Corona-Party? – Ein Jubiläum in Krisenzeiten
Noch vor einem halben Jahr hätte man bei der Einladung zu einer Corona-Party vor allem an ein fröhliches Bierfest mit mexikanischem Flair gedacht. Mittlerweile aber hat das Virus gleichen Namens das öffentliche Leben nahezu stillgelegt, die Brauerei Grupo Modelo musste sogar die Produktion ihres Bieres einstellen und eine große Feier ist in diesen Tagen sowieso undenkbar. Genau jetzt aber jährt sich die Eröffnung des Museums Marta Herford zum 15. Mal.
Schon im vergangenen Sommer begannen wir uns damit zu beschäftigen, ob und wie man diesen „Geburtstag“ im Jahr 2020 feiern sollte. Als Marta sein Fünfjähriges beging, war ich gerade mal seit zwei Jahren Direktor dieses großartigen Museums und wir haben in würdiger, nicht zu auftrumpfender Weise diesen Tag mit einem Festakt und einer richtungsweisenden Rede von Stefan Berg (Intendant des Kunstmuseums Bonn) zur gesellschaftlichen Bedeutung der Kunstmuseen begangen. Es gab unter anderem eine spektakuläre Performance als Historienspiel mit Bürgerbeteiligung von Michael Nowottny, künstlerische Beiträge mit Sonja Alhäuser, Oliver Grajewski und Jan Philip Scheibe, Musik mit Ina Weber und Thomas Rentmeister sowie zur Nacht eine Party mit dem unvergleichlichen DJ Leon El Ray.
Das große Jubiläum zum Zehnjährigen war dann nicht nur ein einzelner Festtag: Neben einem herausragenden Ausstellungsprogramm mit dem ungewöhnlichen Projekt „Harmonie und Umbruch – Spiegelungen chinesischer Landschaften“ begingen wir diesen besonderen Moment mit einem überarbeiteten grafischen Auftritt, neuer Kommunikation, vor allem aber mit dem mitreißenden zweitägigen Straßenfest „Marta wird 10“.
Nicht nur, weil viele Menschen 2015 den Wunsch äußerten, so ein farbenfrohes Straßenkulturfest vor dem Museum sollte es öfter geben (und vielleicht sogar eine neue Tradition begründen) stand die Frage im Raum: Was machen wir also 2020? Nun kennen wir die höchst ernüchternde Antwort: Nichts! Eigentlich hätte in dem erneuten Labeling mit „Marta wird 15“ ja ein schönes ironisches Augenzwinkern gelegen, denn in diesem pubertären Alter liegen für gewöhnlich die Jubiläumsanlässe einer Institution doch schon etwas weiter auseinander. Dass wir aber nicht einmal einen kleinen Geburtstag in der Museums-Lobby feiern werden, sondern an diesem Tag und an den Tagen danach schlicht geschlossen haben – wer hätte sich getraut, das zu prognostizieren?
Aller Anfang ist stürmisch
Vielleicht auch deshalb, weil die Eröffnung von Marta Herford nicht nur für die internationale Kunstszene, sondern vor allem auch für die Hansestadt selbst ein ganz außergewöhnliches Ereignis war, ist im Team bis heute diesem „Geburtstag“ ein besonderer Platz im Kalender reserviert. Auch nach 15 Jahren noch gibt es Mitarbeiter*innen, die die langen Schlangen im strömenden Regen vor den Museumstüren selbst miterlebt haben, als sich mit viel Aktion und großer Geste das Haus erstmals der Öffentlichkeit präsentierte. Denn bereits vor diesem mehrfach verschobenen Termin gab es viel Diskussionsstoff rund um diese für Ostwestfalen so ambitionierte wie anfänglich unbeholfene Institution: Ursprünglich als „Haus des Möbels“ gedacht, sollte sich eine Leistungsschau der regionalen Industrieproduktion mit einer Auswahl aus der Expressionistensammlung des Unternehmers Jan Ahlers und einem Raum für Wechselausstellungen, einem Veranstaltungssaal und einem Kompetenzzentrum der regionalen Wirtschaft mischen. Für all das hatte man zudem als Gründungsdirektor den legendären Leiter der documenta 9 und gerade pensionierten Direktor des Genter Museums SMAK nach Herford verpflichten können. Das konnte so nicht reibungsfrei verlaufen.
Jan Hoet krempelte als erstes das Museumskonzept vollständig zu einem lebendigen Haus ausschließlich für zeitgenössische Kunst um. Er realisierte schon weit vor der Eröffnung poetische bis provokante Ausstellungen in ungenutzten Räumen und auf der Baustelle, stritt sich lautstark mit dem Architekten Frank Gehry über die Neigung der Museumswände, überstand sieben Geschäftsführer*innen der neu gegründeten Betreibergesellschaft, verteidigte den einzigartigen und für manch lokales Auge höchst befremdlichen Bau mit auf die doppelte Summe steigenden Baukosten und kämpfte schließlich für ein auskömmliches Ausstellungsbudget und den Grundstock einer museumseigenen Sammlung. Sieben Jahre lang begleitete der charismatische Ausstellungsmacher die Entstehungszeit des Museums Marta Herford, die Hälfte dieser Zeit allein vor der Fertigstellung des Gebäudes. Es war ein aufreibender, aber immer leidenschaftlicher Kampf für eine neue Zukunftsperspektive der Stadt und eine Idee, die heute selbst in Krisenzeiten wegweisend und weit in die Welt hinaus leuchtet.
Meilensteine und Profilschärfung
Seit diesen Gründungstagen ist viel geschehen, und auch das Marta Herford hat sich deutlich weiter entwickelt und verändert. Neben dem spektakulären Gehry-Bau hat die Museumspädagogik mit dem benachbarten Marta-Atelier ein eigenes Haus erhalten und direkt dahinter konnte das dringend benötigte Depot für die eigene Sammlung errichtet werden. Das Ausstellungsprogramm hat sich über die Jahre fokussiert und klar positioniert: Wir stehen heute für anregende und oft überraschende Themenausstellungen, die nah am Geist der Zeit operieren, drängende Fragen bearbeiten und vor allem das sinnliche Erlebnis der Kunst in stets neu inszenierten Räumen hervorkehren. Wir widmen uns der Gegenwart gerne mit anregenden Referenzen in die Geschichte von Kunst, Architektur und Design, und überhaupt betrachten wir das Angewandte oft mit einem unerwartet künstlerischen Blick jenseits der Objektfetischisierung des Industriedesigns. Wir stellen pointiert einzelne Künstler*innen, Gestalter*innen oder Architekt*innen in den Mittelpunkt der künstlerischen Debatte, um sie zwischen Geschichte und Gegenwart als wegweisende Geister einer noch zu formulierenden Zukunft zu präsentieren.
Mit dieser klaren programmatischen Ausrichtung und einer immer wieder herausfordernden, stets um das Neue sich bemühenden Präsentation wurden wir 2014 vom internationalen Kunstkritikerverband AICA zum Museum des Jahres gewählt. Bereits drei Jahre zuvor erhielt das kuratorische Team am Marta Herford den renommierten „Justus Bier Preis für Kuratoren“ für das ambitionierte Projekt „Wir sind alle Astronauten – Universum Richard Buckminster Fuller im Spiegel zeitgenössischer Kunst“. Der damit verbundene Besuch des Architekten und Schirmherrn Lord Norman Foster zusammen mit seiner Frau war auch einer meiner persönlichen Höhepunkte an diesem Haus. Aber auch Installationen wie Franz Erhard Walthers „Erinnerung der Form“ (2012) oder Christoph Büchels beklemmender, so provozierend wie zwingender Beitrag „Museumspädagogik“ für die Ausstellung „Farbe bekennen – Was Kunst macht“ (2013) oder die aufwändige und begeisternde Umwandlung unserer Räume für „Willkommen im Labyrinth“ sind nur sehr wenige markante Momente eines für mich nach wie vor aufregenden Marta-Lebens.
Museum in steter Bewegung
Vielleicht wichtiger noch als diese künstlerischen Glücksmomente und bewegenden Erfahrungen ist aber, dass die Gründung von Marta Herford eigentlich genau an einer Scharnierposition des kulturellen Selbstverständnisses in Europa erfolgte. Gestartet noch mit dem Bild des klassischen Museums, das mit Expertise und Konzentration am kulturellen Gedächtnis der Folgegenerationen arbeitet, stehen wir heute mehr denn je an einem Punkt, an dem die Frage nach dem „Museum der Zukunft“ essentiell ist.
So haben wir beispielsweise den Wandel vom fokussierenden Ausstellungsmacher als Einzelkämpfer, dessen Themen vor allem aus den eigenen Ideen und Perspektiven entwickelt werden, hin zu teamorientierten und aktualitätsbezogenen Arbeitsformen vollzogen, mit denen Künstlerprojekte und Diskurse zu großen Panoramen zeitgenössischer Auseinandersetzungen zusammengefügt werden. Auch das Digitale hat im Marta Herford schon sehr früh einen festen Stellenwert gehabt: Bereits 2009 präsentierten wir mit „Marta SMS“ ein innovatives Ausstellungsformat, das eine*n Künstler*in, eine Installation und einen Kunstverein als niederschwelliges Intermezzo während der großen Ausstellungsumbauten in der Lobby vorstellte: direkt, unmittelbar, mit Gesprächen statt Reden, mit Bier statt Wein und – mit einem „Katalog“, der ein digitaler Dialog zwischen unserem Team und dem*der Künstler*in war.
Dafür richteten wir vor mehr als 11 Jahren den Marta-Twitter-Account ein, damals noch tastend und unerfahren, aber in dem festen Glauben daran, dass die digitale Kommunikation einen ganz anderen, wichtigen Dialog mit und in der Öffentlichkeit darstellt. Stück für Stück kamen Facebook, Pinterest, Google +, der Marta-Blog und schließlich Instagram hinzu; eine jede Plattform mit eigenem Profil und individueller Strategie, aufmerksam und ideenreich bespielt. Ohne großes Budget, dafür aber mit viel Leidenschaft und vor allem stetigem Austausch mit anderen Akteur*innen, Analyst*innen und Influencern ist es uns gelungen, heute zu einem der führenden Museen im digitalen Raum in Deutschland zu gehören.
Veränderungen werden zwingend
Das Museum im 21. Jahrhundert definiert sich radikal um: Auf der einen Seite baut es zwar auf den traditionellen und nach wie vor wichtigen Grundpfeilern des Sammelns, Bewahrens, Forschens, Präsentierens und Vermittelns auf. Auf der anderen Seite aber wandelt es sich als Institution und als öffentlicher Raum hin zu einem multifunktionalen Handlungsfeld – vielstimmig, vielgestaltig, vielfältig. Die Besuchenden sind nicht länger ein zu bildendes, zu belehrendes, zu unterhaltendes Publikum, sondern sie sind Mitgestaltende, aktiv und kritisch, mit eigenen Kompetenzen und individuellen Möglichkeiten, die eingebracht und genutzt werden wollen. Partizipation ist nicht länger ein Schlagwort, das irgendwie auch immer zu berücksichtigen ist, sondern ein essentielles Strukturelement. Die Nutzungsmöglichkeit der Häuser als sogenannte Dritte Orte, die sich den individuellen Bedürfnissen und Nachfragen einer erfüllten Freizeitgestaltung öffnen, implementiert sich immer fester in die musealen Raumstrukturen.
Spätestens dann auch stehen Fragen nach der zukünftigen Programmierung im Raum. Wir werden definitiv in zehn Jahren das große Feuerwerk der Blockbuster-Ausstellungen nur noch schütter aufglimmen sehen, weil die Rahmenbedingungen lediglich in Ausnahmefällen solche Großanstrengungen noch ermöglichen werden. Die zentrale Frage wird sein, ob es uns allen gemeinsam gelingt, eine neue Geschwindigkeit, eine veränderte Aufmerksamkeitsökonomie, ein neues Selbstbild, ja, ein neues künstlerisches Selbstverständnis zu entwickeln. Die Corona-Krise und auch ein ausgefallenes Geburtstagsfest stehen hier Pate für die Fortsetzung einer herausfordernden Selbstreflexion des zukünftigen Tuns. Spätestens dann, wenn wir das würdige Jubiläum „Marta wird 25“ feiern, werden wir hoffentlich auf einen Weg zurückblicken können, der diese Fragen konsequent durch Veränderungen beantwortet.
Mit „Marta wird 15“ machen wir uns endgültig auf diese Reise, leidenschaftlich überzeugt, voller Ideen und Ambitionen, mit einem festen Glauben an die unerschöpfliche Kraft der Kunst und mit einem Publikum an unserer Seite, auf das wir schon heute mehr als stolz sind. Begleiten Sie uns auch weiter auf diesem aufregenden Weg!
2 Replies to “Corona-Party? – Ein Jubiläum in Krisenzeiten”
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Ich finde, wenn schon die Pubertät nicht gefeiert werden konnte, sollte Marta ihre Volljährigkeit feiern! Aus künstlerischer Sicht auch mal eine andere Datumskonstellation :-).
Ein wunderbarer Vorschlag! Runde Geburtstage werden sowieso überbewertet 🙂 Wir werden uns rechtzeitig darauf vorbereiten …
Mit herzlichen Grüßen
R. Nachtigäller