Homo Imagines I – Im Zeitalter der Bilder Teil 1
Fotos, Zeichnungen, Grafiken und die Aneinanderreihung von Bildern in Form von kurzen Filmsequenzen bis hin zu Spielfilmen umgeben uns tagtäglich. Wir leben im Zeitalter der visuellen Reize, die unsere Aufmerksamkeit steuern.
Statt langer Produktbeschreibungen und dem guten Rat eines Verkäufers lassen wir heute lieber Bilder sprechen, die Botschaften transportieren. 500 bis 1000, manche Schätzungen gehen bis zu 6000 Werbekontakte prasseln jeden Tag auf deutsche Konsumenten ein – Tendenz steigend. Die Werbung hat sich dafür das Medium Bild als Blickfang längst zu Eigen gemacht und mit dem AIDA-Modell Geschichte geschrieben: Eine Werbeanzeige muss Aufmerksamkeit erregen (attention), Interesse an dem Produkt wecken (interest) und schließlich einen Kaufwunsch auslösen (desire), der so stark ist, dass z.B. zum Launch der neuen Kanye-West-Kollektion die Berliner Kids freiwillig vor dem „Pablo Store“ in Kreuzberg campten, um ein limitiertes Teil zu ergattern (action). Die Vielzahl der Werbebotschaften hat erschlagende Ausmaße angenommen, was dazu führt, dass KonsumentenInnen auf Bannern, die sich über Online-Artikel schieben, der Dialogpost im Briefkasten und der hundertsten überfreundlichen Ansprache in der Einkaufspassage zunehmend genervt reagieren.
Die neue Macht der sozialen Medien
Auch Museen kommen nicht ohne Werbung aus, in der das Bild auf mehreren Ebenen eine entscheidende Rolle spielt. Das bewährte AIDA-Prinzip wird hier genutzt, um (Blockbuster-)Ausstellungen und Sammlungspräsentationen mit den aufsehenerregendsten Werken klassisch zu bewerben (TV, Zeitung, digitale Werbebanner), was sich wiederum in immer neuen Besucherrekorden niederschlagen soll. Die sozialen Kanäle tragen dabei heute einen nicht unwesentlichen Teil zur Bewerbung einer Ausstellung und der Imagepflege einer Kulturinstitution bei: Instagram, Facebook und Twitter sind Medien, in denen alle großen Kulturinstitutionen vertreten und vernetzt sind. Auch dort werden Bilder verwendet, um Botschaften zu vermitteln, die von der Kommunikation der Öffnungszeiten bis zu Hinweisen zu aktuellen Ausstellungen reichen können.
Neben dieser vorrangig schnelllebigen Nutzung von Bildern wird die Forderung nach digitalen Sammlungspräsentationen lauter, die vornehmlich Highlights der jeweiligen Ausstellungshäuser dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen. Dabei gibt es speziell in Deutschland allerhand Regeln zu beachten, wenn man Abbildungen von Kunstwerken verwenden möchte. Marta-Direktor Roland Nachtigäller berichtete bereits ausführlich und forderte dazu auf, die Bilder freizulassen, um sie der diskussionsfreudigen Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.
Wohin aber führt die Freilassung der Bilder? Zu einer unkontrollierbaren digitalen Bilderflut, die letztlich ebenso nervt wie die klassische Bildwerbung? Und was passiert mit dem physischen Ort, wenn sämtliche Kunstwerke digital zu sehen sind und sich der Besuch im Museum erübrigt? Werden digitale Rundgänge langfristig den Besuch im Museum ersetzen? Die Angst ist groß, so scheint es, vor dem unbekannten Potential, das in den digitalen Möglichkeiten schlummert.
Das neue technische Zeitalter
Grundlage heutiger Auseinandersetzungen mit dem Stellenwert der Bildreproduktion ist vielmals noch immer Walter Benjamins Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, den er 1935 im Pariser Exil schrieb. Benjamin befasst sich mit der Aura eines Kunstwerks, die sich durch die soziale Funktion der Medien verändert, und geht dabei auch auf Marx‘ Analyse der kapitalistischen Produktionsweise ein. Wie bereits im Titel impliziert, steht das Kunstwerk, nicht die Kunst im Allgemeinen, im Zentrum seiner Beobachtung. Die Fotografie ist für Benjamin deshalb revolutionär, weil sie das erste reproduzierbare Werk der bildenden Kunst hervorbringt. Die Echtheit eines Kunstwerks wurde bis dato an der konstruierenden Hand gemessen, die eng mit Vasaris Geniebegriff verbunden ist.
Durch den Verlust der Einmaligkeit sowie den Verlust der Echtheit, die Benjamin an der Einbettung in den zeitlichen und örtlichen Kontext der Entstehung festmacht, verliere das Kunstwerk seine Aura. Trotz der damit verbundenen Entwertung des Originals begreift Benjamin den neuen Prozess nicht als etwas Negatives, sondern sieht darin eine positive Veränderung der Sinneswahrnehmung der kollektiven Masse. Durch die Reproduktion stellt sich ein neues Qualitätsdenken über das Quantitätsdenken.
Wie Benjamin sieht auch Michel Foucault in der Gesellschaft eine regulierende Instanz: „Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbares Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.“ (Die Ordnung des Diskurses, 1993.) Folgt man der Annahme der allgemeinen Diskurstheorie, so trifft die Gesellschaft ein Urteil darüber, was sie sehen möchte und was nicht.
Auch Facebook, Twitter und Instagram als Plattformen des Austausches und der sozialen Interaktion sind damit etwas, was aus dem Kollektiv heraus entstanden ist. Benjamin und Foucault hatten bei der Ausformulierung ihrer Gedanken allerdings noch keine Ahnung, welchen Einfluss die Digitalisierung auf unser Leben und die Meinungsbildung hat. Die sozialen Netzwerke sind längst neben dem sozialen Mittelpunkt der Gesellschaft auch Werbeplattformen, in denen sich Bilder millionenfach verbreiten lassen. Von Aura kann längst keine Rede mehr sein. – Oder doch? Wie würde die digitale Sammlung Marta aussehen, wenn wir den Benjamin endlich einmal richtig verstehen?
Hinweis:
Teil 2 folgt am 26.05.17
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