Ersehnte Nähe – Singarum J. Moodley und Neo I. Matloga
Zwei südafrikanische Künstler unterschiedlicher Generationen eröffnen aktuell in der Lippold-Galerie eine vielschichtige Erzählung über Identität, Selbstbestimmung und die Notwendigkeit von politischer Freiheit.
Die Ausstellung „Ersehnte Nähe“ stellt eine Auswahl an Studioportraits von Singarum Jeevaruthnam Moodley, die zwischen 1972 und 1984 entstanden sind, den großformatigen, collagierten Malereien von Neo Image Matloga gegenüber. Als Moodley, dessen Vater als Wanderarbeiter aus Südindien nach Südafrika kam, die Menschen fotografierte, herrschte in Südafrika die Apartheid, wobei der Widerstand gegen das politische Regime bereits stark zunahm. Er selbst war entschiedener Gegner der Segregationspolitik, wodurch sein im Jahr 1957 eröffnetes Studio in Pietermaritzburg zu einer Rückzugsmöglichkeit für die Anti-Apartheid-Bewegung wurde. Zudem war es einer der wenigen Orte, an denen People of Color, vor allem indischer und afrikanischer Abstammung, fern des politischen Radars ausgelassen zusammenkommen konnten. Seine Bilder reflektieren eine Sehnsucht, Stolz, Verspieltheit und Trotz, was in Matlogas Bildern zwischen Nähe und Zerrissenheit seine zeitgenössische Fortführung findet. Er wuchs in den 1990er Jahren nach der Apartheid und mit der Hoffnung auf eine demokratische Zukunft auf. In seinen collagierten Malereien erschafft er Szenerien fern konventioneller Konzepte von Identität und Geschlecht. Der koloniale Blick hat Strukturen der Unterscheidung hervorgebracht, deren Künstlichkeit Moodley und Matloga in ihrem Zusammenspiel zur Aufführung bringen.
Singarum J. Moodley: Vielfalt als kulturelle Normalität

Moodleys Kund*innen haben die Aufnahmen zur eigenen Erinnerung für sich und die Familie anfertigen lassen. Losgelöst von den Gesetzen der Unterdrückung spielen sie im Schutz des Studios mit verschiedenen Formen der Selbstdarstellung. Die öffentlich stattfindenden Unruhen haben auf den Bildern keine Spuren hinterlassen. Es entsteht der Eindruck einer Gesellschaft, die sich mit großer Selbstverständlichkeit zwischen traditioneller Stammes- und westlicher Popkultur bewegt. Diversität erscheint als das, was sie sein sollte: als soziale und kulturelle Normalität. So sind einige in das traditionelle Gewand von Sangomas gekleidet oder tragen die Perlenstickerei der Zulu, andere präsentieren sich in ihrem besten Sonntagsanzug, den Uniformen der Krankenschwestern oder städtischen Angestellten, ein weiterer inszeniert sich als Elvis Presley. Manche nutzen dabei auch prestigeträchtige Studiorequisiten wie ein Blumenbouquet, Radio oder Telefon.
Die afrikanische Portraitfotografie als koloniale Befreiung
Moodleys Aufnahmen stehen kompositorisch ganz in der Tradition afrikanischer Studioportraits, die vor allem durch die malischen Fotografen Malick Sidibé (1935–2016) und Seydou Keïta (1923–2001) weltweit Anerkennung gewann. Während sich die Portraitfotografie aus eurozentristischer Perspektive aus der Bildtradition der Portraitmalerei ableitet, hat sie sich in afrikanischen Ländern ab Mitte der 1950er Jahre als ein Ausdruckmittel der kolonialen Befreiung etabliert. Lange wurde die dortige Fotografie von den Imperialisten und ihrer Perspektive dominiert und schwor eine fremdartige Welt ultimativer Exotik herauf, die eine Schwarze Identität auf Klischees und Stereotype reduzierte. Moodleys Aufnahmen sind sorgsam inszenierte Selbstbilder, die nicht nur von Wünschen und Träumen erzählen, sondern auch einen Drang nach Freiheit und nationaler Selbstbestimmung äußern. Die Bilder entziehen sich jedem Anspruch auf Allgemeingültigkeit, führte Moodley schließlich ganz und gar die individuellen Ansprüche seiner Kund*innen aus.

Neo I. Matloga: Bildwelten zwischen Vergangenheit und Zukunft
Während Moodley in seinen Portraits die tatsächliche Selbstwahrnehmung dokumentierte, entwirft Matloga Charaktere, in denen sich Fiktion und Wirklichkeit zusammenfinden. Er kombiniert Fragmente von Familienfotos mit Bilderschnipseln aus Zeitschriften und Zeichnungen aus Tinte und Kohle und erschafft eklektische Kombinationen, die die von der Gesellschaft geformten und festgelegten Rollenbilder auf den Prüfstand stellen. Es scheint, als würde der Künstler in seinen Bildern einen kurzen Moment des komplexen Prozesses der Selbstwerdung festhalten. Einerseits wirken die zusammengesetzten Gestalten zutiefst verletzlich, als sei die innere Fragilität, die jedem einzelnen Individuum innewohnt, nach außen gekehrt worden. Andererseits geht von den Figuren eine Stärke aus, die sich politischen Machtbestimmungen und gewaltsam aufgezwungenen Identitätszuschreibungen widersetzt und längst überholte Strukturen und Denkmuster transformiert.
Die Vergegenwärtigung des Vergangenen
Matloga reflektiert in seinen Werken die Erfahrungen und Eindrücke seiner Kindheit und Jugend. Er ist in der nördlichsten Provinz Limpopo aufgewachsen, die aufgrund der kolonialen Vergangenheit und der Apartheid bis heute sozial und wirtschaftlich schwächer dasteht als die anderen Provinzen. Seine Erinnerungen verarbeitet er zu komplexen Bilderzählungen, die einerseits von Toleranz und Freigeistigkeit handeln, andererseits von Andeutungen der Repression durchzogen sind: Kleidungsstücke, wie sie die Aktivist*innen aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung trugen, Möbel im Kolonialstil oder bekannte Bürgerrechtler wie Steve Biko oder James Baldwin, deren Identitäten in den zerstückelten Bildnissen jedoch wohl nur von wenigen identifiziert werden können. Die Betonmauern, die während der Apartheid die zugeteilten Wohneinheiten in den Homelands gliederten und bis heute als ein Relikt der Unterdrückung die urbane Struktur prägen, hat Matloga als Reproduktion in das Museum Marta gebracht. Auch seine Muttersprache Sepedi, die als indigene Sprache lange nicht offiziell anerkannt wurde, findet im Museum in den Ausstellungstexten ihre Vergegenwärtigung.
Annäherung auf Augenhöhe

In der Praxis der Collage reißt Matloga die diskriminierenden Vorurteile in Stücke und zerlegt damit die Konstruktionsmechanismen des Schauens in ihre einzelnen Bestandteile. Die Gesichter legt er so an, dass einige Charaktere ihre Betrachtenden genau taxieren. Auch Moodleys Portraitierte nehmen ihr Gegenüber, die Besucher*innen, unmittelbar in den Blick. So wie sie die Dargestellten anblicken, werden auch sie selbst in den Blick genommen. Dadurch entsteht in der Ausstellung ein intimer Moment eines sich gegenseitigen Abtastens, einer Annäherung auf Augenhöhe.