Zur Honorierung von KünstlerInnen
Ein Manifest. – Oliver Grajewski ist Zeichner, genauer gesagt Comic-Zeichner, noch genauer gesagt Künstler – seine Zeichnungen waren einst der Wochenzeitung DIE ZEIT zu kompliziert, um sie ihren LeserInnen zuzumuten.
Dafür aber werden sie als Bücher gedruckt (siehe unten) und finden immer wieder Einzug in Kunstausstellungen. Marta Herford hatte ihn mit einer Wandinstallation zu „Magie und Macht“ eingeladen. Und da uns eine alte Freundschaft verbindet, haben wir bald offen und auch kontrovers über die Frage von KünstlerInnen-Honoraren für die Ausstellungsteilnahme diskutiert. Als ich ihm die Gelegenheit bot, anlässlich eines Marta-Sponsorenabends einen kurzen Beitrag über die Situation von Künstlern beizusteuern, entstand dieses engagierte Manifest.
Es ist eine verzwickte Situation: Im Grunde sind wir alle für die angemessene Entlohnung von KünstlerInnen, aber schon die ersten Überlegungen zum Wie führen schnell in höchst komplizierte Zusammenhänge. Und eines ist derzeit auch nicht von der Hand zu weisen: Wenn wir unterschiedslos allen KünstlerInnen ein Ausstellungshonorar zahlen würden, wären die Ausstellungen nicht mehr ansatzweise das, was sie heute sind. Wir werden uns noch lange den Kopf zerbrechen, werden uns streiten und immer wieder zusammensetzen müssen, bevor wir einen gangbaren Weg gefunden haben – und der wird nicht allein zwischen Museum/ Kunstverein/ Projektraum und KünstlerIn auszuhandeln sein!
Olivers Einwurf aber möchte ich hier gerne veröffentlichen – als Appell und provokanter Aufruf, der nicht immer meine Meinung reflektiert, aber alles kritische Potenzial für eine angemessene Diskussion mitbringt. Wir freuen uns auf viele Kommentare!
(P.S.: Für diesen Text wurde übrigens ein Honorar gezahlt, und es war auch nicht weniger als ich selbst für einen solchen Beitrag erhalten hätte – was aber immer noch sehr bescheiden ist.)
Ein Manifest
Die Reichen und Mächtigen dieser Welt werden weder aus Einsicht, noch aus Besinnung die notwendigen Veränderungen angehen … und wo seit geraumer Zeit viele Beschreibungsbezeichnungen bei Kreativen den Zusatz „based in“ tragen, muss ich vorweg einmal sagen: Ich, für meinen Teil, LEBE in dieser Welt. Ich fühle mich nicht so, als wenn ich irgendwo einen zeitweisen Sitz hätte oder, durch meinen Beruf und die Aufträge, diesen zugewiesen bekommen würde. Ich suche ihn selbst aus und führe mein Leben. Ich versuche Herr über meine Zeiteinteilung zu bleiben und erst recht über die Inhalte meiner Arbeit. Ich verkaufe meine Lebenszeit nicht für Wohnen, Essen und Kleidung, sondern ich investiere Lebenszeit in Inhalte, die die Welt transformieren. Ich gehe also einer sinnvollen gesellschaftlichen Tätigkeit nach …
Eine Qualität von Kunst ist es, Kurzschlüsse und inhaltliche Verknappung so zu arrangieren, dass ein gesellschaftlicher Erkenntnisgewinn, ein inhaltlicher Anstoß oder auch Unterhaltung vom Rezipienten entgegengenommen werden können. Kunst – oder im weiteren Sinne Kulturproduktion – ist somit eine ganz seriöse Tätigkeit und sollte seriös entlohnt werden: Geld als Gegenleistung für die verrichtete Arbeit.
Der Profitrhythmus
Im Fall einer Auftragsanfrage, für ein zu erarbeitendes Werk, benötigt der Künstler Geld für: 1. die Zeit der Recherche zur Einarbeitung in das Thema, 2. das Material für ein neues Werk und 3. die Arbeitszeit, um das Produkt, in meinem Fall, als Zeichnung, Text und Layout zu erarbeiten. Man arbeitet allerdings nicht kontinuierlich, beispielsweise täglich 8 Stunden, an Erfindungen und Lösungen, sondern jeden Tag ein Stück und zeitgleich auch an anderen Projekten ein Stück weiter. Kreativität ist keine Büroarbeit, sondern Anspannung und Pause für fortlaufende Fresh Eyes on the Product.
Unsere Gesellschaften funktionieren mittlerweile nach einem „weltumspannenden Profitrhythmus“ (Milo Rau) und es kann dabei vor allem nicht sein, dass der Bereich der Kulturproduktion marktradikaler geregelt ist als die ohnehin schon turbokapitalistische Welt. Bisweilen verdienen 98% der Kulturschaffenden, die nicht an den Kaviartöpfen der jetsettenden Prominenz geduldet sind, weniger als mein Frisör und der (wie man sehen kann, wenn ich keine Mütze trage) verdient nicht viel an mir!
Menschen, die beispielsweise im Marta die Kräne für mich rauf und runter gefahren haben, besitzen unter Umständen ein Auto, eine Familie mit 2 Kindern, ein Haus. Und ich sage ausdrücklich: Das ist gut so! Ich stelle einen Teil des Inhaltes einer Ausstellung her und finde mit meiner Freundin bei den aktuellen Mietpreisen in Berlin nicht einmal eine gemeinsame Wohnung. Und an dieser Stelle sage ich nochmal ausdrücklich: Fuck You, Kapital! Und Fuck You eingestellter sozialer Wohnungsbau, damals in den 90ern des letzten Jahrhunderts. Nicht, dass ich irgendetwas geben würde für irgendeinen bürgerlichen Standard, aber wenn ich theoretisch nicht mal eine Wahl habe, könnte man auf die Idee kommen, ein System dahinter zu vermuten: Teilhabe nur über Einverständnis mit den Verhältnissen. Und hier sage ich dann: Ändern wir also die Verhältnisse!
Loose-loose-Situationen
Nun ist es nicht eben förderlich Hofkünstler oder einfach dabei sein zu wollen, wenn man die Verhältnisse ändern will. Wäre unsere Welt eine, die es uns im Mittel gut gehen lassen würde, hätten wir gleichmäßiger verteilten Besitz und weniger Bodenschatzaggression gegenüber anderen Gegenden dieser Welt, könnte man vielleicht sagen: Dabeisein wäre schon irgendwie in Ordnung … „Die Wahrheit unseres Kontinents liegt“ aber wahrscheinlich „weit jenseits der Mittelmeer-Mitleids-Politik, mit der wir uns vom Elend der Welt freikaufen“ wollen. Denn „unser derzeitiger Humanismus ist ein zynischer“, behauptet der Theaterregisseur Milo Rau. Und „Kapitalismus ist keine Naturkraft“, sagt der inzwischen in China lebende und lehrende Politologe Jan Turowski, der darüber hinaus meint, dass wir uns inmitten einer Metakrise befänden und die Welt vor einer zweiten großen Transformation stehe.
Es ist also „Abend im Abendland“ und es bedarf dringend einer Korrektur auf ALLEN Gebieten. Über Ländergrenzen hinweg, weltweit und aus zig Disziplinen heraus muss sie gemeinsam organisiert werden. Ein Bestandteil davon ist: Kulturproduktion, also Kunst, also ich, also wir, also IHR!
Und dabei ist es als Künstler nicht meine Aufgabe zu networken bis der Arzt kommt. Ich persönlich will gar nicht Kalif anstelle des Kalifen werden (Isnogud, der Großwesir, wollte das immer …). Ich will das Kalifat abschaffen.
Die Sponsoren der aktuellen Kunst und Kulturproduktion befinden sich also in einer Loose-loose-Situation. Fördern sie Kulturproduktion, welche den Status quo erhält, gehen sie mit Europa, der westlichen Welt und dem ganzen Rest baden. So wir genau jenes zu diesen Zeiten besonders deutlich bemerken, wo wir vor 10 Jahren noch nicht davon hören mochten. Fördern sie mich oder Kulturproduktion in meinem Sinne, geht ihr Kapitalismus baden und sie werden sich eher als Gleiche unter Gleichen wiederfinden. Die Frage ist also: Wer sind sie?
Die Kunst ist ein Narrativ, das in der Lage ist/ wäre unablässig Werte oder Meta-Erzählungen, welche Gesellschaften neu beschreiben, in diese hineinzutragen. Erzählungen und Inhalte, welche wir dringendst benötigen …
Mindestlohn für die Kunst
Ich benötige bei meiner Arbeit einen Stundenlohn, der in Konkurrenz zu anderen Löhnen steht. Da ich in vielen unterschiedlichen Bereichen arbeite, konkurriert ein Museum, mit Architekturbüros, Printmedien, Filmproduktionen, Verlagshonoraren für Buchpublikationen etc. Und wisset: Konservative Medien oder die Werbewirtschaft, für die ich nicht arbeite, weil sie Demokratie abbauen, zahlen immer am meisten. Linke Medien, beispielsweise der Verbrecher-Verlag in Berlin, die die Welt nachhaltig, sprachlich, politisch, wissenschaftlich und künstlerisch durchdringen, haben ein Budget, welches meinem Engagement dort häufig einem Ehrenamt gleichkommen lässt …
Deshalb erwarte ich umso mehr z. B. vom Museum Marta Herford in Zukunft Strukturen, die helfen Machtkonzentrationen in unseren Gesellschaften abzubauen und Demokratie zu erhalten; die also sinnvolle gesellschaftliche Tätigkeiten wie Kulturproduktion/Kunst, in inhaltlich breiterem und materiell weitreichenderem Umfang stützen.
Dafür benötigen die Künstler wenigstens einen konkurrenzfähigen Mindestlohn und besser ein garantiertes Grundeinkommen vom Auftragsbeginn an. Dafür hätte unsere künstlerische Arbeit dann aber auch so etwas wie „globalen Realismus.“ Auch wir sind dafür zuständig „eine globale politische Empfindsamkeit“ zu entwickeln. Kunst als „weltweit gedachte“ und auch eingelöste, „praktische Solidarität.“ (nochmal Milo Rau; alle Zitate aus: Milo Rau/ Rolf Bossard: Was ist zynischer Humanismus. Ein Gespräch über Macht und Ohnmacht der Zukunft, Neue Rundschau, Heft 1, 2016)
Es ist also Zeit. Und um es mit dem heute 75-jährigen Bob Dylan zu sagen: The times, they are a changin’.
Zum Gastautor:
Mein persönliches Lieblingswerk von Oliver Grajewski ist noch immer „Der Tag im Moor“ (2012), eine gezeichnete Jugend in Schlesweg-Holstein, aber auch „tokio, das rückwärtstagebuch“ (2009), das er mit Kathrin Röggla geschrieben hat, ist sehr lesenswert. Jüngst erschienen ist „Abend im Abendland“ (2015), eine über 11 Jahre entwickelte Serie von Comic-Strips. Und dann entstanden seit den allerersten Tagen als Zeichner noch 19 „Tigerboy“-Hefte, die 2007 in einem dicken Tigerboy-Buch zum Abschluss kamen.