Alles Theater – Wie viel Inszenierung braucht die Kunst?
Wenn im Ausstellungskontext Vokabeln wie „spektakulär“, „cross-medial“ oder „atmosphärisch dicht“ verwendet werden, dann wird man hellhörig. Oft ist dieses Aufmerken auch damit verbunden, dass breitere Besucherschichten mit neuen Präsentationsformen angesprochen werden. Und dass man sich auf visuell höchst Eindrückliches einstellt. Ist das Theater die neue Kunst?
Wer im vergangenen Jahr die Biennale in Venedig besuchte, brachte viel Enttäuschung mit nach Hause, aber trotz allem auch einige „Abers“. Unter anderem: „Aber! Die Ausstellung The boat is leaking / the captain lied mit dem Filmemacher Alexander Kluge, dem Fotografen Thomas Demand und der Bühnenbildnerin Anna Viebrock in der Fondazione Prada, die war großartig!“ Und zweifellos war der labyrinthische Rundgang durch die Räume des Ca’ Corner della Regina allemal beeindruckend. Die großformatigen Fotografien von Thomas Demand fügten sich bisweilen kongenial in Viebrocks Kulissen, während die retrospektiv ausgebreiteten Kluge-Filme für diskursiven Tiefgang sorgten und erstaunliche Querverbindungen aufnahmen.
Diskurs mit Komfort
Ich erinnere mich noch gut, wie ich in den 1980er-Jahren im engen Programmkino voller Verachtung für die banalen Hollywood-Produktionen saß und den langsam dahinfließenden Film-Essays von Alexander Kluge wie intellektuellen Exerzitien folgte. Die Patriotin (1979), Die Macht der Gefühle (1983) oder Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit (1985) erforderten Sitzfleisch, Aufmerksamkeit und Konzentration, blieben – zumindest bei ersten Ansehen – immer auch an einigen Stellen enigmatisch. Auf jeden Fall aber waren sie stilbildend und ein Muss für jeden intellektuellen Kulturinteressierten.
So war es sicherlich höchste Zeit, Kluges Werk in Form von Retrospektiven neu zu sichten, doch erstaunlicherweise tun dies derzeit weniger die Filmfestivals, Programmkinos oder das Kulturfernsehen, sondern diverse Ausstellungen: neben Venedig auch in Barcelona, Essen, Stuttgart und Wien. Das hat durchaus seine Berechtigung, denn neben seinen vielen Filmen entstand ein beeindruckendes Werk aus Büchern, Hörspielen, Fernsehproduktionen, Kurzgeschichten und vielen anderen Formaten. Doch anstatt sich noch einmal auf die harten Holzklappstühle des alten Programmkinos zu klemmen, kann man diesem Werk heute aus der Haltung des Flaneurs begegnen: Hier ein Häppchen, dort ein Ausschnitt und das Ganze eingebettet in eine abwechslungsreiche, einladende Inszenierung der Ausstellungsräume.
Regisseur*innen statt Kurator*innen
Da kann man eigentlich auch kaum noch etwas falsch machen, wenn man den Filmemacher direkt mit dem Werk einer Bühnenbildnerin und eines Produzenten von inszenierten Großfotografien zusammenbringt. „Atmosphärisch dicht“ wird das allemal. In ähnlicher Weise hat auch das Museum für moderne Kunst in Frankfurt am Main kürzlich Werke der zeitgenössischen Kunst aus der eigenen Sammlung vom Regisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag als eine gleichermaßen düstere wie faszinierende Parallelwelt inszenieren lassen. Unweigerlich beginnen die Kunstwerke zu schillern, eine changierende Existenz einzunehmen zwischen unwägbaren Akteuren eines zu erkundenden Theaterstücks und befremdlichen Requisiten eines großen Bühnenbilds. Drängender als sonst stellt sich dann auch die Frage danach, um wen oder was es eigentlich geht.
Das wiederum kommunizieren in jüngerer Zeit Präsentationen, die die großen Sprünge zu den anderen Künsten im Museum unternehmen, sehr eindeutig. Überblicksausstellungen über das Werk von Musiker*innen wie David Bowie (London, Berlin, Groningen …) und Björk (New York) oder der Musik-Gruppe Pink Floyd (London, Rom, demnächst Dortmund …) kreuzen das Format der Kunstausstellung mit dem Inszenierungs- und Selbstdarstellungswillen der Pop-Kultur, indem ambitionierte Selbstvermarktungsstrategien künstlerisch aufgeladen und als multimediales Gesamterlebnis in einen vielfach klar vorstrukturierten Parcours gebracht werden.
Auch Filmregisseure, die ursprünglich antraten, um die Grenzen und Möglichkeiten des eigenen Genres zu sprengen und neu zu definieren, finden sich jetzt im ungewohnten kunsthistorischen Kontext: Das Max-Ernst-Museum in Brühl präsentierte 2015 den Regisseur Tim Burton wie einen Maler und Bildhauer, in wenigen Tagen wird der Theaterkünstler Robert Wilson das gleiche Haus „in eine Art surreale Kunst- und Wunderkammer“ (Museumswebsite) verwandelt haben, und 2019 inszeniert der Filmregisseur Wes Anderson die Sammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien – im Gespann mit seiner Frau, der Designerin Juman Malouf, kann auch dort hinsichtlich der Erlebniswerte nicht mehr viel schief gehen.
Auf dem Weg zur Hyperaktivität?
Wird das Museum für das breite Publikum also immer mehr zur Schaubühne für Inszenierungen mit großer Geste, während die Theater (siehe jüngst die Berliner Volksbühne) eher vom breit besetzten Publikumssaal zum sperrigen Performance-Palast für Kenner mutieren? Und ist eine der Filmpuppen des Regisseurs Tim Burton auf dem Museumssockel letztendlich auch nichts grundsätzlich Anderes als eine Skulptur zum Beispiel von Antony Gormley? Was verändert sich, wenn Werke der bildenden Kunst zu Akteuren innerhalb eines übergeordneten Bühnenbildes werden, wenn die Inszenierung gleichermaßen im Mittelpunkt steht wie die Kunstwerke?
Für uns als Betrachter*innen ergibt sich in jedem Fall eine massive Steigerung des Ausstellungserlebnisses, es wird kurzweiliger, spartenübergreifend, unter Umständen multisensorisch und höchst sinnlich. Wir erleben Kultur als einen ungemein anregenden, vielgesichtigen Erfahrungsraum, in dem Unterscheidungen zwischen High und Low immer weniger wichtig sind, in dem Diskurs und Schauwert in ein gemeinsames Bett steigen und Kontexte fließend werden. Aber genauso gut könnte es auch sein, dass der Erfolgsdruck das Museum mehr und mehr zum ADHS-Patienten werden lässt, hyperaktiv, rastlos auf mehreren Kanälen gleichzeitig kommunizierend und mit Aufmerksamkeitsspannen von weniger als 30 Sekunden. Was wird dann unser kulturelles Ritalin?
Vielleicht liegt die Zukunft doch eher jenseits der Bühnen im Museum als Forschungslabor …
2 Replies to “Alles Theater – Wie viel Inszenierung braucht die Kunst?”
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Für mich ist der Planet Erde und die Weltmenschheit das aktuelle, triviale Museum.
Wolfgang Püschel
Grevenburg,den 12.Mai 2018
Aber wie schön, wenn es dann noch Künstler*innen gibt, die diese Welttheater-„Exponate“ in eine neue, über sie hinausweisende Form übersetzen …