Ein Alien auf Heimatbesuch?
Marta Herford scheidet mit seinem Erscheinungsbild die Geister. Die einen beschreiben den Bau des amerikanischen Stararchitekten Frank Gehry als genial und faszinierend, andere wiederum bezeichnen das Marta kritisch als ein gestrandetes Alien in der ostwestfälischen Provinz.
Der Bau fasziniert und polarisiert gleichermaßen und macht schon von weitem auf sich aufmerksam. In Sonnenlicht gebadet, zieht das reflektierende Edelstahldach alle Blicke in der Goebenstraße auf sich. Das zweite prägende Material, der rote Klinker, tritt dabei erst einmal in den Hintergrund, auch wenn diese Steine einen Bezug zur regionalen Bautradition herstellen.
Unaufdringlich breiten sich die kleinen rechteckigen Steine über den Boden und die Fassade des Museums aus und prägen das Aussehen und den Klang unseres Museums. Die Klinker in den Boden-Verbünden sind nicht verfugt und klimpern munter unter den Füßen der BesucherInnen. Auch der Parkplatz, die Plaza vor dem Museumseingang und sogar deren Erweiterung auf der gegenüberliegenden Straßenseite sind mit dem Material ausgelegt, das sich wie ein roter See um das Gebäude legt. Klinker hat zudem eine ganz eigene Haptik, anfassen lohnt sich!
Material, Form, Geschichte
Die unter hohen Temperaturen gebrannten, typischerweise rotbrauen Ziegelsteine sind mit der Region Ostwestfalen und dem Münsterland eng verbunden. Die Tonerde für die Klinkersteine, die hier in der Region verwendet werden, wird im Münsterland gestochen, die Kohle zum Brennen wird im angrenzenden Ruhrgebiet abgebaut. Dieser Klinkertyp wird deshalb auch Münsterländer Kohlebrand genannt. Auch der Klinker, der für den Bau des Martas verwendet wurde, ist ein Münsterländer Original und stammt aus der Brennerei Hagemeister. Insgesamt wurden über 180.000 Steine verbaut.
Bauen mit Klinker
Schaut man sich aufmerksam um, entdeckt man allerhand Klinkerfassaden, die das Stadtbild Herfords prägen. Für zahlreiche Industriebauten der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die die Zeit überstanden haben, wurden die robusten wie kostengünstigen Ziegel ebenfalls verwendet. Klare Linien, wenig Ornament und eine zeitlose Ästhetik wird Klinkerbauten allgemein nachgesagt.
In der Architektur spricht man dabei von der Tektonik, der „Kunst des Zusammenfügens starrer, stabförmiger gestalteter Teile zu einem in sich unverrückbaren System“, wie es Gottfried Semper definierte. Der Architekt Frank Gehry begann bereits in den 1960er Jahren mit der architektonischen Formensprache zu spielen und die Tektonik auf die Probe zu stellen. Seine dekonstruktivistischen Gebäude weisen häufig fließende, scheinbar tanzende Fassaden auf, unterschiedliche Materialen treffen dort auf auseinanderstrebende Bauelemente. Starre, stabförmige Teile findet man bei ihm nur noch selten.
Die tanzende Fassade von Marta
Gehry wählte mit dem Klinker ein Material für die Fassade von Marta, das einerseits für seine Gradlinigkeit bekannt ist und andererseits wie bereits erwähnt einen direkten Bezug zur Region hat. Mit seinem Entwurf stellte er nur die gängige Nutzung von Fassadenklinker auf den Kopf. Das Marta ist eine riesige asymmetrische Skulptur, dessen hochaufsteigender Dom in den Himmel ragt. Kein Ausstellungsraum gleicht dem anderen, rechte Winkel sucht man vergeblich. Der Einsatz der linearen Klinkersteine außen überrascht, die Fassaden ragen nicht senkrecht empor, sondern neigen sich wogend vor und zurück. Durch das Material wirkt die Fassade trotzdem solide, man hat keine Angst, von einem losen Klinkerstein erschlagen zu werden, wenn man unter den ausufernden Schwüngen entlang geht. Die Statik des Museums wurde aufwendig berechnet und geprüft, bevor mit dem Bau begonnen wurde.
Die eng gereihten Klinkersteine ziehen sich in Bändern aufgereiht die Fassade empor und bilden eine glatte Oberfläche ohne Versprünge. Durch das Material wird das Marta auch ästhetisch in der Region verankert. Selbst wenn Marta auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper wirkt, greift es doch Geschichte und Tradition der Umgebung auf und mag vielleicht in seiner Formsprache erstaunen, aber kein undurchdachter Alien sein, der die ostwestfälische Idylle stört.