Kommunikation: Foto
Wohl alle kennen die Situation, wenn das Handyfoto die Textnachricht ersetzt. Denn etwas zu fotografieren kostet weitaus weniger Zeit als nach den passenden Worten zu suchen. Längst hat sich die Bilder-Sprache zu einer routinierten Gewohnheit entwickelt. Hat uns die Handykamera mund- und schreibfaul werden lassen?
Dabei sind Fotos doch eigentlich eher unkonkret in ihren Aussagen. Ihr Inhalt ist frei interpretierbar, auch weil wichtige sprachliche Deutungshinweise wie Mimik, Gestik oder Tonfall entfallen. Doch das Smartphone und die Handykamera als ständige Begleiter scheinen eine Art Übereinstimmung zwischen den persönlichen Absichten der Fotograf*innen und den Betrachtenden hervorgebracht zu haben.
Bilder als Teil des Diskurses
Die technischen Möglichkeiten des Handys und verschiedene Chatanbieter wie Telegram oder Threema haben unsere Art und Weise zu kommunizieren und Nachrichten zu verfassen stark verändert. Inzwischen ist wohl jedes Handy mit einer guten Kamera ausgestattet, wodurch Erfahrungen und Gefühle in Chatverläufen immer öfter in Bildern ausgedrückt werden. Und sollte die Beziehungsebene doch stärker verdeutlicht werden müssen, gibt es inzwischen eine große Bandbreite passender Smileys und Emoticons. Doch auch soziale Kanäle wie Instagram sind sicherlich nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung. Eine kuratierte Bildabfolge ersetzt inzwischen oft ausführliche Reiseberichte über Land und Leute. Teils hat es sogar den Anschein, dass das ‚Drehbuch‘ bereits vorab geschrieben wurde. Dabei bildet die Fotografie lediglich das Sichtbare ab und erst die sprachliche Ausführung bringt das Unsichtbare zu Tage. Vollkommen richtig verwies bereits Susan Sontag darauf, dass immer auch eine Wirklichkeit jenseits der Abbilder existiert – und natürlich ist das heutzutage wohl allen klar. Dennoch haben sich Bilder im öffentlichen wie privaten Diskurs längst etabliert, ob als Appell oder Ausdruck spontaner Gedanken, die früher nur mündlich ausgetauscht wurden.

Neue Bildformate = neue Weltwahrnehmung
Die aktuelle Schau „Trügerische Bilder – Ein Spiel mit Malerei und Fotografie“ erzählt in einem Zeitstrahl, der sich als Architektur durch die Ausstellung schlängelt, die wechselvolle Geschichte zwischen den beiden Medien. Als der Dekorationsmaler Louis Jacques Mandé Daguerre im August 1839 ein Verfahren vorstellte, das das Gesehene als Abbild direkt auf ein Papier fixieren kann, veränderte er damit die Sicht auf die Welt. Die Daguerreotypie und die dann folgenden fotografischen Verfahren wurden stets von hitzigen Diskussionen über die Abbildbarkeit des Realen begleitet. Denn jede neue technische Errungenschaft erneuert immer auch das Beziehungsverhältnis von richtig und falsch, öffentlich und privat sowie Ort und Zeit. So wie die Neue Sachlichkeit als fotografischer Stil in den 1920er Jahren eine neue Alltagsästhetik hervorbrachte, hat auch die Handykamera unsere Alltagswahrnehmung verändert und sogar einen ganz neuen Habitus etabliert: das Selfie. Inzwischen kennt wohl jede*r seine Schokoladenseite und den perfekten Winkel und Abstand zwischen Kameralinse und Gesicht. Doch auch visuelle Trends wie einst Faux-Vintage-Bilder, Bilder von modernistisch eingerichteten Innenräumen oder Fotos von Essen erneuern unseren Blickwinkel auf unsere Umwelt und wie wir sie und unser Leben dokumentieren.
Eine neue Bildlogik
Der Social-Media-Theoretiker Nathan Jurgenson benennt diese neue kulturelle Praxis des Sehens, Sprechens und Lernens als „Social Photography“. Als „social photos“ bezeichnet er solche, die der Kommunikation dienen und sich konzeptuell anderes verankern als beispielsweise die Kunstfotografie. Jurgenson ordnet die „social photos“ daher auch nicht der Bildwissenschaft, sondern der Sozialtheorie zu. Die Tatsache, dass Instagram eine ganz neue Generation an Fotograf*innen hervorgebracht hat, zeigt, dass diese Grenze fließend ist und dass Bilder heute mehr denn je hinsichtlich ihres Abbildungszwecks betrachtet werden müssen. Doch welchen Einfluss hat die neue Bild-Sprache auf die Einbildungskraft, die doch eigentlich erst im mündlichen Ausführungsakt ihren Ausdruck findet? Der neue Trend der Sprachnachrichten könnte in dieser Frage seine Antwort finden.