„Art for me is all about audience“: Das Kunstwerk als Fake News?
Was erwartet das Publikum jetzt von gegenwärtiger Kunst? Vielleicht eine neue Form von intelligenter Unterhaltung?
Kaum etwas aktiviert gerade Kunstbetrachter und -leser so sehr wie eine knappe steile These, die eine smarte Erkenntnis mit neuartigen Assoziationen, mit Sprachwitz und einer Lust am eigenen Nach-Denken miteinander kombiniert.
Von Gavin Turk, dem englischen Künstler, dessen Werke im Frühjahr 2017 im Marta Herford in einem Dialog mit seinem Künstlerkollegen Jens Wolf gezeigt werden, stammt eine clevere Definition von Kunst: „Art for me is all about audience.“ („Für mich geht es in der Kunst immer um das Publikum.“). Er bringt damit ein Problem, einen Ort und eine Frage in einem Satz auf den Punkt. Und er erläutert in seinem neuesten Ausstellungskatalog (Who,What, When, Where How and Why, Newport Street Gallery, London 2016) seinem Gesprächspartner Damien Hirst: „Who is your best audience? Well, your best audience is someone really similar to yourself, but ever so slightly cleverer.” („Wer dein bestes Publikum ist? Nun, das beste Publikum ist dir ziemlich ähnlich, aber immer ein wenig klüger als du.“). So einfach und so schön kann ein Künstler heute formulieren, wenn er offenbar leidenschaftlich für seine Sache brennt. Aber auch Feuilletonjournalisten, die Servicetechniker unter den Angehörigen des Kulturbetriebs, sind natürlich Profis, um tiefere Erkenntnisse wunderbar niederschwellig zu präsentieren. So etwa gerade der Kritiker Gerhard Matzig, der kürzlich in der Süddeutschen Zeitung in einem kleinen feinen Text über das coole Design des iPhones schreibt: „Nichts ist so tief wie die Oberfläche. Das ist der zweite Hauptsatz der Moderne.“ (SZ v. 7./8. Januar, S. 45) Das iPhone als ikonischer Höhepunkt der Design-Moderne ist wie früher jener Rennwagen, so Matzig, von dem die Futuristen meinten, dass er schöner als Nike von Samothrake sei.
Fake News
In der politischen Gegenwart beherrscht ein Schlagwort die Diskussion, die sich vor den Augen und Ohren des Publikums ereignet: Die Rede ist von Fake News. Was passiert, wenn man das Kunstgeschehen selbst als eine Erzählung aus Fake News dekonstruieren würde? Eine beinahe erschreckende, fast ins Bodenlose führende Frage wird plötzlich denkbar: Unterscheiden sich Kunstwerke von Fake News? Wenn ja, was könnte damit genauer gemeint sein? Eine coole These oder eine provokante Frage wie diese lebt heute dadurch, dass gerade deren Übertreibung Wirklichkeiten plötzlich ganz neu erlebbar machen. Indem hier zwei Aspekte, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, in einer dritten Aussage miteinander verknüpft werden, entsteht eine Pointe, die einerseits an etwas Unangenehmes, politisch Inkorrektes erinnert und andererseits ganz kritische Assoziationen heraufbeschwört. Einem Kunstwerk kann man offenbar weder eindeutig glauben noch eindeutig misstrauen. Jedoch kann man ein Kunstwerk in Beziehung mit einer anderen Realität wahrnehmen – beispielsweise kann man es mit einem kommunikativen Phänomen wie Fake News vergleichen. Als eine spezielle Form von Fake News repräsentiert das Kunstwerk eine ästhetische Realität, die, obwohl sie kommuniziert, nicht an deren Eindeutigkeit geschweige denn Wahrheit, sondern vor allem an einer speziellen Form von Selbstkritik interessiert ist.
Zurück zu Gavin Turk: Ein gelingendes Werk offeriere, so Gavin Turk, einen „benefit of doubt“ („Vertrauensbonus“). Anders gesagt: Kunst operiert als Kunst dann optimal, wenn sie ihr Publikum auf eine spezielle Weise triggert. Man muss ja bei der Begegnung mit Kunst und ihren komplexen Ideen nicht gleich alles verstehen wollen. Auch wenn Ausstellungsführungen noch so professionell sind: Als Betrachter möchte man aber gerne selbst erkennen können, was jetzt als Erfahrung von Kunst – und eben nicht nur von technischen oder historischen Informationen – in einem selbst zurück bleiben wird. Die aktive Begegnung mit Kunstwerken erhöht die Unsicherheit des eigenen Wissens und führt zu jenem unwahrscheinlichen Moment, in dem mir vielleicht etwas ganz Neues wie eine schöne Formulierung widerfährt. Im Netz, innerhalb des Museums, außerhalb des Museum, in der gegenwärtigen Imagination: Bilder von Kunst existieren überall. Aber ein Bild, das Kunst entspricht, will immer erst noch gefunden werden. Und auch hier gilt: Schöne Sätze sind kurz – machen aber viel Arbeit.