Durch die Nacht mit…Virgile Novarina!
Es klingt im wahrsten Sinne des Wortes traumhaft: Der Künstler Virgile Novarina widmet sich seit über zwei Jahrzehnten den Geheimnissen des Schlafes. In seiner Performance „En somme“ (Im Schlaf) vollzieht er ihn sogar vor Publikum – zuletzt zur Marta-Eröffnung von „Die innere Haut – Kunst und Scham“.
Zwei Tage und Nächte vor jeder Performance setzt sich Virgile auf Schlafentzug. Doch wie hält man sich so lange wach, wenn alles schläft? Meine Kollegin Lina Krämer und ich haben den Künstler an einem schlaflosen Abend während seines Besuches in Herford begleitet.
Was hat Schlaf mit Scham zu tun?
Es ist Jahre her, da habe ich zur goldenen Zeit der Musiksender gerne MTV Cribs geschaut. Das war jene Sendung, in der millionenschwere Stars die Türen zu ihren Anwesen öffneten und so private Einblicke gewährten. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass einige der Promis nahezu jeden Lebensbereich zeigten – bis auf das Schlafzimmer! Der Ort, an dem geschlafen, geträumt und gekuschelt wird, birgt die intimsten und verletzlichsten Momente eines Menschen und ist somit ein Raum, zu dem meist nur nahestehende Personen Zutritt haben.
Mit der Idee seiner Schlafperformance kehrt Virgile Novarina dieses Prinzip um, denn er schläft öffentlich in Museen, Galerien und Schaufenstern. Dabei kommt es ihm aber nicht nur auf die bloße Präsentation seines schlafenden Körpers an. Über Jahre hinweg hat der Pariser Künstler eine Technik entwickelt, die es ihm ermöglicht während des Schlafes in kurze Wachphasen zu wechseln, die ausschließlich im Tiefschlaf entstehen.
„Normale“ Schläfer vergessen diesen Abschnitt meistens schnell wieder. Nicht so Virgile: Die Wahrnehmungen aus diesen Phasen notiert er sich auf bereitliegenden Zetteln. Am nächsten Tag werden diese Wortfetzen oder auch Zeichnungen von ihm im wachen, klaren Zustand erneut und leserlich notiert. Daraus sind seine „écrits et dessins de nuit“ (Schriften und Zeichnungen der Nacht) entstanden. Somit offenbart er dem Publikum nicht nur seinen schlafenden Körper, sondern mit den „inneren“ Bildern auch seine ganz privaten Gedanken.
Schlaflosigkeit als Selbstdisziplin
Der eigene Schlaf als Kunstperformance – das klingt zunächst nach einer beneidenswert einfachen Mission. Im Fall von Virgile Novarina steht vor der öffentlichen Zurschaustellung jedoch eine 48-stündige Schlaflosigkeit, die überbrückt werden muss. Nur so kann er in die von ihm gewünschte Tiefschlafphase während seiner Performance gelangen. Jeder Mensch, der auch nur eine Nacht nicht zur Ruhe gekommen ist, wird nachvollziehen können, dass dies nur mit einem großen Maß an Selbstdisziplin gelingen kann. Lina und ich begleiteten Virgile am ersten Abend seiner Schlaflosigkeit, der von Stadtspaziergängen, aber auch von viel Arbeit geprägt war.
Das Museum ist bereits seit Stunden geschlossen als wir uns mit Virgile auf den Weg machen.
Als erstes Ziel steuern wir den örtlichen Supermarkt an …
… dank der langen Öffnungszeiten kann mit einem Einkauf ein Teil des Abends überbrückt werden.
Frische Luft hält wach: Nach dem Einkauf zeigen wir Virgile die Herforder Innenstadt.
Am Herforder Rathaus, das in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiert, haben wir uns die Lichtinstallation genauer angesehen. Die dreidimensionalen Effekte und projizierte Fotos erwecken das Gebäude zu digitalem Leben.
Ein Schaufenster-Bummel in der fast leeren Innenstadt lenkt von den Gedanken an Schlaf ab.
Nach dem langen Spaziergang durch die Innenstadt, geht es zurück zur Marta-Wohnung, …
… wo Virgile ein Abendessen vorbereitet. Jeweils einige Tage vor der Performance stellt Virgile seine Ernährung um. Dabei nimmt er hauptsächlich leichte Speisen zu sich, verzichtet weitestgehend auf Kohlenhydrate und drosselt seine Flüssigkeitszufuhr.
Arbeit bis spät in die Nacht ist ebenfalls eine willkommene Ablenkung. Virgile erforscht u. a. durch seine Performances nicht nur die Geheimnisse des Schlafes, sondern wirkt außerdem an unter-schiedlichen Filmprojekten mit. Hierzu sichtet und schneidet er das umfangreiche Filmmaterial.
Manchmal chattet Virgile mit unbekannten Menschen aus der ganzen Welt in den sozialen Netzwerken, die ihn aus Medienberichten kennen.
Der ersehnte Moment: Etwa 1 bis 1,5 Stunden vor der Ausstellungseröffnung begibt sich Virgile in Schlafposition …
…und schläft kurz darauf fest ein.
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