Drahtige Gebilde: Tobias Rehberger in der Sammlung-Marta
Die meisten Besucher, die im Marta Herford zum ersten Mal Tobias Rehbergers „Infections“ (2008) sahen, reagierten mit einer Mischung aus gequältem Lächeln, Irritation und Überraschung. Die Arbeit gehört zu den Werken, die als verborgene Schätze derzeit in unserem Depot schlummern.
Lange Zeit war „Infections“ in der kupferbar im Marta zu sehen, wo das ausgewöhnliche Werk die BesucherInnen begeisterte. Stammen die Gebilde nun aus der Wirklichkeit? Und wenn ja, auf welche Wirklichkeit spielt Rehberger hier überhaupt an? Die so „einfach“ wirkende Installation aus zehn Wandlampen, Draht und Klettbändern aus farbigem Kunststoff wirkt auf den ersten Blick wie eine spontan aus dem lebendigen Machen heraus entstandene Fingerübung. So als hätte der Künstler einfach einmal ausprobiert, was sich ohne jede Mühe und Rücksicht auf Traditionen alles her- und darstellen lassen kann. Dass sich diese Arbeit genau auf der Grenze zwischen angewandter Gestaltung und freier Improvisation bewegt, ist eine These, die man so einfach, wie die Lampen selbst gefertigt sind, aufstellen kann.
Zwischen Mode und Zeitgeist
Wird es in einigen Jahren einmal möglich sein zu behaupten, dass diese Arbeit Tobias Rehbergers dem Zeitgeist der frühen 2000er Jahre entsprang? Einer Zeit, in der der permanente Austausch zwischen Kunst und Design noch wie ein frecher Befreiungsschlag wirkte? „Es ist eine sehr bestechende, aber keineswegs tiefgehende und haltbare Meinung, dass jedes Objekt der Wirklichkeit gleichmäßig geeignet wäre, das Objekt eines Kunstwerks zu bilden“, scheibt der Philosoph und Soziologe Georg Simmel in seinem Essay „Die Mode“ (1911). Damit hatte er einige Jahre vor Duchamps Entdeckung des Readymades herausgefunden, dass jede Erfindung eines Kunstwerks auf einem plötzlichen Akt, einer Entscheidung für eine bestimmte Auswahl und eine bestimmte Weise der Inszenierung beruht. Und in Beziehung zu seiner damaligen Gegenwart behauptete Simmel in seinem Text, dass gewisse „Formen, Neigungen und Anschauungen“ auf einem gewissen schnellen Wechsel von Moden beruhte. Anstelle von Moden sprechen wir heute von Zeitgeist und können die Diagnose von Simmel nur bestätigen. Auch Rehbergers Installation aus Objekten, die so tun, als würden sie das Scheinen von Lampen persiflieren, erzählen von einer Lust des Künstlers, das jetzt entstehende Geschehen, das Machen und Zeigen, Inszenieren und nachwirken Lassen eines bestimmten Zeitgeistes Form werden zu lassen.

Die neunmalklugen KuratorenInnen
Wer möchte, der kann Rehbergers „Infections“ auch ganz klassisch kunsthistorisch bzw. ikonographisch deuten. Seit Picassos „Guernica“ (1937) sehen wir Lampen in einem besonderen Licht. Steht der helle Schein des Sonnenlichts allgemein für die Aufklärung, das Sonnensymbol bei Joseph Beuys etwa für die Rückbindung eines Natursymbols an heidnische Mythen, so könnte man natürlich leicht in bloße Vermutungen darüber geraten, in welcher Tradition hier die Rehbergerschen Lichtquellen stehen. Andererseits ist das intelligente Kombinieren mit unterschiedlichen ikonographischen Quellen ja durchaus nicht ungefährlich, verleitet es doch zum hemmungslosen Spekulieren. Andererseits fragt sich der Betrachter am Ende: Wozu dieser ganze Aufwand? Welcher schöne Schein soll hier eigentlich inszeniert werden? Sind Kunstwerke heute nicht immer auch fremdbestimmt, weil die beteiligten KuratorInnen an und in diesen ihre eigene Bildung reflektieren wollen / müssen? Und überhaupt: Keine Antwort ist am Ende so klug wie die späteren Betrachter, die die Interpretationen der immer superschlauen Kuratoren in Frage stellen.