Goodbye, Marta! Von der Kunst, Abschied zu nehmen
Wie beginnt man den letzten Blog-Beitrag als Marta-Mitarbeiterin? Woran erinnert man sich im Besonderen, wenn man den Arbeitsplatz in einem der spektakulärsten Museumsbauten Deutschlands nach fast fünf Jahren verlässt? Der Marta Blog ist eigentlich kein Ort für persönliche Sentimentalitäten, aber mit diesem Abschiedsbeitrag mache ich eine kleine Ausnahme.
Januar 2021: Ich stehe am Anfang meiner finalen Arbeitswochen im Marta Herford und überblicke die letzten Erledigungen. Zahlreiche Unterlagen und Mails wollen gesichtet, Projekte abgewickelt und Übergaben geschrieben werden. Wie beim Umzug aus einem Zuhause, das man lange bewohnt hat, erwecken diese Tage des Aufbruchs zahlreiche Erinnerungen an viele Jahre mit außergewöhnlichen Ausstellungen, Veranstaltungen und bereichernden Begegnungen mit Künstler*innen, Kulturschaffenden, Journalist*innen, Blogger*innen oder Kulturliebenden, die (oftmals immer wieder) meinen Weg im Marta kreuzten.
Abschied in Pandemie-Zeiten
Es sind merkwürde Zeiten, um Abschied zu nehmen: Als Verantwortliche für die Marta-Öffentlichkeitsarbeit lebte mein Arbeitsplatz immer vom direkten Austausch mit Kolleg*innen, Künstler*innen und Kreativen sowie von Brainstorming-Runden, bei denen die verrücktesten Ideen entstanden sind. Nun findet der Austausch nur noch digital statt, das Museum ist von Leere und Stille geprägt. Das, was das Marta für mich ausmachte, ist auf unbestimmte Zeit verschwunden: das emsige Treiben in den Büros, die vielen Kita- und Schulgruppen, die die Gehry-Galerien oder das Marta-Atelier schon am Morgen mit Leben füllten, oder der Austausch mit Besucher*innen bei unseren Veranstaltungen. Ich wünsche mir sehr, dass dies alles sehr schnell wieder zurückkehren kann.
Der fremde Raum
Mit „Der fremde Raum – Angriffe, Verwandlungen, Explosionen“ startete ich 2016 in mein erstes Marta-Jahr und sollte hier schon einen Vorgeschmack darauf bekommen, was das Marta Herford von vielen anderen Kunstmuseen unterscheidet. Zwei Wochen lang wurden die Gehry-Galerien zu einem Experimentierfeld von acht ungewöhnlichen Künstler*innen, die die Ausstellungsräume völlig verwandelten und sowohl die Besuchenden als auch uns als Team staunen ließen. Mich beeindruckte vor allem der eigentliche Arbeitsprozess: Künstler*innen und Museumsteam arbeiteten wochenlang in einem hochkreativen und engen Austausch. Die Gehry-Galerien wurde dabei buchstäblich auf links gedreht: Die Museumsdecke für eine Installation von Peter Buggenhout eingerissen, Henrique Oliveiras wurmähnliche, begehbare Konstruktion durchdrang kurzerhand zwei Wände und in einer weiteren Galerie entführte uns Arne Quinze in eine bunte, märchenhafte Dschungelwelt. Wahrscheinlich habe ich hierbei zum ersten Mal begriffen, dass Marta anders ist: experimentell, unkonventionell, neugierig und überraschend. Und genau diese Ansätze sollten sich in vielen weiteren Ausstellungsprojekten fortsetzen.

Willkommen im Labyrinth
Einen ähnlichen Ansatz verfolgte zwei Jahre später die Ausstellung „Willkommen im Labyrinth – Künstlerische Irreführungen“, die – ausgenommen von der Eröffnungsschau 2005 – mit Abstand zu den am meisten besuchten Ausstellungen im Marta zählt. Das Museum hatte sich auch hier wieder komplett verwandelt, neu erfunden und mit teilweise raumgreifenden Installationen immersive Welten entstehen lassen, die mich selbst als Mitarbeiterin immer wieder in ihren Bann zogen. Berührend waren vor allem die Reaktionen der zahlreichen Besuchenden, die stellenweise bis zu zwölf (!) Mal diese eine Ausstellung besuchten und immer wieder andere Freund*innen und Familienmitglieder mitbrachten. Einprägsam waren für mich die staunenden Gesichter der Gäste, wenn sich die Türen zu Song Dongs scheinbar bodenloser Spiegel- und Lampeninstallation öffnete, sie sich im roten Dickicht von Chiharu Shiotas roter Fadeninstallation verirrten oder den unheimlich anmutenden Raum von Anne Hardy verließen. Mit einem ersten größeren Bloggerevent im Sommer 2018 luden wir viele Interessierte ein, das Marta und die Ausstellung besser kennenzulernen. Hierbei wurden die Weichen für den Ausbau unseres Instagram-Kanals gestellt. Aber besonders nachhaltig bleibt mir in Erinnerung, dass wir während dieser Ausstellung sehr viele Menschen zu Gast hatten, die das Marta sonst nicht besuchten, die teilweise die bildmächtigen Werke bei Instagram entdeckten und deswegen extra nach Herford anreisten – und uns stellenweise bis heute fragen, ob sie noch zu sehen sind. Wenn Kunst so eine Anziehungskraft erreichen kann, dass dafür längere Wege in Kauf genommen werden, dann kann man als Team, das so ein Projekt auf den Weg gebracht hat, nicht zufriedener sein.

Autistic Disco
Ähnlich verhielt es sich mit der Autistic Disco mit Lars Eidinger und Bonnie im Januar 2020. Wir blickten in jener legendären Partynacht in viele glückliche Gesichter, die stellenweise das Marta zuvor noch nicht besucht hatten. Sie nahmen dieses Partyformat als Anlass, um vorher durch die Galerien zu streifen, sich mit den Werken der Ausstellung „Im Licht der Nacht“ auseinanderzusetzen, bevor es sie ab 23 Uhr ins bunte Scheinwerferlicht der Tanzfläche zog. Das Echo war überwältigend: Viele forderten eine Wiederholung dieser „magischen“ Nacht. Damals war noch nicht abzusehen, dass die bevorstehende Corona-Pandemie jede Hoffnung auf Wiederkehr vorerst zunichtemachen würde.

Der Mensch unter den Fotografen
Fast alle Marta-Projekte waren herausfordernd und spannend, aber es gibt dann doch Begegnungen oder Ausstellungen, die bleiben tiefer im Herzen. Für mich war es „Anders Petersen – Retrospektive“. Kaum ein anderer Mensch hat mich mit seinen Fotografien so sehr berührt wie der schwedische Fotograf Anders Petersen. Mit Blick auf die „Ränder“ unserer Gesellschaft machte er bewegende, stellenweise schonungslose Aufnahmen in Gefängnissen, psychiatrischen Anstalten, Rotlichtvierteln und in Pflegeheimen. Bis heute verströmen seine legendären in den 1960er Jahren entstandenen Schwarzweißporträts von sozialen Außenseitern auf der Reeperbahn eine melancholische Eindringlichkeit und einen lyrischen Klang, die vor allem dadurch geprägt sind, was Anders Petersen selbst ausmacht: Warmherzigkeit und Empathie. In einem Interview für den Marta-Blog sagte er einmal: „Wir sind verschieden? Das macht nichts. (…) Wir sind eine große Familie und es spielt keine Rolle, welcher Religion, Tradition oder Kultur wir angehören oder wo wir uns gerade befinden. Es ist unwichtig. Im Grunde sind wir alle gleich. Und das müssen wir uns merken. (…) Ich will die Menschen nicht voneinander isolieren, ich will sie zusammenführen. Insofern ich beim Fotografieren überhaupt ein Ziel vor Augen habe, ist dies, glaube ich, eines der wichtigsten Ziele.“

Das Herz von Marta
Ich knüpfe nochmal an die eingangs gestellte Frage an: Woran erinnert man sich also, wenn man das Marta nach fast fünf Jahren verlässt? Natürlich sind es die besonderen und herausfordernden Projekte und Ausstellungen. Aber vor allem werde ich mich im fernen Karlsruhe am liebsten an das eigentliche Herz von Marta erinnern: an die Menschen, die darin arbeiten. Ich werde sehr gerne an das großartige Team zurückdenken, das so bereichernd, mitreißend und kreativ wirkt und es damit geschafft hat, Marta Herford zu einem außergewöhnlichen Ort für zeitgenössische Kunst zu machen. Und das weit, weit über die Grenzen Ostwestfalens hinaus.
