Berührungen: Wie reagieren, wenn man Teil einer Performance wird
Erfahrungsgemäß ist man beim Betreten von Ausstellungsräumen auf so einiges vorbereitet, aber was passiert, wenn man die Kunst nicht nur betrachtet, sondern selbst zum Objekt der Betrachtung wird?
Stefanie Trojan, Performance-Künstlerin aus Frankfurt, überrascht, provoziert und bringt die Betrachter/Beteiligten mit ihren Aktionen auch oftmals in Verlegenheit. Aktuell zeigt „Die innere Haut“ Videos ihrer Performances „schmiegsam“ (2006), „öffentliche toilette“ (2010) und „brunnenskulptur“ (2011), in denen sie sich z.B. auf öffentlichen Plätzen duscht oder ihre mitgebrachte Camping-Toilette benutzt. Auch Marta Herford war schon der ausgewählte Ort für zwei ihrer künstlerischen Aktionen. Das erste Mal 2005 anlässlich der Eröffnung und nun dieses Jahr am Internationalen Museumstag.
„Sie arbeitet nicht mit Bildern, sondern mit dem Erleben. Sie hinterfragt die Gewohnheiten der Menschen und stellt sie dem Betrachter in einer Aktion gegenüber.“ (Quelle: Website der Künstlerin Stefanie Trojan)
Das künstlerische Material ist dabei ihr eigener Körper. Die Personen um sie herum werden mal zur Leinwand, mal zum eher unbeteiligten Rezipienten. 2005 nahm die Künstlerin ohne Vorwarnung die Hand einzelner BesucherInnen und umklammerte diese für eine Weile. Sie folgte den Menschen dann, egal wo sie sich hinbewegten. Ich war eine ihrer „Auserwählten“. Damals als Teenager fand ich es, um ehrlich zu sein, ziemlich unangenehm.
Erst war ich nur irritiert, ja auch belustigt über die Tatsache, dass mich eine fremde Frau einfach an die Hand nahm. Ich erinnere mich, dass ich ihr sagte, sie hätte sich vielleicht vertan. Für einen Moment akzeptierte ich die Situation wie sie war. Sie wird sicher gleich weitergehen, so war zumindest mein Gedanke. Aber sie hielt weiter meine Hand und als ich versuchte sie abzuschütteln, erhöhte sie nur den Händedruck. Ich deutete an, die Toilette aufzusuchen und auch dann machte sie keine Anstalten von mir abzulassen. Irgendwann überforderte mich die Situation zunehmend und ich reagierte gereizt.
Wirklich unangenehm waren die Blicke der anderen BesucherInnen, die diese Situation eher als Krise zwischen zwei Menschen und nicht als eine Kunstperformance deuteten. Nach einer gefühlt sehr langen Weile ließ die Künstlerin wortlos und ohne Gesten von mir ab. Und ich wurde durch die Frage „Wer war das denn?“ von meiner Begleitung aus der Irritation herausgeführt. „Keine Ahnung!“, war damals meine Antwort.

Was geschah?
Diese Erfahrung ist nun zwölf Jahre her und seither habe ich mir einige Performances angeschaut. Jedes Mal wird darüber gefachsimpelt, welche Intention die verschiedenen Kunstschaffenden wohl hätten, die eigenen Empfinden werden dabei oftmals oder zunächst außer Betracht gelassen. Das damalige für mich mit Scham besetzte Erlebnis versuchte ich erst einmal zu verdrängen. Warum eigentlich? Warum wurde ich von dieser simplen, doch eigentlich liebevollen Geste so irritiert?
Es war vermutlich die Tatsache, dass die Künstlerin damit nicht sich selbst, sondern mich in den Vordergrund gerückt hatte und dass ich nicht selbst entscheiden konnte, wann die Performance zumindest für mich beendet war. Immer wieder hinterfragte ich aber auch meine eigene Reaktion, insbesondere wenn ich anderen Menschen von diesem Vorfall erzählte. Und das war letztendlich genau das, was die Künstlerin bewirken wollte.
Und heute?
Am Internationalen Museumstag, hatte ich die Chance die Rolle des Beobachters einzunehmen. Mit „streicheleinheit“ präsentierte sich Stefanie Trojan inmitten der Ausstellung „Die innere Haut“ und nicht zu übersehen im Durchgang zwischen zwei Galerien. In einem sommerlichen Kleidchen forderte sie die BesucherInnen mit geschlossenen Augen auf, sie zu streicheln und schaute ihnen dann tief in die Augen.
Viele Besucher waren zunächst irritiert, überhörten die Bitte absichtlich und gingen einfach weiter. Andere wiederrum kamen ihr nach, waren dabei aber sehr zurückhaltend. Die Künstlerin animierte die BesucherInnen sich aktiv zu beteiligen und belohnte sie dann mit einer Reaktion. So viel ist klar: Jemanden Fremdes einfach zu streicheln scheint erst einmal Hemmungen auszulösen, was tendenziell nichts Schlechtes bedeutet! Das heißt ja auch, dass man die Intimsphäre des Anderen schätzt.
Die Performance legte die Scham des eigenen Körpers, aber vor allem des fremden Körpers offen. In unserem Alltag ist es nur einem kleinen Personenkreis, den wir hoffentlich selbst wählen, vorbehalten uns liebevoll zu berühren. Alles andere sind mehr oder weniger flüchtige Berührungen. So offen wir uns doch zu geben scheinen, via Facebook, Instagram und möglicherweise auch Tinder, wenn wir dazu aufgefordert werden die sogenannte Komfortzone zu durchbrechen, zeigen die meisten von uns doch eine gewisse Skepsis. Dieses Mal wusste ich, was auf mich zukommen würde. Ich kam der Bitte nach und war letztendlich doch irgendwie unvorbereitet, aber berührt.
Hinweis:
Die Ausstellung „Die innere Haut“ ist nur noch bis zum 5. Juni zu sehen!