Forever young: Jünger werden durch Kunst
Was für ein smarter Gedanke: Je intensiver man – gerade auch im Marta – mit Kunst in Kontakt kommt, desto jünger wird man. Ein intensives Gefühl, das heute neben Kunst vor allem auch durch die so lebendig wirkenden Sozialen Medien getriggert wird, ist der Wunsch, zumindest ebenso jung zu bleiben wie etwa ein gerade entstehendes Kunstwerk.
Zu den spannenden Wirklichkeiten, die uns die Gegenwart heute bietet, zählt wohl unser durch Kunst getriggerter Umgang mit uns selbst – genauer gesagt unsere laufend knapper und an Möglichkeiten und Risiken reicher werdende Lebenszeit. Wir fühlen uns wach und erleben uns buchstäblich als Zeitgenossen: „Veritas filia temporis (Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit)“ heißt eine seit der römischen Antike bekannte Formel. Es fragt sich bloß, um welche Wahrheit es hier geht. „Im Paradies gab es noch kein Alter, nur die Ewigkeit“ (Nora Bossong). In der heute so beschleunigten Gegenwart gibt es kaum Momente von Ewigkeit, doch vor allem massenhaft Bilder von Jugendlichkeit.
Flucht nach vorn
Heute gilt eine einfache Umkehrung gelebter Zeit: Je jünger man sich nach außen hin zu geben versucht, desto mehr hofft man dem wahren Alter zu entfliehen. In jedem Fall tritt eine aktive Autofiktion ein: Man wird jünger, indem man sich dazu die passenden jungen Gedanken macht. Etwa: Zeit macht Wünsche spürbar; jede*r ist ein*e Künstler*in des eigenen Lebens. Der beständige Wunsch danach jünger zu werden oder zu bleiben wirkt so gesehen wie eine Flucht nach vorne, in die Zukunft der nächsten Gegenwart. Jünger werden ist ein sehr aktueller Affekt: Indem uns die sozialen Medien eine junge, modisch-frisch und uns innerlich aktivierende Welt präsentieren, müssen wir uns – ob wir wollen oder nicht – unabhängig von unserem realen Lebensalter mit dem „Jüngerwerden“ als aktuellem sozialem Imperativ auseinandersetzen.
Dieser „scharf gestellte“ Umgang mit der eigenen Lebenszeit stellt Altes neu in Frage. Etwa die Frage nach der zeitlichen Definition von Zeitgenossenschaft. Sie ist heute kein ganz neues Thema aber doch deutlich mehr als ein sprichwörtlich alter Hut. In dem Moment im Leben, in dem uns Werke der Kunst dazu anregen, Veränderungen von eigener, inszenierter Zeit zu reflektieren, verändert sich unser Blick auf deren Gegenwart. Wir, die Anteil nehmenden Betrachtenden sind es ja, die in jedem neuen Lebensmoment unserer Begegnung mit einem Werk etwas Einzigartiges und vielleicht auch Unvergleichliches entdecken können. Je nach aktuellem, zeitbedingtem Fokus wird heute die Natur gegenwärtiger Kunst neu (um-)geschrieben. Wird das Medium Kunst nicht beispielsweise auch dazu benutzt, um neuartige Bilder und Ideen im Umgang mit der nächsten Zukunft zu evozieren?
Die Unsterblichen und ihr Publikum
Alles ist heute jederzeit anders möglich – vor allem auch das Bild, das wir uns von der (eigenen) Zukunft machen. Es scheint heute so zu sein, als ob sich Kunst nicht mehr ausschließlich nur noch am Neuen orientiert, sondern als ob uns ein Werk, ein Detail, eine Geste das Gefühl vermittelt uns genau jetzt – in diesem Moment –selbst anders als bisher zu begegnen. Und in diesem Moment fühlen wir uns wie verjüngt und verlebendigt – eine (romantisch klingende) Fiktion, aber eine, mit der wir offenbar gerne leben können.
Es gab und gibt viele Werke, die hier, innerhalb des Werkes, etwas im Unsichtbaren lassen, was dort, in unserer Anschauung, unmöglich gegenwärtig erscheint. Speziell die Fotografie war dabei das erste Medium, das diese Erkenntnis gleichsam technisch automatisierte und damit neue, zeitlich definierte Maßstäbe setzte. In dem Augenblick, in dem wir unsere Teilhabe an Kunst erkennen, werden wir zu Komplizen – auch von Kunst, die jetzt, in diesem Moment entsteht: Wir ziehen sozusagen den Vorhang beiseite hinter dem sich Kunst als Bild eines wohl gehüteten Rätsels verbirgt. Ein Geheimnis von Kunst liegt also in ihrer Fähigkeit einen Zugang zu ihr bewusst zu verunklären oder diesen als Folge einer eigenen Annäherung zur Welt kommen zu lassen.
Manchmal kann uns unsere Zeit glücklich machen – auch wenn sie vergeht bleiben uns unsere Jugend und unsere Bilder vom „Junggebliebensein“ gegenwärtig. Wir altern physisch – aber unsere Annäherungen an Kunsterfahrungen halten uns jung. Auch indem wir uns an Zeitloses erinnern: „Es gibt Filme, Bücher, Bilder, Objekte, die nicht altern“, schreibt Ulrich Peltzer in seinem Roman „Das bist Du“ (2021). Bereits 1947 notierte der Filmemacher und Schriftsteller Jean Cocteau: „Ich verkehre gerne mit jungen Menschen. Von ihnen lerne ich viel mehr als von den Alten. Ihre Keckheit und ihr Ernst sind Kaltwasserkuren. (…) Die Jugend ist bei sich selbst, wenn sie bei mir ist.“ (Jean Cocteau, „Die Schwierigkeit zu sein“, Frankfurt/Main, 1988)
Am jüngsten sind am Ende diejenigen, die nicht mehr altern können, weil sie zeitlos sind: die Unsterblichen. Doch zu den Unsterblichen zählen leider selten diejenigen, die die Sterblichen in Wahrheit unsterblich machen: Wir – das lebendig und aktiv agierende Publikum.