5 Fragen an RecyclingDesignpreis-Teilnehmer Jan Körbes
Es ist nicht zu übersehen, ein gelbes, irgendwie einem Ufo ähnelndes Objekt: Das zum „Lemon Loft“ umgebaute Futtersilo von Jan Körbes ist seit der Eröffnung des 8. RecyclingDesignpreises auf der Marta-Plaza gelandet und lädt zum Reinschauen, Platznehmen und Pausieren ein.
Am Eröffnungstag (28.01.18) ließen es sich viele Besucher*innen nicht nehmen, sich bei einem Glas Tee vom Architekten persönlich das zum „Tiny Tea House“ umfunktionierte Silo zeigen zu lassen. Gut fixiert auf einem Anhänger wurde es mobil gemacht, so dass es sich nun leicht von Ort zu Ort transportieren lässt.
Vom Futtersilo für Tiere zum Teehaus für Menschen
Über eine auslassbare Türklappe kann man ins Innere des vier Meter hohen Silos gelangen, das eingebaute Sitzplätze in unterschiedlicher Höhe für maximal zehn Personen und auch bei Wintertemperaturen eine erstaunlich wohlig warme Raumatmosphäre bietet. Der Innenraum von 1,9 Metern Durchmesser ist mit Holz funktional und in schickem Design ausgekleidet: Es wurde auch dafür nur auf ausgediente Restmaterialien zurückgegriffen, zum Beispiel auf alte Tische einer Berliner Grundschule. Mit der Erfahrung, sich in diesem sehr kleinen, aber besonderen Raum eine Weile aufzuhalten, war drinnen wie draußen der Anlass für anregende Gespräche und Gedanken leicht geschaffen: Wie wäre es, auf wesentlich kleinerem Raum als gewohnt zu leben, und mit weniger Dingen umgeben zu sein? Was und wieviel braucht man eigentlich zum Leben?
Tiny House als Inspiration
Dieses Architekturobjekt ist in die Tiny House-Bewegung einzureihen, die verschiedene Visionen vereint: preiswertes, mobiles, energiesparendes und temporäres Wohnen auf wenig Raum. Es geht dabei um einen bewussteren Umgang mit Ressourcen und um Visionen zu neuen Wohn- und Lebensformen in einer weniger konsumorientierten Zukunft. Jan Körbes und die anderen Mitstreiter von REFUNC, einem in den Niederlanden und in Berlin agierenden Kollektiv aus Architekten, Künstlern und Kreativen, realisieren vor diesem Hintergrund nachhaltigen Denkens Projekte mit experimentellem Charakter aus Reststoffen im Kontext eines jeweiligen Ortes. So gibt es neben dem „Lemon Loft“ auch noch einen größeren Prototypen mit einem Innenraum von 13 Quadratmeter Grundfläche, verteilt auf drei Ebenen, verbunden über eine Kletterwand, in dem Jan Körbes drei Jahre lang selbst in Berlin gelebt hat.
Mehr über das „Lemon Loft“ und REFUNC erfuhren wir von Jan Körbes in einem Interview:
Wie kam es zu der Idee (und zur Ausführung), ein altes Futtersilo zu einem Tiny House umzubauen?
Alles begann mit der fast schon gewöhnlichen Dynamik meines persönlichen Lebens. Nach zwei Jahren „full-time“ mit meiner Tochter im Wohnwagen bemerkten wir einige Eigenschaften unserer Behausung, die nicht mit unserer Vorstellung vom Wohnen auf kleinem Raum zusammenpassten: Wohnwagen sind räumlich meistens unspannend und haben niedrige Decken, d.h. alle großgewachsenen niederländischen Freunde konnten nicht aufrecht bei uns stehen. Und wir vermissten das Raumerlebnis an sich. Es gab am Tisch Platz für maximal drei Leute. Viel zu wenig für ein nettes Abendessen. Ein kalter Fußboden sorgte dafür, dass alle Wärme nach oben zog. Kalte Füße, warmer Kopf waren nicht so unser Ding. Dazu kamen die dünnen Wände, durch die man fast alles hören konnte.
Alle diese Aspekte haben dazu beigetragen, unser Wohnsilo komplett anders zu konzipieren. So gibt es ein spannendes vertikal orientiertes Raumgefüge, einen Esstisch mit Platz für sieben Leute und einen isolierten Boden mit Infrarotheizung. Silos an sich boten sich sehr an, da es viele ungenutzte in den Niederlanden gibt und Formen und Maßstab sehr gut zu Menschen passen könnten, dachten wir.
Wird es neben dem „Silo House“ und dem „Lemon Loft“ noch weitere Siloprojekte geben oder sind welche in Planung? Der Projekttitel „Silo City“ lässt dies ja anklingen…
Na klar. Wir haben im botanischen Garten in Groningen ein zehn Meter langes liegendes Silo als „Artist in Residence Unit“ entworfen und gebaut.
Du hast für 3 Jahre zusammen mit Deiner Tochter in einem Silohaus (Höhe 7 m, Durchmesser 2,4 m, Fläche 13 qm, verteilt auf Ebenen für Schlafen, Wohnen, Küche, u.a.) gelebt. Wie wohnt es sich auf so kleinem Raum? Was verliert man, was gewinnt man?
Wir haben sehr viel gelernt, vor allem über uns selber, dass Miteinander anders funktionieren kann, und wie wenig Kinder brauchen. Das Leben im Silo hat unser Leben sehr verändert. Meine Tochter hatte kaum Platz für viel Spielzeug. Sie wollte auch nicht mehr. Wir haben beide gemerkt, dass das Wichtigste für Kinder die Aufmerksamkeit und Zeit sind, die sie mit ihren Eltern teilen. Wenn man sich den ganzen Tag über eine Kletterwand nach oben und unten bewegt, hält das fit, was wiederum glücklich macht. Wir hatten in zweieinhalb Jahren mehr als 2000 Besucher und haben sehr viel über Austausch und Inspiration mit Menschen aus aller Welt gelernt. Dazu kommt, dass wir jetzt fast ohne Möbel leben können. Wenn mir meine Eltern von Schlafsofas vorgeschwärmt haben, kriegte ich nachts Albträume von riesengroßen über mir schwebenden Sofas, die ich SoPhobia genannt habe. Wir wohnen mittlerweile in einem normalen Haus, verbringen aber oft mal eine Nacht im Silo, da wir das sehr vermissen und vielleicht auch wieder zurückziehen.
Welche Visionen sind mit diesem Tiny-House-Projekt verbunden? Geht es um Impulse in Richtung eines nachhaltigeren und bewussteren Lebens und Wohnens oder um experimentelle Ideen möglicher zukünftiger Wohnsiedlungen aus Silobauten?
Es geht um Inspiration, einen anderen Umgang mit Ressourcen und den persönlichen Wohn- und Lebensraum. Jeder kann mit weniger glücklich sein und wird es in der Zukunft wahrscheinlich müssen. Unser Experiment begann klein und detailliert. Jetzt, nach dem dritten Silo werden die Visionen größer und reichen mehr in das Öffentliche und Mobile. Wichtig ist, dass Raum genutzt wird. So ist unser Silohaus beim ZKU in Berlin Teil der Residenz und wird von verschiedenen Künstlern bewohnt.
Du arbeitest zusammen mit anderen Architekten, Designern und Kreativen in dem Kollektiv REFUNC in Deutschland und in den Niederlanden. Wofür steht Ihr und was ist charakteristisch für Eure Projekte und Arbeitsweise?
Wir verstehen REFUNC als eine Methode, die jeder anwenden kann, wenn es um kreative Wiederverwendung geht. Wir sind Architekten, Künstler, und andere Experten, die sich mit experimentellen Konzepten auseinandersetzen, die einen bewussten und cleveren Umgang mit Ressourcen und Reststoffen untersuchen. Dabei spielt das Improvisieren vor Ort mit lokalem Material und sozialem Input eine wichtige Rolle. Im Moment arbeiten wir an Gebrauchsanweisungen, die alle unsere Erfahrungen dokumentieren und mit anderen teilen.
Hinweis:
Bevor das gelbe „Tiny Tea House“ das Marta nach Ausstellungsende wieder verlässt, kann es jederzeit zu den Museumsöffnungszeiten (Di bis So, 11–18 Uhr) besichtigt und „besetzt“ werden (Eintritt frei). Ein Gespräch mit Jan Körbes steht am Tag der Finissage (22.4.) im Rahmen der Letzte-Blicke-Führung auf dem Programm.
Der Copyright aller Abbildungen liegt bei refunc.nl.