Im Schatten der Ausstellungen – Über die Bedeutung von Museumssammlungen
Die öffentliche Wahrnehmung des Museums Marta Herford wird insbesondere durch die faszinierende Architektur und die publikumswirksamen Ausstellungen und Veranstaltungen bestimmt. Dies sind jedoch nicht die alleinigen Merkmale des Ausstellungshauses.
Ein wichtiger Pfeiler bleibt der Öffentlichkeit in großen Teilen verborgen: die Sammlung Marta dient nicht nur als Inspirationsquelle, sondern bildet vor allem das vielfältige Ausstellungsprogramm und die engen Künstler*innenkooperationen des Museums ab.
Wo alles begann – Ein kunsthistorischer Exkurs in die Vergangenheit
Die Anfänge von Kunstsammlungen gehen auf das späte Mittelalter zurück. Bis hin zur Barockzeit war es in europäischen Fürst*innenhäusern durchaus beliebt Kuriositäten und Erinnerungen aus fernen Ländern, aber auch besondere und kostbare Handwerkskünste sowie Raritäten zu sammeln und in sogenannten Kunst- und Wunderkammern aufzubewahren. Dabei wurde nicht zwischen Kunst, Handwerk oder Naturalien unterschieden. Im Zentrum der Sammelbegeisterung stand die Leidenschaft für schöne Objekte, aber auch die Neugier nach Unbekanntem aus fernen Ländern und nicht zuletzt die Faszination für seltene sowie seltsame Gegenstände, die sowohl antike Sagen und mythische Geschichten wiederbeleben ließen als auch den Forschungsdrang erweckten. Die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance und des Barock waren enzyklopädische Universalsammlungen, die das gesamte Wissen ihrer Zeit zu erfassen versuchten und sie dienten im gleichen Maße der Machtdemonstration, da sie eine Möglichkeit boten materiellen Besitz und das individuelle Weltverständnis ästhetisch einzubetten.
Museumsidentitäten der Gegenwart
Im Laufe der Zeit wurden die fürstlichen Sammlungen zerstreut, aufgelöst oder bildeten die Grundlage öffentlicher Museumssammlungen, die nicht zuletzt durch das Mäzenatentum erweitert wurden. Nicht selten werden Museumssammlungen noch heute durch Kunstförder*innen initiiert oder in Form von Dauerleihgaben sowie Schenkungen unterstützt. Dies kann die Ausrichtung einer Sammlung und damit auch die Position eines Museums entscheidend prägen. Denn eine Museumssammlung sagt viel mehr über eine Institution aus, als man denkt. Sie bildet die DNA, anhand derer die Geschichte und Entwicklung eines Ausstellungshauses abgelesen werden kann. Aber bekanntermaßen beeinflussen nicht nur Mäzen*innen die Anschaffung von Kunstwerken, sondern vornehmlich auch Museumsdirektor*innen und -kurator*innen. Denn schließlich gehört das Sammeln neben dem Ausstellen, Vermitteln, Forschen und Bewahren laut dem internationalen Museumsrat ICOM zu den fünf Grundpfeilern der Museumsaufgaben.
Anderseits sind Sammlungen auch das, was man daraus macht. Dabei zählen nicht nur die Inhalte, sondern auch die Formen der Präsentation, mit der sich neue Herausforderungen ergeben können. Der Vorteil einer Museumssammlung ist, dass Kunstwerke immer wieder neu kombiniert werden können und dadurch neue Geschichten oder Fragestellungen entstehen. In unserer vergangenen Sammlungsausstellung „Marta Maps – Neue Routen durch die Sammlung“ beschäftigten sich die Kuratorinnen Tanja Korte und Franziska Brückmann mit den unterschiedlichen Perspektiven, die man beim Betrachten von Kunstwerken einnehmen kann. Dabei stellten sie den Besuchenden drei verschiedene Routen zur Verfügung. Hier hatte man die Wahl sich von den Gedanken des Autors Wladimir Kaminer leiten zu lassen, die Werke aus der Sicht von Grundschulschüler*innen zu betrachten, hinter die Kulissen der Museumsarbeit zu schauen – oder eine ganz eigene Sichtweise auf die Werke einzunehmen. Um auch das Entwickeln eigener Ideen und Herangehensweisen – inspiriert durch die Routen – zu fordern und zu fördern wurden keine Werklabels angebracht. Stattdessen boten Postkarten an einer zentralen Stelle im Ausstellungsraum die Möglichkeit gezielt Informationen zu suchen. Die Beobachtung macht deutlich, dass der Spagat zwischen Informationsbedürfnis und Verunsicherung der Besucher*innen und der Beförderung einer eigenermächtigenden Kunstbetrachtung die Loslösung von konventionellen Ausstellungskonzepten erfordert.
Sammlungsvisionen – Ausblick in die Zukunft
Im September wird am Marta ein neues Sammlungskapitel aufgeschlagen. Die Direktorin Kathleen Rahn nutzt die erste von ihr kuratierte Ausstellung „Perspektiven einer Sammlung – Inventur und Vision“ in den Gehry-Galerien, um die Ausrichtung der Sammlung Marta zu rekapitulieren und neue Perspektiven zu eröffnen. Mit einer Auswahl an Werken wie zum Beispiel von Panamarenko, Martha Rosler oder Pascale Marthine Tayou wird der Blick auf die Diversität der Sammlung in puncto Gender aber auch hinsichtlich der Herkunft der in der Sammlung vertretenen Künstler*innen geschärft. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt verdeutlicht das noch gärende Konzept, dass Museumssammlungen als eine Art Zeitkapseln agieren und es wichtig ist, die eigene Sammlung kontinuierlich zu hinterfragen. Die noch junge Sammlung Marta umfasst um die 500 Arbeiten und wurde bereits vor Eröffnung des Hauses vom Gründungsdirektor Jan Hoet aufgebaut. Mit der Unterstützung des Marta Freundeskreises und inspiriert durch die Wechselausstellungen wird diese kontinuierlich erweitert. Dadurch weist die Sammlung Marta zumindest eine hohe Diversität an Medien und Formaten auf. Schaut man jedoch beispielsweise auf die Frauenquote, ist der Sammlungsbestand – wie in vielen anderen Museumsinstitutionen sowie in der Kunstgeschichte schlechthin – noch ausbaufähig.
Durch den offenen Diskurs in Form einer Ausstellung knüpft Kathleen Rahn an ihre Vorgänger an, die stets im engen Austausch mit den Marta-Besuchenden standen und gibt der Sammlung Marta zugleich einen kleinen Schubs in eine noch vielseitigere Zukunft. Denn das Marta wäre nicht das Marta, wenn es sich nicht ständig selbst hinterfragen würde.