Ästhetisierung des Alltags: Wie trügerisch ist Instagram?
Die Ausstellung „Trügerische Bilder“ entzieht sich einer schnellen Betrachtung, denn sieben Künstler*innen spielen mit unserer Wahrnehmung. Auch auf Instagram ist genaues Hinsehen gefragt: Der schöne Schein der ästhetischen Aufnahmen ist trügerisch und sollte stets hinterfragt werden. Wie viel Vertrauen können wir den dort veröffentlichten Informationen wirklich schenken?
Im Januar 2021 gaben weltweit 1 Milliarde Personen an, Instagram regelmäßig aktiv zu nutzen. Die Hauptzielgruppe des sozialen Netzwerks sind die 25 bis 34-Jährigen. Seit August 2012 gehört es zum Unternehmen „Facebook Inc.“. Es geht dort vor allen Dingen darum, eigene Bilder zu teilen, Fotos von Freund*innen und Bekannten zu sehen und sich von Accounts sogenannter Influencer*innen inspirieren zu lassen. Aber diese Inspiration ist gleichzeitig das, was die Nutzung so gefährlich macht. Schnell entsteht der Eindruck, dass das Gras auf der anderen Seite grüner, die Wohnung des Influencers schöner und die Beziehung der Freundin glücklicher ist.
Die Ästhetisierung des Alltags
Jemand der die Ästhetisierung von Alltagsgegenständen nicht digital, sondern in altmeisterlicher Ölmalerei auf die Spitze treibt, ist der englische Künstler James White. Einige seiner Werke sind aktuell in der Marta-Ausstellung „Trügerische Bilder“ zu sehen. Zusammen mit sechs weiteren Künstler*innen prüft White die eingespielten Wahrnehmungsmechanismen der Besuchenden, in dem er sich zwischen fotorealistischer Darstellung und malerischem Illusionsraum bewegt. James White arrangiert seine Motive nicht, wie es viele Influencer*innen tun, sondern findet sie unmittelbar in seiner Umgebung. Ein laufender Wasserhahn mit Kalkflecken, achtlos abgestellte Gläser mit Abdrücken am Rand – seine Bilder gleichen zufälligen Schnappschüssen, feinste Nuancen sind gestochen scharf wiedergegeben. Auch wenn seine Bilder wie Fotografien wirken, dienen diese lediglich als Vorlage. Das Spiel zwischen Realität und Fiktion beherrscht der Künstler meisterhaft: Aus der Ferne wirken seine Szenen trügerisch echt, um sich im nächsten Augenblick als malerische Konstruktion zu entpuppen.
Wie trügerisch ist Instagram?
Wie echt sind nun aber die Bilder, die wir auf Instagram sehen und wie viel Vertrauen schenken wir dort geteilten Inhalten? Das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) erforscht den Medienwandel und die damit verbundenen strukturellen Veränderungen öffentlicher Kommunikation. Dort wurde der „Reuters Institute Digital News Report 2020 – Ergebnisse für Deutschland“ herausgebraucht, welcher mittels einer Teilstudie die verschiedenen Optionen zur Nachrichtennutzung in Deutschland untersucht. Auch wenn Nachrichtenpostings nicht den Fokus auf ästhetische Bilder, sondern auf Informationen (meistens sogar in Form von Textkacheln statt Fotos) setzen, nutzten 2020 56 Prozent der Gruppe der 18 bis 24-jährigen die sozialen Medien als Ressource für Nachrichten. Geht mit der Nutzung denn auch ein blindes Vertrauen in die veröffentlichten Inhalte einher?
Leonie Wunderlich, Junior Researcher am Leibniz-Institut für Medienforschung, ordnet die Ergebnisse der Studie für uns ein: „Allgemein sinkt das Vertrauen in Nachrichten unter jungen Erwachsenen: Den Nachrichten, die sie tatsächlich nutzen, vertrauen insgesamt 48 Prozent im Jahr 2020, während es im Jahr 2019 noch 62 Prozent waren. Und: Nachrichten in sozialen Medien vertrauen lediglich 13 Prozent der 18- bis 24-Jährigen, jeder Zweite tut dies explizit nicht (50 %). Daraus kann man schließen, dass Instagram, zumindest in Bezug auf Nachrichten von der Mehrheit nicht als vertrauenswürdiges Nachrichtenportal angesehen wird.“
Trügerische Perfektion
Laut dem „Reuters Institute Digital News Report 2020“ werden bei der Berichterstattung Informationen von Expert*innen insgesamt als am vertrauenswürdigen eingestuft. Soziale Medien und Menschen, die man persönlich NICHT kennt, gelten hingegen als kaum vertrauenswürdig. Doch wie wirken nun die ästhetischen Alltagsschnappschüsse von uns (vermeintlich) bekannten Personen? „Eine Befragung von Instagram-Nutzenden, die von Manuel Faßmann und Christoph Moss im Jahr 2016 durchgeführt wurde, weist darauf hin, dass die Plattform im Vergleich zu Facebook und Twitter ‚der am emotionalsten empfundene Social-Media-Kanal‘ ist“, berichtet mir Leonie Wunderlich. Bilder von lauen Sommerabenden auf der Terrasse, Fotos vom neuen Auto, oder romantische Pärchenschnappschüsse lösen Emotionen aus, die bei mir meistens irgendwo zwischen Freude und Neid anzuordnen sind. Bei ihrem Anblick sollte man jedoch nie vergessen, dass diesen Bildern mindestens Filter und Bearbeitungsprogramme, manchmal sogar aufwändig ausgeleuchtete Fotokulissen zugrunde liegen. Viele Influencer*innen haben inzwischen das Geschäft mit dem perfekten Bild zum Beruf gemacht. Nicht selten steht hinter dem vermeintlichen Alltagsschnappschuss der liebgewonnenen Instagramprominenz ein Werbepartner, der ein Produkt verkaufen will.
Instagram als Krankmacher?
Wie gefährlich ist denn nun dieser tägliche Vergleich mit dem Leben der anderen? Leonie Wunderlich klärt auf: „Potenzielle Gefahren sind differenziert zu betrachten; zumal die Wirkung solcher sozialen Medien natürlich sehr individuell ist. Allerdings bildet die Selbstdarstellung bei der Identitätsbildung von Jugendlichen einen wichtigen Anteil – und diese findet heutzutage eben zum großen Teil online, genauer auf sozialen Netzwerkplattformen wie Instagram statt. Diese Plattformen bieten reichhaltige Möglichkeiten zum sozialen Vergleich. Der fällt für die meisten Nutzenden negativ aus, weil professionelle Akteure wie Influencer*innen und Instagrammer*innen als vermeintlich ‚normale‘ Personen auftreten, in der Regel jedoch (scheinbar) mehr Geld haben, mehr Urlaub und Sport machen, also ein ‚besseres‘ Leben führen.“
Kann die Ästhetisierung des Alltags auf Instagram also krank machen, Leonie Wunderlich? „Nicht zuletzt wird die Nutzung von sozialen Netzwerkplattformen immer wieder in Zusammenhang mit mentalen Krankheiten gesetzt. Veröffentlichte Studien über den Zusammenhang zwischen der Anwendung sozialer Medien und Depressionen haben allerdings gemischte Ergebnisse erbracht: Einige Studien deuten darauf hin, dass SM-Nutzende weniger Depressionen erleben, möglicherweise aufgrund einer Zunahme des sozialen Kapitals, der wahrgenommenen sozialen Unterstützung und der Lebenszufriedenheit. Andere Studien deuten jedoch darauf hin, dass die häufige Nutzung sozialer Medien mit einer Abnahme des subjektiven Wohlbefindens, der Lebenszufriedenheit und der Gemeinschaft im realen Leben verbunden sein kann.“
Der Blick hinter die Kulissen
Am Ende ist es also wie mit allem im Leben: Es kommt auf das richtige Maß an. Ein differenzierter Austausch auf Instagram kann das soziale Wohlbefinden erhöhen; das zur Schau gestellte Leben der Influencer*innen kann inspirieren und die ästhetischen Bilder können – ähnlich wie bei einem Museumsbesuch – anregend wirken. Die trügerischen Bilder sollten jedoch stets hinterfragt und ins rechte Licht gerückt werden. Wie in unserer aktuellen Ausstellung ist bei einer schnellen Betrachtung Vorsicht geboten, denn der erste Eindruck trügt und genaues Hinsehen ist gefragt.