Die Fotografie im Gewand der Malerei
Die Malerei folgt den Gestaltungsabsichten des Künstlers bzw. der Künstlerin, während die Fotografie auf einen realen Ort und Zeitpunkt verweist – lange wurde so über die unterschiedliche Art der Bildproduktion argumentiert. Diese Unterscheidbarkeit ist zwar längst passé, doch noch immer suggeriert die Fotografie eine besondere Lebensnähe.
In der aktuellen Ausstellung „Trügerische Bilder – Ein Spiel mit Malerei und Fotografie“ bringen die beiden Künstler Radenko Milak und James White die beiden Medien in einen konzeptuellen Dialog, womit sie ihre unterschiedlichen Erzählformen ergründen. James White und Radenko Milak greifen für ihre Werke auf fotografische Vorlagen zurück, die sie in die Malerei transferieren. Während Radenko Milak seine Arbeiten auf Medienbilder aus Zeitschriften und dem Internet basiert, ist James White selbst der Fotograf. Doch wieso machen sie sich die Mühe, Fotografien in das Medium der Malerei zu übertragen, vor allem, wo doch die Fotografie längst eine hoch angesehene Kunstform ist? White und Milak spielen mit den unterschiedlichen Arten der Bedeutungskonstitution und führen die verschiedenen Erzählstrategien zusammen.

James White: Der Wirklichkeitseffekt als gestalterisches Element
James White konzentriert seinen fotografischen Blick auf die zufälligen Arrangements seines häuslichen Alltags, wobei er mit der angeschnittenen Motivik des Schnappschusses spielt und reflektierende Oberflächen in den Mittelpunkt stellt. Im Studio überträgt er das Foto mit Ölfarbe in die Malerei, wobei der Pinselstrich kaum wahrnehmbar ist und die malerische Oberfläche aufgrund der anschließenden Firnis aus Lack so glatt erscheint, dass sie nahezu perfekt einer Fotografie ähnelt. White malt nicht auf Leinwand, sondern auf Aluminium, Holz oder Acrylplatten, die teils auf dicke Wabenplatten geklebt sind und die er in Plexiglaskästen montiert. Die objekthafte Erscheinung und die handwerkliche Geste laufen auf reizvolle Weise der fotografischen Imitation zuwider. Einerseits erscheint die subjektive Handschrift des Künstlers nahezu ausgelöscht, doch andererseits ist es gerade die Spurensuche, auf die sich Betrachtende unweigerlich begeben, die den Künstler so präsent erscheinen lässt. Unmittelbar erkennbar hingegen sind die Spuren menschlicher Präsenz im Bild selbst. Fingerabdrücke an Gläsern oder Wasserflecken an Armaturen verstricken die sonst menschenleeren Orte in ein Handlungsgeschehen. So spielt White mit der An- und Abwesenheit seiner Aktivität als Bildgestalter und mit der sichtbaren Präsenz der Bildakteur*innen, die durch den „Wirklichkeitseffekt“ (Roland Barthes) der Fotografie die Bilderzählung mit einem direkten Lebensbezug ausstatten.
Bilder als System von Zeichen
James White spielt mit der sogenannten Indexikalität der Fotografie, das heißt mit der physischen Verbundenheit zu den Dingen, die sie darstellt. Obwohl Künstler wie Wolfgang Tillmans oder Jeff Wall längst gezeigt haben, dass die Fotografie einen ebenso persönlichen Stil aufweisen kann wie die Malerei, wird die*der Künstler*in als Leerstelle erlebt, da sich die abgebildeten Gegenstände quasi von selbst in das Bild einschreiben. Nun kann heute kaum noch die Fotografie als „Abdruck“ verstanden werden, doch wohnt ihr immer noch dieser direkte Bezug zur Wirklichkeit inne. Die Malerei hingegen, so die Kunsthistorikerin Isabelle Graw (Anm. 1), wird als besonders personalisiert wahrgenommen, da man ihr als eine individuelle Produktion von Zeichen begegnet. Das Band zwischen Bild und Künstler*in ist dadurch besonders reißfest geschnürt, was eine Vitalität und Lebendigkeit suggeriert, durch die, so Graw, die Schöpfer*innen geisterhaft präsent bleiben.

Radenko Milak: Die malerische Anverwandlung als Sinnsuche
Hier setzen die Werke von Radenko Milak an, der gefundene Nachrichtenbilder in die Malerei überträgt. Von weitem betrachtet sehen die Bilder aus wie Fotografien, doch mit jedem sich nähernden Schritt, offenbart sich der durchscheinende Farbauftrag als Kennzeichen von Subjektivität. Milak malt mit Aquarellfarben, die er mittels Wasser zunächst flüssig anrührt und auf das angefeuchtete Papier aufträgt. Dabei entstehen unscharfe und teils zufällig verlaufende Farbflächen und deutlich sichtbare Wasserränder als Zeichen einer malerischen Signatur. Bei den größeren Bildformaten verstärkt sich diese Offenbarung einer Handlung, da Milak aufgrund der Nass-Technik nur mit kleineren Papierformaten arbeiten kann, die er hinterher sichtbar zusammenfügt. Anders als James White überschreibt Milak den für die Fotografie charakteristischen Wirklichkeitsbezug und eröffnet durch die Einverleibung einen eigenen Diskurs. In seiner aktuellen Serie „Covid-19“ scheint Milak die Krise durch die Malerei zu verarbeiten. Die Bilder sind von einer undeutbaren Distanz und Rätselhaftigkeit umgeben, als würde der Künstler das unvorstellbare Ausmaß der menschlichen Tragödie zu erfassen versuchen. Zu Recht macht der Kunsthistoriker Peter Geimer in dieser Methode des malerischen Transfers eine kritische Haltung aus, da die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Abbildbarkeit hinterfragt wird. (Anm. 2)
James White erschafft durch die intermediale Praxis ein komplexes Bildgeschehen, das durch den Grenzgang zwischen Virtuosität und Anonymität unergründlich erscheint. Radenko Milak stülpt der medialen Vermittlung seine eigene Erzählform über und geht der Malerei als Mittel der subjektiven Berichterstattung nach. Indem ihre Werke sowohl auf malerischen als auch fotografischen Ausdrucksmitteln basieren, lassen sie sich auf den ersten Blick nur schwer einer bestimmten Gattung zuordnen. Doch sind derartige mediale Konventionen nicht ohnehin ein veraltetes Schubladendenken?
(Anm. 1) Isabelle Graw, Peter Geimer: Über Malerei. Eine Diskussion, Berlin 2012, S. 28.
(Anm. 2) Isabelle Graw, Peter Geimer: Über Malerei. Eine Diskussion, Berlin 2012, ab S. 43.