Aus der Toilette ins Museum?
Das Thema Recycling ist längst in der Gesellschaft angekommen: Wir shoppen unsere Kleidung in angesagten Second-Hand-Läden, kaufen Möbel und Porzellan auf Flohmärkten und tragen zum Einkaufen einen Rucksack aus recycelten PET-Flaschen. Aber würden wir auch ohne Weiteres Dinge nutzen, die aus benutztem Toilettenpapier hergestellt wurden?
Im Rahmen des Projekts „Fecal Matters“, das zurzeit in der Marta-Ausstellung „9. RecyclingDesignpreis“ zu sehen ist, stellen sich Lobke Beckfeld, Nicholas Plunkett, Elisabetta Goltermann und Melissa Kramer aus Berlin die Frage: Kann ein Material, das die Toilette hinuntergespült wurde, zu einem Designobjekt werden? Die kurze Antwort lautet: ja!
Aufbauend auf der Möglichkeit, aus alten Hygieneartikeln ein neuwertiges Zellulose-Material zu gewinnen, hat das Team eine Kommunikations- und Designstrategie entwickelt, die die Möglichkeiten der Wiederverwertung von Abfallmaterialien auslotet. Dabei wird auch verhandelt, wo die Grenze zum Ekel liegt und inwieweit es durch eine Gestaltung gelingen kann, diese zu verschieben.
„Ganze Wälder spülen wir die Toilette hinunter“
Warum es überhaupt erstrebenswert ist, mögliche Anwendungsbereiche für benutze Hygieneartikel zu erschließen, liegt an der enormen Ressourcenverschwendung und dem ökologischen Fußabdruck: In Deutschland werden im Jahr ca. 134 Rollen Toilettenpapier pro Person verwendet – das sind rund 12 kg, also so viel wie ein großer Sack Hundefutter. Davon werden aber nur etwa 25% aus recyceltem Material hergestellt, die übrigen 75% sind Frischfasern. Konkret bedeutet das, dass jeden Tag 27.000 Bäume im Regenwald für den weltweiten Bedarf an Toilettenpapier gefällt werden. Hinzu kommen für jede Rolle noch 50l Wasser.
Was passiert nach dem Gebrauch?
Obwohl Zellulosefasern eigentlich bis zu sechsmal wiederverwendet werden können, wandert das benutze Toilettenpapier als Einwegprodukt direkt in den Müll. In Deutschland wird es zum Beispiel aus der Kanalisation gefiltert und anschließend verbrannt. Einen nachhaltigeren Weg geht die Firma Cellvation in den Niederlanden, die im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts eine Technik entwickelt hat, um Toilettenpapier zu recyceln: Nachdem Haare und andere Materialien entfernt wurden, wird es gewaschen und gefiltert. Anschließend wird die Masse entwässert und desinfiziert. Am Ende dieses Prozesses entstehen Fluff und Pellets, die zu 90% aus Zellulose bestehen.
An dieser Stelle setzt „Fecal Matters“ mit der Frage an, inwieweit sich dieser recycelte Rohstoff nutzen lässt. Verwendung findet er bereits als Material für den Straßenbau, aber könnten daraus auch Kleidung und sogar Geschirr gefertigt werden? Nachdem sich Bambus als denkbar schlechtes Material für Kaffeebecher to go herausgestellt hat, wäre das doch eine interessante Alternative. Oder verhindert unsere befangene Wahrnehmung, die Innovationskraft dieser Materialnutzung zu erkennen?
Alles nur eine Frage der Einstellung?
Materialerkundungen wie diese, die zu der Entwicklung von nachhaltigen und zukunftsfähigen Werkstoffen aus Abfallprodukten führen, werden beim Recyclingdesignpreis immer präsenter. So können Besucher*innen in der dazugehörigen Ausstellung im Marta Herford unter anderem eine Leuchte aus Avocadokernen, biologisch abbaubare Verpackungen aus Krustentierschalen, Regale aus Ei-, Nuss- und Kakaoschalen oder Sommerschuhe aus Lauch bestaunen.
Wesentlicher Unterschied zwischen diesen Upcycling-Ideen und „Fecal Matters“ ist die negative Sichtweise auf den Ausgangsstoff, die durch persönliche Gewohnheit und gesellschaftlichen Kontext geprägt ist. Gerade aus diesem Grund ist es wichtig, ein solches Projekt im Museum auszustellen. Es zwingt uns, bestehende Tabus, gesellschaftliche Normen und unsere persönliche Befindlichkeiten kritisch zu hinterfragen und uns zumindest gedanklich aus unserer Komfortzone zu bewegen.
Weitere Informationen zu dem Projekt „Fecal Matters“ bietet ein illustratives Video in englischer Sprache.
2 Replies to “Aus der Toilette ins Museum?”
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Ein Thema, mit dem man sich vielleicht nicht so gerne beschäftigen will, das aber unglaublich wichtig ist. Ich ärgere mich zum Beispiel auch immer über die gefärbten und stark duftenden Zusätze, die bei vielen Menschen den Spülgang in der Toilette begleiten. Der Wahnsinn, was da für Chemie mitgespült wird. Fecal Matters macht mich Schmunzeln. Aber super, dass ihr das Thema aufgreift.
Herzliche Grüße und bis bald
Anke
Liebe Anke,
das Schöne an „Fecal Matters“ ist für mich, dass es dieses super wichtige Thema so charmant und mit Augenzwinkern vermittelt! Beim Schreiben musste ich auch echt schmunzeln, gleichzeitig hat es mich aber auch ganz schön zum Nachdenken gebracht.
Liebe Grüße
Jasmina