5 Fragen an Lena von Goedeke
In der Marta-Ausstellung „Glas und Beton“ bringt die Künstlerin Lena von Goedeke die in Köln stehende Kirche St. Johannes XXIII als Raumerfahrung nach Herford. Mehrere Tage war sie vor Ort, um die in die Museumsarchitektur eingreifende Arbeit „Zombies“ zu installieren. Hier stellt sie sich nun unseren Fragen und erzählt unter anderem, wie „social distancing“ ihre eigene Arbeit beeinflusst.
In Deiner Werkreihe räumlicher Interventionen, die Du „Zombies“ nennst, überlagerst Du den Grundriss des Ausstellungsraumes mit dem Grundriss einer anderen Architektur. In der aktuellen Ausstellung bringst Du so die 1969 in Köln fertig gestellte Kirche St. Johannes XXIII und die zwischen 2001 und 2005 von Frank O. Gehry entworfenen Galerien des Marta-Museums in einen architektonischen Dialog. Welchen konzeptionellen Überlegungen folgt Deine Auswahl des Grundrisses?
Neben einer biografischen Motivation – die Grundrisse, die ich nutze, habe ich immer irgendwie bewohnt oder belebt – spielt das Raumgefühl und die Erinnerung eine wesentliche Rolle: eine Assoziation an einen bestimmten Ort, die in einem Ausstellungsraum aufkommt, oder eine konkrete Erinnerung, von einem verbauten Material ausgelöst – und dann bringe ich beide Orte in Verbindung. In diesem Fall ist es neben dem Thema der Ausstellung, Glas und Beton, die in aller Konsequenz in St. Johannes verwendet wurden, auch die Entstehung dieser beeindruckenden Architekturen. Wenn inzwischen so außergewöhnliche Räume wie die des Marta-Museums heutzutage natürlich am Rechner geplant werden, ist die Idee und Konzeption bei Gehry dennoch sehr vom Planungsmaterial geprägt: entworfen wird in schnellen Handskizzen und mit großmaßstäblichen Modellen aus Pappe. Die Geste und die Eigenschaften des Papiers schreiben sich in den Entwurf ein. Im Vergleich dazu wurde St. Johannes XXIII auf Basis eines Tonmodells geplant. Die Schwere der Tonquader definierte die Baustruktur, dieses Bauen ist in der Dachkonstruktion der Kirche sehr gut nachzuempfinden. Zwei Beispiele, die wunderbar zeigen, wie wichtig das Werkzeug für die Ästhetik der Bauten ist. Leider sehen die Real Estate Immobilien heute allzu oft wie ihre eigenen Renderings, also die zuvor erstellten Computermodelle, aus. Wie immobile 3D-Modelle, deren Wände man gar nicht anfassen möchte, weil sie so seltsam immateriell sind.
An unterschiedlichen Orten der Ausstellungsräume ragen einzelne Elemente des Kirchengrundrisses aus der Museumswand hervor. Im Verlauf des Ausstellungsbesuchs können Besucher*innen gedanklich die zweite Raumdimension erfassen. Ein wiederkehrendes Thema in Deinem Werk ist die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und den Grenzen unserer Wahrnehmbarkeit und Wahrnehmung. Was hat dieses Interesse bei Dir geweckt?
Als „digital immigrant“ faszinieren mich die Ebenen zwischen virtueller und physischer, organischer und technischer Wahrnehmung. Meine Sicht auf die Dinge ist fortlaufend damit beschäftigt, zwischen meiner gefühlten – und dadurch nicht weniger relevanten – Wahrheit und der digital gemessenen, prozessierten und gezeigten Wahrheit abzugleichen. Es ist spannend, immer wieder zwischen einer verarbeiteten und einer verarbeitenden Realität hin und her zu switchen und zu lernen, die eigene Wahrnehmung nicht an den glatten Oberflächen von Displays und Screens abperlen zu lassen. Die „Zombies“ im Marta erinnern an einen Glitch, eine verschobene Ebene in einem Rendering, und fordern die Besucher*innen heraus, diesen Raum selber zu erfassen. Es ist nicht möglich, das große Ganze auf einem Bildschirm zu drehen und zu verstehen. Wie bei der Erfahrung von Landschaft – worauf die Anmutung von Miniaturlandschaften verweist – und der von Architektur – gerade hier im Marta – sind wir auf unsere Vorstellungskraft angewiesen, um die großen Zusammenhänge zu verstehen.
Aufgrund der fragilen Schichtung des losen Zementsands erscheinen die „Zombies“ wie ruinöse Bruchstücke alter Gemäuer. Was veranlasst Dich zu dieser zeitlich entrückten Wirkungsdimension eines doch im Grunde noch stehenden und genutzten Gebäudes?
Eine Ruine ist ein hybrides Stadium zwischen Bau und Umwelt. Etwas, das für die Dauer gemacht war, nähert sich wieder der Natur an. Wind und Wetter schlagen die ambitioniertesten Gebäude letztendlich zu Geröllhaufen zusammen. Wie Miniaturlandschaften wirken die sortierten Erden auf Industriebrachen und Baustellen und haben nur für den, der die Gebäude vorher kannte, eine Bedeutung. Eine brutalistische Kirche, deren Baustruktur irgendwann zwangsläufig marode werden wird und deren Statik kaum zu begreifen ist, bleibt irgendwann nur noch als Erinnerung. Insbesondere von dieser werden nur ein diffuses Raumgefühl und ein paar Schutthaufen bleiben, da sie so schwer zu fassen ist und ihre Entstehung zu schlecht dokumentiert. Auch ist St. Johannes XXIII ein verstecktes Kleinod, dessen Nutzung sich, wie in vielen Kirchen, inzwischen in Grenzen hält. Ich nutze den Bau als Grundlage, und am Ende bleibt mir nur eine fragmenthafte, bröselige Erinnerung an ein Gebäude, das viel bedeutet und wenig Leben beherbergt.
Die Kirche wurde von Deinem Großvater, dem Architekten Heinz Buchmann, zusammen mit dem Bildhauer Josef Rikus konzipiert. Wie wichtig ist für Dich dieser biografische Bezug?
Die Grundrisse und Architekturen, die ich in jeder Installation der „Zombies“ verwende, haben grundsätzlich einen biografischen Bezug; um die Erinnerung an einen Raum, die Lebenszeit und erinnerte Qualität darin mit dem Ausstellungsraum abzugleichen, müssen sie für mich eine greifbare Relevanz haben, eine emotionale Verbindung herstellen oder eine ästhetische Quelle meiner Arbeit sein, damit sie für mich den Raum füllen. Die längste Zeit meines Lebens habe ich Grundrisse bewohnt, die mein Vater oder mein Großvater entworfen haben, und deren zugrundeliegende Ideen und Begriffe von Wohnung und Zusammenleben natürlich meine Persönlichkeit und konsequenterweise mein Werk prägen. Ich denke, viele meiner Arbeiten wurzeln in ihren ästhetischen Entscheidungen und Werten. St. Johannes XXIII als kompromisslose Umsetzung einer skulpturalen Raumidee, geistert seit meiner Kindheit durch mein Verständnis von gestalterischer Freiheit, und die Analogien und Kontraste zwischen dem Marta und einer Kirche, sowie die Tatsache, dass sie mehrmals eine Rolle in gezeigten Arbeiten spielt (Anm. der Red.: Auch Isa Melsheimer und Andreas Bunte befassen sich in der Ausstellung mit der St. Johannes XXIII), waren ausschlaggebend für die Entscheidung, diesen Grundriss nachzuspielen. Dass mein Großvater der Architekt war, ist Bedingung für mein spezifisches Interesse an genau diesem Gebäude.
Deine künstlerische Praxis reicht von Fotografie, Skulptur, Scherenschnitt bis hin zu Ölmalerei. Du konzentrierst Dich weniger auf ein Medium, als vielmehr auf bestimmte Fragestellungen, die Du dann innerhalb einzelner Werkgruppen abhandelst. Was beschäftigt Dich aktuell?
Zwischenräume und Trennschichten, auch „social distancing“ geschuldet. Seit zwei Jahren arbeite ich neben der Faszination für Brutalismus intensiv mit und an meinen Erfahrungen und Material von zwei Arktisexpeditionen, und hatte mich in letzter Zeit dort auf die Möglichkeiten und Potentiale von Isolierungen, Schutzkleidung und Resonanzerfahrung der Umwelt fokussiert. Plötzlich muss ich mich dafür nicht mehr erinnern, sondern erlebe (wie wir alle), was es bedeutet, wenn die Schicht zwischen uns zu dick, zu lang, zu undurchlässig wird. Wie Zwischenraum Beziehungen schafft, wie Umraum das eigene Verhalten beeinflusst – schon ein unvermeidbarer Besuch im Supermarkt ist gerade faszinierend. Ich fühle mich eigentlich ganz wohl mit Maske und der neuen Achtsamkeit, seltsam ungestört in meiner eigenen Komfortzone, und wie auf Expedition in meinem eigenen gesellschaftlichen Umfeld. Außerdem fasziniert mich das Glatte, das Fugenlose, das Antiseptische im Kontrast zum Unkontrollierbaren. Ich bin gespannt, wie die Kunst auf diese Zäsur reagieren wird, ob wir nach dem Cleanen, Virtuellen, dem Instagram-Overkill wieder mehr Appetit auf das Widerständige haben werden, nachdem diese Gesellschaft kollektiv Antikörper gebildet hat.
3 Replies to “5 Fragen an Lena von Goedeke”
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Ich nehme an, dass Lena es weiß, aber die statischen Berechnungen für St. Johannes XXIII sind
meiner Kenntnis nach mit einem frühen Rechner von Konrad Zuse aufgestellt worden.
Ein früher digitaler Eingriff in die Welt von Glas und Beton.
Stefan Buchmann
Danke für diese spannende Information! 🙂