdrückung von Schwarzen Menschen in den Vereinigten Staaten von Amerika durch weiße Menschen. Ich habe erkannt, auch wenn es nur ein kleiner Beitrag ist, dass ich die Verantwortung habe, als weißer Künstler bewusst mit der HipHop-Kultur umzugehen und Schwarze Stimmen sichtbar zu machen. Denn immer noch verfügen weiße Menschen über mehr Privilegien in unserer Gesellschaft als Schwarze Menschen. Deshalb stehen alle Menschen in der Verantwortung für Gleichberechtigung zu kämpfen. Aus diesem Grund ist auch der Hashtag #mysilenceisviolence entstanden.
Weitere Themen die ich in meinen Werken behandelt habe sind u.a. „1984“ von George Orwell, welches den Staat als Überwachungssystem darstellt und die Frage aufwirft, wie weit darf er gehen und wo führt es hin? Wieviel Überwachung ist nötig und was heißt es für jede*n Einzelne*n? Aber auch Systeme im Allgemeinen, wie politische oder wirtschaftliche Systeme, und ihre Konsequenzen werden in meinen Werken aufgegriffen und behandelt.
Ihr lebt und arbeitet beide in Berlin: Wie seid Ihr auf das Marta Herford aufmerksam geworden? Und hatte es für Euch einen besonderen Reiz, dass die Säule eines Kunstwerks von Paolo Chiasera für Graffitis zur Verfügung steht?
Nelli Nickel (N.N.): Da ich in Ostwestfalen aufgewachsen bin, ist das Marta Herford für mich schon seit Jahren ein wichtiger Ort für Kunstschaffende und -interessierte in Herford und im gesamten Kreis. Zudem hat die Anwesenheit von Tupac Shakur vor den Türen des Museums einen weiteren persönlichen Verbindungspunkt geschaffen, da ich schon seit langer Zeit seine Musik höre und mich mit den Themen seiner Musik auseinandersetze. Auch wenn im Marta Herford vor allem zeitgenössische Kunst ausgestellt wird, steht vor der Tür doch ein Stellvertreter der Schwarzen Kultur und somit auch der Streetart. Diese Wertschätzung und die Verbindung von zeitgenössischer Kunst und Streetart empfinde ich als sehr wichtig, da die verschiedenen Elemente der HipHop-Kultur oft nur benutzt und kopiert werden, jedoch auf der Straße, da wo HipHop zu Hause ist und ihren Ursprung hat, nicht ausreichend ernst genommen und gewürdigt werden. Da auch der Künstler Paolo Chiasera aus der Graffiti-Szene kommt, wird auch hier die Verbindung zwischen zeitgenössischer Kunst und Streetart geknüpft. Kunst ist vielseitig und kann überall stattfinden, ob auf der Straße oder im Museum. Das wird durch die Säule vor dem Museum Marta deutlich.
Streetart genießt manchmal noch den Ruf, illegal und schnelllebig zu sein. Ihr habt mehrere Tage an der Vollendung des Werks an der Tupac-Säule gearbeitet. Kann man sagen, dass sich Streetart sehr viel konzeptioneller und mit mehr Vorbereitung gestaltet als noch vor etwa 20 Jahren beispielsweise? Wie seht Ihr da die Entwicklung?
R.B.: Fragt man Graffiti-Künstler*innen, ob sie sich auch als Streetart-Künstler*in verstehen, bekommt man geteilte Meinungen. Graffiti meint vor allem Styles (bunte oder farbliche Schriftzüge), Bombings (schlichte, schnelle Schriftzüge, oft illegal) und Tags (Unterschriften mit dem Stift), somit die Kunst der Gestaltung von Buchstaben und Schriftzügen. Streetart beschäftigt sich wiederum verstärkt mit gesellschaftlichen und politischen Themen, die in kleineren Arbeiten oft durch die Verwendung mit Stencil oder Paste-Up ausgedrückt werden. Unter dem Begriff Streetart wird aber auch häufig die Gestaltung von großen Wänden mit Murals beschrieben, die inhaltlich und gestalterisch den persönlichen Bezug und Stil des Künstlers bzw. der Künstlerin darstellen. Graffiti ist u.a. aus der Illegalität geboren und hat sich mit dem Genre der Streetart weiterentwickelt. Graffiti und Streetart finden somit nicht weniger illegal statt, als zum Beispiel noch vor 20 Jahren, jedoch haben sich Materialien und Techniken weiterentwickelt und verändert, was zum Ergebnis hat, das sich daraus auch zunehmend ein legaler und auch wirtschaftlicher starker Markt entwickelt hat und weiterhin wächst. Somit steigt das Interesse an konzeptionellen und großformatigen Arbeiten, wie z.B. große Murals. Aber auch Graffiti ist aufgrund seiner Geschichte und seiner Sichtbarkeit nach wie vor relevant und damit nicht nur illegal auf den Straßen zu bewundern, sondern findet zunehmend seinen gesellschaftlichen Platz.
In meiner Wahrnehmung wird die Streetart-Szene oft mit Männern in Verbindung gebracht. Kaum jemand, der szenenfremd ist, kennt bekannte Sprayerinnen. Wie seht Ihr das? Gibt es da mittlerweile Entwicklungen hinsichtlich einer diverseren Szene?
N.N. / R.B.: Die Graffiti- und auch Streetart-Szene wird immer noch männlich dominiert, da sie in ihrer Entstehung u.a. stark von einem Revierverhalten geprägt wurde und bis heute noch immer geprägt wird. Da dieses Verhalten häufig als ein männliches Verhalten assoziiert wird, haben Künstler*innen eine größere Hemmschwelle und benötigen zudem einen höheren Kraft- und Zeitaufwand, um sich Ansehen und Respekt in der Szene zu erarbeiten. Aufgrund der Weiterentwicklung der Materialien und Techniken und der Anerkennung in öffentlichen und wirtschaftlichen Sektoren, gibt es einen zunehmend größeren Bereich für künstlerische Entwicklung und Umsetzungen, was den Zugang für Künstler*innen zu Graffiti und Streetart einfacher, interessanter und umsetzbarer macht. Jedoch wäre es wünschenswert, einen leichteren Zugang für weibliche oder diverse Künstler*innen zu schaffen, was aufgrund von unserer weiterhin sexistisch geprägten Sozialisation in unserer Gesellschaft eine Herausforderung darstellt. Aus diesem Grund ist es wichtig, immer verantwortungsbewusst zu handeln und für jegliche Form von Gleichberechtigung zu kämpfen. Und besonders stehen Menschen mit besonderen Privilegien in der Verantwortung.