Elf Sekunden Begegnung mit der Kunst
Elf Sekunden… elf Sekunden nehmen sich Besucher*innen im Museum durchschnittlich Zeit, ein Kunstwerk zu betrachten.
Doch was kann man in elf Sekunden schon entdecken, verglichen mit der Zeit, die der*die Künstler*in in das Kunstwerk investiert hat? Ist es befriedigend, in einer Ausstellung von Werk zu Werk zu eilen, um nur ja alles gesehen zu haben? Was nehme ich denn da an Erkenntnissen mit nach Hause und ins Leben? In der aktuellen Marta-Ausstellung gibt es am Ende des Rundgangs einen Raum, der die Besucher*innen zum längeren Verweilen vor/in dem Kunstwerk einlädt. Es ist Alona Rodehs „Blinky Street Arcade“, eine elektrische, interaktive Rauminstallation, die die 1979 in Israel geborene Künstlerin eigens für die Ausstellung „Im Licht der Nacht – Vom Leben im Halbdunkel“ geschaffen hat. Die Museumsgäste halten hier momentan mit dem größten Vergnügen inne. Und warum?
Eigene Licht-Choreografien gestalten
Viele Menschen finden es in der heutigen Zeit als sehr bereichernd, im Museum selbst etwas ausprobieren zu dürfen. Nach einem Gang durch die Ausstellung mit häufig viel visuellem Input ist hier die Gelegenheit, vom Sehen ins Handeln zu kommen und Kunst auf einer weiteren Ebene zu erleben. Der Raum, den Alona Rodeh gestaltet hat, eröffnet die Möglichkeit, eine eigene Licht-Choreografie zu gestalten. Und das probieren Jung und Alt gleichermaßen gerne aus. Alona Rodeh arbeitet in ihrem Werk üblicherweise mit einer großen Bandbreite an verschiedenartigen Medien wie Sound, Licht, Musik, Video, Bühneneffekten uvm. Im Marta hat sie nun eine Installation aus verschiedenen Lichtquellen kreiert, die sich von einem Mischpult aus ansteuern lassen.
„Sehen ist nicht sehen, sehen ist denken.“
Ein Paar Turnschuhe in luftiger Höhe lassen per Knopfdruck ihre blauen Leuchtdioden erstrahlen, ein Fahrradlampe leuchtet unvermittelt in Richtung Mischpult und ein bunter Pfeil weist in einer Spiralbewegung zum Boden, ganz in der Nähe eines Feldes aus Quadraten, das an das legendäre Video zu Michel Jacksons „Billie Jean“ erinnert. Mittels zweier Spots kann man gezielte Dinge beleuchten (immer wieder gerne zum Beispiel auch unsere Guides, während einer Führung mit Schulklassen). Die Besucher*innen haben nun im Museum die Möglichkeit, spielerisch dem Phänomen Licht nachzugehen und die für sie passende Lichtchoreografie zu erproben. Manch Diskussion entsteht hier auf der Suche nach der rechten Beleuchtung. Und hier verweilen die meisten wesentlich länger als die durchschnittlichen elf Sekunden… und beobachten ganz genau, welche Handlung wozu führt und was mit dem Raum bei entsprechender Beleuchtung geschieht. Ein Experimentierfeld tut sich auf, das die Beobachtung schärft und das eigene Tun im wahrsten Sinne des Wortes beleuchtet. Denn: „Sehen ist nicht sehen, sehen ist denken.“ (Alexander von Villers)
Lichtverschmutzung… was hat das mit mir zu tun?
Nach einem Rundgang durch die Ausstellung, die das Thema Nacht so vielschichtig und erhellend darstellt, fragt man sich im Raum von Alona Rodeh schließlich, was Licht für uns in einer Zeit bedeutet, in der es eigentlich rund um die Uhr verfügbar ist… und in der wir uns gleichzeitig vor dem großen Shut Down fürchten. Angestoßen durch die Themen der Ausstellung wie Lichtverschmutzung, 24-Stunden-Gesellschaft oder Schlaflosigkeit erhält die Bedeutung von Licht in der elektrischen Rauminstallation von Alona Rodeh noch eine weitere Qualität, indem ich als Besucher*in Herr*in über die Lichtchoreografie bin und nach Lust und Laune die verschiedensten Lichtsituationen durchspiele. Denn: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Friedrich von Schiller)
Elf Sekunden?!
Mir kommt zum Schluss meiner Überlegungen die Frage in den Sinn: Welches Kunstwerk habe ich zuletzt so lange und intensiv betrachtet, weil es mir etwas Besonderes zu sagen hatte? Und was genau hat es mir gesagt? Und was sagt das eigentlich über mich aus? Vielleicht kommt Ihnen auch das ein oder andere eindrückliche Werk in Erinnerung, das Sie womöglich schon eine lange Zeit in Ihren Gedanken begleitet. Es ist schon verblüffend, wie Kunst zu uns zu sprechen vermag… da lohnt ein Blick, der länger dauert als die durchschnittlichen elf Sekunden. Finden Sie nicht auch?
5 Replies to “Elf Sekunden Begegnung mit der Kunst”
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Immer wieder ein großes Dankeschön für die wunderbaren, klugen Blog-Beiträge!
Danke für dieses schöne Kompliment! Wir geben uns immer wieder große Mühe, die Ausstellungen und unsere Museumsarbeit möglichst vielfältig vorzustellen. Wie schön, wenn es Spaß macht das zu lesen!
Eine kurze Zeit, nur 11 Sekunden.
Nehme ich mir wirklich nur so wenig Zeit für das betrachten von Kunst? Warum schaue ich nicht genauer hin? Es gibt bestimmt noch mehr zu entdecken. Vielleicht schaue ich mal mehr von rechts, oder von links auf ein Kunstwerk. Das Werk von Sigmar Polke habe ich mal von unten betrachtet, und siehe da es gab was zu entdecken.
Viele zarte Kreise über das ganze Bild sind nur von unten zu sehen.
Wie gut dass ich mir mehr als
11 Sekunden Zeit genommen habe.
Es hat sich gelohnt!
Das ist wirklich wenig. Wenn man mal überlegt wie viel Arbeit im Werk steckt ist das bitter. Ich bin jetzt zwar auch kein grosser Kenner Schweizer Kunst oder so, aber ich versuche zumindest das Werk auf mich wirken zu lassen und den Sinn zu entdecken.
Das ist mit Sicherheit eine gute Herangehensweise. Ich persönlich finde auch, dass man sich Zeit für die einzelnen Kunstwerke nehmen sollte, wenn man ein Museum besucht. Aber – vielleicht durch die veränderte Mediennutzung dank Social Media – möchten viele Menschen heutzutage auch im Kunstmuseum gerne unterhalten und selber aktiv werden. Wir versuchen eine Ausstellung so zu planen, dass für jede*n etwas dabei ist.