„Extrem exklusiv ….“: Was bedeutet „superlativieren“?
Superlative haben gerade auch im Kunstkontext Konjunktur. Gibt es überhaupt ein Denken und Vorstellen ohne superlativisches Steigern?
Empathie für Steigerungen
Blickt man in die Geschichte der Kunst zurück, so trifft man auf Augenblicke, in denen Superlative durchaus das Denken beflügelten. Der bekannteste Superlativ der Kunst(-geschichte) ist die „Pathosformel“. Sprachlich erzeugte Formen von Superlativierungen sind dabei mehr als bloße Trigger, die auf die Attraktivität ihrer Angebote hinweisen.
Wer sich in der Kunstwelt aufhält, kennt dieses Problem aus eigener Erfahrung: Wie kann man Empathie für etwas entwickeln, ohne gleich mit seinem Sprechen in Superlative zu verfallen? Exklusiv, einzigartig, erstmalig, extrem, euphorisch – Gefühlssteigerungen und Denkbewegungen dieser Art kennt man vor allem aus der Kunstwelt zur Genüge. Kunst entsteht als Kommunikation mit ihren jeweils einmaligen Bedingungen aus jeweils überlieferten Formen des veränderten Alten, als Option etwas Unbestimmtes wie ein Kunstwerk als etwas erneut Gesteigertes zu generieren. Früher galt das Neueste als aktuellster Ausdruck des gegenwärtig Neuen; heute gilt etwas superlativisch Gesteigertes – unabhängig vom vermittelten Sinnangebot – als aktuellste Form gegenwärtiger Relevanz. Ein Superlativ tut so als wäre er ein fiktiver Grenzwert zwischen der Darstellung einer Sache und der größten Aufmerksamkeit, die er gerade mit erzeugt.
Nicht etwa die Kunstgeschichte prägt heute die öffentliche Bildung über Kunst, sondern der Kunstmarkt. Genauer der Superlativ eines gerade neuen, höchsten Auktionspreises für ein Werk, das in der Öffentlichkeit für Streit sorgt, macht die öffentliche Relevanz von Kunst deutlich. Der realisierte Höchstpreis und der aktuell erzielte Markterfolg eines Werkes in einer Kunstauktion, also der Superlativ eines Preises, den ein Kunstwerk erzielen kann, stellt heutzutage alle anderen Aspekte von Kunst in den Schatten. Je exklusiver und öffentlichkeitswirksamer, je höherpreisiger und provokanter Kunstwerke auf dem Kunstmarkt reüssieren, desto erfolgreicher prägen sie das öffentliche Bild, das sich das gegenwärtige Publikum von Kunst macht.
Nicht ohne Grund gilt heute die Beteiligung des Publikums am Entstehen von Kunst als eine notwendige Entwicklung der Gegenwartskunst. Partizipation heißt diese Form einer grenzlosen Selbstoptimierung und Selbstannäherung an die Kunst. Wer partizipiert, kann sich einbilden, er hätte einen ganz eigenen Zugang zu einer Sache, einem Problem oder zur Kunst gefunden: eine Form der Aktivierung eigener Fähigkeiten zwischen einem allgemeinen gesellschaftlichem Anspruch auf Bildung und einer superlativisch gesteigerten Geistesgegenwart, die als (Höchst-) Leistung dem eigenen Talent zugerechnet und die einem permanent neu abverlangt wird.
Von der Pathosformel zum Witz – eine Art Selbstdarstellung
Zurück in die Zukunft, zur Kunst-Geschichte: Als Aby Warburg 1905 in seinem Vortrag «Dürer und die italienische Antike» erstmals den legendären Begriff der „Pathosformel“ prägte, hatte er offenbar sehr bewusst so etwas wie einen Superlativ der Gebärdensprache für die Kunstgeschichte fruchtbar gemacht (Anm.1). Bis heute hat diese komplexe Formel, die wie Beschleuniger der Imagination wirkt, nichts von ihrer Faszination eingebüßt und wird gerade auch von zeitgenössischen Künstler*Innen hoch geschätzt. Für die Pathosformel könnte man festhalten: Je kürzer und gesteigerter, desto unpräziser und inspirierender. Kunst ist Wissen, dessen lebendig gewordene Form sein Publikum im Idealfall auch etwas schlauer macht. Ein Superlativ ist zeitlich gesehen so etwas wie eine gewonnene Wette auf die Zukunft. Ein Autor, der einen neuen Superlativ in die Welt setzt, hat in jedem Fall etwas Unvergleichbares erschaffen, nämlich einen Superlativ, der so tut als wäre er nicht mehr steigerbar. Was ein Superlativ allerdings meistens verschweigt ist die Tatsache, dass auch dieser „nur“ durch eine bestimmte sprachlich-logische Operation zu dem geworden ist, was er ist und wie er funktioniert: als Höchstleistung, eine grenzenloser Kontakt zu einer eigenen Grenzerfahrung.
Superlativ oder Zukunft
Wodurch entsteht aber heute so eine enorme Nachfrage nach Superlativität? Wer die Gegenwart unendlich steigert, der entlastet sich umgekehrt vom Zwang in die Zukunft zu denken. Der Witz besteht also sozusagen in einer Fluchtreaktion. Wer superlativiert, ist nicht denkfaul, aber tendenziell zukunftsarm. Intellektueller Witz entsteht nach einer Definition Jean Pauls in der Fähigkeit, eine „entfernte Ähnlichkeit“ zu finden. Ein Superlativ wäre demnach sozusagen eine Inversion, eine intelligente Umkehrung eines Sachverhalts, ein plötzlicher Moment der Überraschung, der gleichzeitig auch Erkenntnis freisetzen kann. Ein Denken in superlativischen Formen ist so betrachtet ein Denken, das sich seinen eigenen Grenzen annähert. Das macht bis heute seinen unnachahmlichen Reizwert aus. Die Zukunft erscheint so für die eigene Gegenwart, was der Superlativ für einen Normalzustand bedeutet: Man kann die Annäherung an ihren Grenzwerte, die Entfesselung ihrer Möglichkeiten nicht vorhersagen.
(Anm.1) Vgl. Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts. Ffm 2010, S. 293ff. sowie http://kunstundfilm.de/2012/05/die-entfesselte-antike-aby-warburg-und-die-geburt-der-pathosformel/