Gebt endlich die Bilder frei! – Teil 2
Haben wir die Museen nicht in ihrer Funktion als kollektives Gedächtnis verhandelt, in dem Bilder heranreifen, die identitätsstiftend für eine Gesellschaft sein können, sich aus ihrer Zeit herausschälen und sich im besten Fall in den Köpfen vieler, fast aller verankern wie van Goghs Sonnenblumen, Dürers betende Hände oder Leonardos Mona Lisa?
Solche Bilder dürfen am Ende – sprich nach ihrer „Bewährungszeit“, wenn 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers das Urheberrecht erlischt – niemandem gehören, sondern lediglich verantwortungsvoll bewahrt werden. Denn kein Museum „besitzt“ seine Kunst, sondern es hütet und pflegt sie, erforscht und vermittelt sie, sammelt und präsentiert sie. Wir als Museumsdirektoren sind Statthalter in gesellschaftlichem Auftrag, nicht verkrampft (und vergeblich) objektiv, sondern mit Haltung und scharfem Blick, mit Mut zum Urteil und dabei die Zukunft, das Gemeinwesen fest im Blick.
Genau dort auch liegt das große Missverständnis im Handeln der Reiss-Engelhorn-Museen der Stadt Mannheim, die sich gegen die freie Verfügbarkeit u. a. eines 1862 von Cäsar Willich gemalten Wagnerporträts juristisch zur Wehr setzen und ihren (potenziellen) Besuchern sogar die Abmahnanwälte auf den Hals jagen. Da ist es dann geradezu nachrangig, dass es bei dem mittlerweile in der zweiten Instanz verfolgten Rechtsstreit mit Wikimedia um die Frage geht, ob es durch das (fotografische) Bild vom (gemalten) Bild zu einer Erneuerung des Urheberrechts kommt. Oder ob die handwerklich einwandfreie Reproduktion eines Kunstwerks selbst eine künstlerische Leistung ist. (Wobei sich mir unter vielem anderen die Frage aufdrängt, warum der dienstleistende Fotograf für seine Auftragsarbeit nicht so entlohnt werden kann, dass eine Tantiemenregelung für die weitere Verwendung seines Produkts unnötig ist.)
Aber wenn ein Museum sich dazu berufen fühlt, grundsätzlich auch kontrollieren zu müssen, dass es hinsichtlich eines Kunstwerks nicht „in falschen Zusammenhängen zu einer Veröffentlichung oder Erwähnung kommt“ (Museumsdirektor Alfried Wieczorek auf einer Podiumsdiskussion in Berlin), dann dräuen hier dunkle Zeiten für die Kunstfreiheit. Denn wer bestimmt nach welchen Kriterien und mit welchem Recht, was die richtigen und was die falschen Zusammenhänge sind? Imprägniert sich nicht gerade das gute, überdauernde Werk selbst gegen den vermeintlichen oder tatsächlichen Missbrauch, den es souverän aushalten kann und auch muss? Wolfgang Ullrich hat sehr eindrücklich (und dankenswerterweise auch angemessen radikal) bei der Veröffentlichung seines jüngsten Buches auf diese unangemessene Kontrolle der Deutungshoheit und ihre fatalen Folgen hingewiesen.
Kunst als Lebensunterhalt
Vor allem vor dem Hintergrund der großen Umwälzungen, die die Digitalisierung, das Internet und die sozialen Medien mit sich gebracht haben, werden wir auch juristisch wieder viel mehr für die Freiheit der Kunst kämpfen müssen. Nicht ihre Vereinnahmung, nicht die Kontrolle ihrer Wiedergabe, nicht die Kanalisierung ihrer Verbreitung (wirklich augenöffnend hat gerade Svenja Bergt über das Sterben des Links geschrieben) und schon gar nicht die finanzielle Sanktionierung ihrer öffentlichen Nutzung darf leitend sein für zukünftige Umgangsformen, sondern ihr freier Weg in die Köpfe der Menschen, die die Kunst schon immer genutzt haben, um sich darin zu spiegeln, sich abzugrenzen oder sich in ihr zu verlieren.
Aber da sind dann auch noch die Künstler, die Urheber, die diese „Bildschlachten“ (Markus Lüpertz hat das wunderbar auf den Punkt gebracht), dieses Ringen mit der Form und der inhaltlichen Struktur gekämpft, erlitten und irgendwie abgeschlossen haben. Die eben nicht in erster Linie die Dekorateure unserer Privaträume sind, die Illustratoren unserer Allmachtsfantasien oder die willfährigen Werkzeuge unseres Gewinnstrebens, sondern den Zweifel und die Suche nach dem gültigen Werk für eine unbekannte Zukunft wagen und auch persönlich viel investieren.
Sie sollen, gerade auch wenn „der Markt“ eher zögerlich reagiert, für ihre Arbeit bezahlt werden, sie sollen davon ein Leben finanzieren können, das ihnen diesen Einsatz für die künstlerische Aneignung der Welt ermöglicht. Und auch gerade dann, wenn viele Menschen plötzlich den Eindruck haben, sie möchten mit diesem Werk etwas mitteilen, vermitteln, übermitteln, indem sie es fotografieren, weitersenden, kommentieren („Sharing is caring“), ja selbst indem sie sich dazu in ungewöhnlicher Pose ablichten oder ihr Foto sogar noch individuell nachbearbeiten.
Kunst als Kopiergut
Sollten nicht alle bildbezogenen Überlegungen, alle Diskussionen über Urheberrechte und Nutzungsmöglichkeiten diese Funktion, diese Freiheit mit der Kunst als erstes im Blick behalten? Denn niemand will ja die kreative Leistung als solche schmälern, niemand (zumindest die verantwortlich denkenden Köpfe) will eine schrankenlose Umsonstkultur installieren, die sich um die Mühen der künstlerischen Produktion einen Dreck schert. Aber wir wollen all diese wichtigen Fragen und Entscheidungen nicht einem freien Spiel der ökonomischen Kräfte überlassen, sondern die Diskussion wieder in den öffentlichen Raum der gesellschaftsbezogenen Perspektiven holen. Und wie?
Ich bin weder Jurist noch wirklich bewandert in den Einzelheiten praxisbezogener, gar europaweit gültiger Verfahrensweisen mit den Urheberrechten. Aber wir hatten und haben die gleiche Problematik bereits im analogen Zeitalter zu bewältigen, und das wenig überraschenderweise genau zu den Zeitpunkten, als auch hier die Reproduktionstechniken Marktreife erlangten. Plötzlich war es möglich, mit dem Kassettenrecorder uneingeschränkt Musikstücke im Radio mitzuschneiden, Mixtapes zu produzieren oder die neu gekaufte LP des Nachbarn auf ein Tonband für den eigenen Musikgenuss zu kopieren. Mit einem Mal standen an Universitäten und in Copyshops frei benutzbare Fotokopierer zur Verfügung, um von einzelnen Blättern bis zu ganzen Büchern stapelweise Arbeitskopien herzustellen.
Kunst als Verhandlungssache
Hier gibt es bis heute die für mich nach wie vor überzeugende Lösung, auf Kopiergeräte und -medien eine Pauschalabgabe zu legen. Gleich beim Kauf einer Tonbandkassette, eines Druckers oder beim Drücken des Fotokopierknopfes wird ein letztlich für den Endkunden nicht bemerkbarer Betrag für die Abgeltung der Urheberrechte einbehalten.
Mit dem Siegeszug des digitalen/digitalisierten Bildes hat man diese Praxis – und das ist durchaus anerkennend gemeint – einfach entsprechend ausgeweitet. Heute liegen auf einer Vielzahl von Geräten, auf USB-Sticks, Festplatten, Kameras oder Smartphones stark individualisierte Pauschalabgaben. Was also spräche dagegen, dieses Instrument weiter zu verfeinern, der vernetzten Online-Welt zeitgemäß anzupassen und gegebenenfalls auch bedarfsgerecht die entsprechenden Gebührensätze anzuheben? Im Gegenzug dafür würde jede private Nutzung sowie jede kulturelle Nutzung durch Einrichtungen, Verlage und gemeinnützige Unternehmen abgabenfrei gestellt. Die KünstlerInnen wiederum könnten bedenkenlos ihre Rechtevertretung an die VG Bild-Kunst übertragen, um an der großen Ausschüttung für die freie Nutzung ihrer Werke teilzunehmen.
Und! (ich vermute hier liegt der Hase im Pfeffer:) Der Gesetzgeber müsste den Mut und die Mittel einbringen, die großen multinationalen Verwertungsplattformen stärker in die Pflicht zu nehmen. Letztlich sind es vor allem auch sie, die von einem regen Kulturaustausch profitieren, deren Attraktivität vor allem über Bilder generiert wird und deren Einnahmen sich über die lebhafte Nutzung ihrer Angebote definieren. Dass das kein leichter Kampf ist, wissen wir spätestens seit der zähen Einigung der GEMA mit YouTube, aber dafür hat die Legislative auch andere Hebel …
Wir stünden gegenüber dem heutigen Zustand vor geradezu paradiesischen Verhältnissen! Wir könnten Kunstwerke frei fotografieren und weitergeben, drucken und hochladen, im Internet professionell oder privat zur Anschauung bringen, auf Webseiten einbinden und zu Fotoalben kompilieren. Wir könnten Künstler, Kunstwerke und Ausstellungen dauerhaft dokumentieren, sichtbar halten und jenseits von ökonomischen Zwängen langfristig in die Diskurse einbinden.
Kunst als europäische Herausforderung
Selbstverständlich wäre zuvor vieles neu zu denken und zu regeln: das Zusammenspiel von online/analog, bestimmte Verwertungsketten, die Definition des nicht-kulturellen Zusammenhangs, die Beurteilung kommerzieller Absichten usw. usf. Aber war jemals die Komplexität einer Materie ein respektabler Grund dafür, ihre Brisanz schlicht zu ignorieren? Hier läge gerade ein großes Potenzial auch für europäische Arbeitskreise, die sich statt mit Gurkenlängen oder Bananenkrümmungen mit einem wirklich zukunftsbestimmenden Thema zu beschäftigen hätten.
Die Kunst, die Bildkunst würde noch deutlicher in die Mitte der zeitgenössischen (!) Gesellschaft rücken, wäre mehr als je zuvor Teil eines kreativen, diskursiven Alltags und vor allem den zweifelhaften Interessen von höchst unterschiedlich motivierten Marktteilnehmern (zu denen heute ja bisweilen schon einige Produzenten selbst zu zählen sind) entrissen. Das einzige, was so nicht zu regeln ist, und ich würde einfügen, glücklicherweise, ist die Kontrolle darüber, wer welches Werk wo und in welcher Weise zitiert, verwendet, kommentiert und beurteilt. Aber diese Kontrolle ist auch nur ein Baustein autokratischer Verhältnisse, die der Kunst noch niemals wirklich wohlgesonnen waren.
Lass die Bilder frei! Frei kursieren, frei diskutieren, frei konfrontieren. Es würde uns als diskursfreudiger Gesellschaft gut zu Gesicht stehen. Und es würde auch den Makel des Illegalen von einer alltäglichen Praxis nehmen, die einer mit dem allgegenwärtigen Display sozialisierten Generation nur mit drakonischen und vor allem unnötigen Maßnahmen auszutreiben wäre.
Postscriptum
Ein persönliches Wort zum Schluss: Als wir hier im Team mit den Überlegungen starteten, das Thema Bildrechte einmal offensiv aufzugreifen – wir waren gerade mitten im Relaunch unserer Website –, habe ich nicht im Traum daran gedacht, was das genau bedeutet. Allein die (immer noch sehr oberflächliche) Einarbeitung in die Materie, die Gespräche mit Juristen, das Lesen zahlreicher Internetbeiträge, der Abgleich mit unserer eigenen Praxis und die Abwägungen zu Ausgewogenheit und Fairness haben (immer nebenbei zur täglichen Museumsarbeit) viele Stunden gekostet.
Was aber dann schon die Publikation des ersten Teils dieser „Empörung“ ausgelöst hat, stellte alle meine Erwartungen weit in den Schatten. Und das auf vielerlei Ebenen. Praktisch: Zwei Tage haben wir hier mit drei Personen das Netz beobachtet, Tweets gelikt, erwidert und geteilt, Facebook-Posts kommentiert, Kommentare auf dem Marta-Blog, bei Angelika Schoder und auf anderen Plattformen gelesen und beantwortet, Vorgehensweisen, Strategien und weitere Einlassungen besprochen und vieles mehr.
Inhaltlich: Wir hatten mit einer sehr kontroversen Debatte gerechnet, auch mit energischen Gegenstimmen, an deren Perspektive ich möglicherweise gar nicht gedacht hatte. Stattdessen aber gab es ein überwältigendes Aufatmen, ein unisono formuliertes „endlich!“, Zuschriften und Bestätigung auf allen verfügbaren Kanälen, sodass wir uns immer wieder stirnrunzelnd gefragt haben: Was haben wir denn Großes gemacht? Aber wenn wir so vielen aus dem Herzen sprechen, dann sollten wir das nutzen, am besten dezentral, vielschichtig und vernehmlich! Wir sind sicherlich noch weit davon entfernt, mit dem internationalen Lobbyismus konkurrieren zu können, aber wir haben eine Stimme, die gehört wird. Nutzen wir sie!
Eine Rückmeldung möchte ich gerne noch besonders an dieser Stelle erwähnen: Es gibt das Projekt der Deutschen Digitalen Bibliothek bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Deren stellvertretende Geschäftsführerin Dr. Ellen Euler hat mich in einem sehr netten Schreiben noch darum gebeten, meinen Teil zum Bekanntwerden ihrer Bemühungen beizutragen.
Schließlich: Ich danke ganz herzlich (und stellvertretend für ihr Team) Daniela Sistermanns für ihre engagierte Begleitung dieser Veröffentlichung in höchst bewegten Tagen!
Und hier geht’s nochmal zum Anfang.
Gebt endlich die Bilder frei! – Teil 1
5 Replies to “Gebt endlich die Bilder frei! – Teil 2”
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Lieber Herr Nachtigäller,
ich habe am Rande ja mitbekommen, wie viel Zeit Sie (und Ihr Team) in meine Interviewanfrage investiert haben. Daher freue ich mich besonders darüber, dass das Interview bei musermeku.org, aber auch Ihre beiden ergänzenden Beiträge hier im Blog eine so große Verbreitung und Zuspruch gefunden haben. Es hat sich gelohnt, sich diesem komplexen, umstrittenen und wichtigen Thema zu widmen.
Viele Grüße, Angelika Schoder
musermeku.org