Kontrolle ist gut – Freiheit ist besser
Bisher haben wir gerade im Museum unter „Rahmung“ immer etwas Schönes und Wertschätzendes verstanden. Mit dem Sprung der englischen Begriffsübersetzung in den deutschen Sprachgebrauch aber entsteht plötzlich ein Problem: „Framing“ bezeichnet in der digitalen Welt das Einbinden fremder Inhalte auf der eigenen Webseite – nicht als faktische Kopie, sondern als Link auf das Original.
Dennoch ist so eine Abbildung natürlich über das „Framing“ an mehreren Stellen im Internet zu finden. Denn der User erkennt in der Regel nicht, ob der Inhalt einer Webseite insgesamt aus einer einzigen Quelle stammt oder aber von verschiedenen Orten zusammengezogen wird.
Übersetzen wir den Sachverhalt nochmal zurück in die analoge Welt einer Ausstellung: Ein Gemälde hängt auf einer Museumswand, kann aber durch verschiedene Türen oder Fenster zur Galerie aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln gesehen werden. Je nachdem, welche anderen Werke in einer Nachbargalerie hängen, können sich allein aufgrund verschiedener Perspektiven der Besucher*innen sogar ganz neue Kontexte ergeben – das Bild wird plötzlich konkret in seiner Mehrdeutigkeit erfahrbar. Was analog allerdings nicht geht, digital hingegen keine große Sache ist: Im Museum lässt sich der ursprüngliche Kontext des Originalwerks nicht vollständig ausblenden und gegebenenfalls sogar durch einen selbstgeschaffenen Zusammenhang ersetzen. Damit sind wir bei der Kernfrage: Ist „Framing“ ein Gewinn oder eine Gefahr für die Kunst?
Gemeinfreiheit und Diskursfreiheit
Als Ergebnis der vielbeachteten Konferenz „Museen im digitalen Raum“ der Pinakotheken in München am 6. Oktober 2017 erschien kurz darauf mit Datum vom 15. Februar 2018 die sogenannte Münchner Note. Bemerkenswert an dieser Verlautbarung war, dass – zumindest in meiner Wahrnehmung – zum ersten Mal ein öffentliches Papier gemeinsam von Museen und der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst (VG BK) unterzeichnet wurde. Hier schien plötzlich eine Perspektive auf, die die lange genug gepflegte Konfrontation zwischen Urhebervertretung und Nutzer*innen endlich zu beenden versprach. Auch wir vom Marta Herford haben die Münchner Note mit unterzeichnet.
Und dann kam das Symposion „Wem gehören die Bilder – Wege aus dem Streit um das Urheberrecht“, das am 14. und 15. September diesen Jahres nicht nur vor Ort im Marta-Forum, sondern auch zeitgleich und später im Netz viel Interesse und Reaktionen hervorrief. Mit am heftigsten diskutiert wurde der Vortrag von Ellen Euler, die mit viel juristischem Fachwissen und dennoch sehr einleuchtend das Thema „Framing“ beleuchtete (andernorts wird es auch mit „Embedding“, also einbinden beschrieben). Darüber hinaus plädierte sie für einen Perspektivwechsel weg vom möglichen Missbrauch der Bilder und hin zur positiven Nutzung, um letztlich ein „bilderloses Europa“ zu verhindern. Neben einem engagierten Plädoyer für den Wert der Gemeinfreiheit sprach sie vor allem von der Vision einer deutlichen Verbesserung der juristischen Rahmenbedingungen für Wissenschaft und Forschung, um „echte Nutzungsrechte“ zu schaffen mit beispielsweise einer „Katalogbildprivilegierung“ für Kulturerbeeinrichtungen.
[Einschub: Vor Kurzem rief mich im Nachgang unserer Tagung eine etwas verzweifelte Kollegin an und schilderte mir, dass sie für eine umfangreiche Buchpräsentation ihrer wirklich phänomenalen Sammlung zum Museumsjubiläum bei 700 Seiten auf hochgerechnet 19.000 Euro Gebühren für die VG BK komme – das dürfte damit etwa in gleicher Höhe wie die gesamten Druckkosten liegen.]
Kontrolle ist Macht
Bei vielen Diskussionen über das Zeigen von Werken der bildenden Kunst und des kulturellen Erbes geht es vor allem um die Angst vor dem Kontrollverlust! Auch die Münchner Note fordert deshalb ein Verbot des Framings, „damit die Bildurheber/innen mit der Sichtbarmachung der Bestände nicht die Kontrolle über weitere Nutzungen ihrer Werke im Internet verlieren“. Allerdings – und das wird mir erst in der intensiveren Auseinandersetzung mit dieser Thematik klar – hat eine solche Kontrolle weder im juristischen Sinne noch im alltagspraktischen Handeln je bestanden. Auch in der analogen Welt hatte es ein Werk der Kunst auszuhalten, dass es in Zusammenhängen auftauchte, zitiert und abgebildet wurde, die nicht unbedingt auf das Einverständnis der Produzent*innen trafen. Und das wollen wir auch gar nicht, denn – wie Wolfgang Ullrich dies an mehreren Stellen einleuchtend dargestellt hat – das ist der Tod des kritischen (vor allem wissenschaftlichen) Diskurses.
Das Internet steht seit seinen ersten Tagen für eine weltweite Vernetzung, für Offenheit und freie Meinungsäußerung. Dass diese digitale Revolution der Informationsverbreitung zu vielen neuen Problemen führt, ist ohne Frage und wird spätestens an Diskussionen um Pornografie, Fake News, Hetze und Piraterie offensichtlich. Es sollten aber mittlerweile auch alle verstanden haben, dass man diese Welt entweder nur nutzen oder ganz außen vor bleiben kann. Bevor wir ein technisch und juristisch sauber kontrolliertes Internet fordern, sollten wir zwei Dinge bedenken: Auf der einen Seite ist klar zu erkennen, dass die vollständige Kontrolle über die digitalen Datenströme (so sie denn überhaupt möglich sein sollte) allein mit staatlich geführten, totalitären Strukturen zu erreichen ist. Und dass wir des Weiteren vielleicht endlich mehr darin investieren, die Nutzer*innen dieser grandiosen Möglichkeiten des Internets stärker zu begleiten, zu bilden, zu sensibilisieren. Es beginnt schon beim Handy und der gedankenlosen Haltung des „Man kann doch eh nichts dagegen machen, dass man komplett überwacht wird.“ Doch, das kann man, und zwar sogar sehr viel (Austausch der Bloatware, Alternativen zu WhatsApp etc.).
Fazit
Hiermit erklären wir als Marta Herford und ich als dessen Direktor, dass wir nicht genau genug nachgefragt haben. Die Münchner Note war ein guter Einstieg in die gemeinsame Verantwortung von Museen und der VG BK als Votum für einen fairen Umgang mit dem kulturellen Erbe. Die inhaltliche Verbindung der Erklärung für eine nachhaltige Sichtbarmachung von Sammlungsbeständen im digitalen Raum mit der Forderung nach einem juristischen Verbot des Framings aber ist ein Rückfall in eine überkommene Verhinderungslogik. Als Museum für zeitgenössische Kunst plädieren wir nachdrücklich für eine Sicherung des Bildungsauftrags der Museen, Bibliotheken und Archive, für einen beidseitig fairen (!) Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber*innen und dem gesellschaftlichen Zugang zu den Schöpfungen. Wir identifizieren uns ungebrochen mit der Intention der Münchner Note, allerdings ohne den Framing-Passus. Ich und wir sprechen uns gegen die juristische Kontrolle über die Weiterverwendung von Werken in diskursiven Zusammenhängen aus. Forschungsfreiheit, Diskussionskultur und umfassende Dokumentation sind ein hohes Gut unserer Gesellschaft.
4 Replies to “Kontrolle ist gut – Freiheit ist besser”
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Lieber Herr Nachtigäller,
vielen Dank für diesen Beitrag. Ich hoffe, dass auch andere Museen, die die Münchner Note unterzeichnet haben, sich gegen ein Framing/Embedding-Verbot aussprechen werden. Es schafft sonst eine Hürde, die unnötig ist, geschweige denn sinnvoll.
Viele Grüße
Angelika Schoder
Liebe Angelika Schoder,
irgendwo in unserem Blog-System hat es da aber ganz ordentlich gehakt. Es tut mir sehr leid, dass ich Ihren Kommentar erst heute beantworte, aber er blieb auf rätselhafte Weise im System stecken. Danke auch noch für den Hinweis auf das Framing – wir werden uns Anfang des nächsten Jahres noch einmal öffentlich für eine erweiterte/veränderte Münchner Note aussprechen, hoffentlich zusammen mit vielen Unterstützer*innen. Sie werden von uns hören.
Mit herzlichen Grüßen
Roland Nachtigäller
Die Kontrolle über das Werk im tatsächlichen und juristischen Sinne gehört zu den Suggestionen, die mit dem Urheberrecht einhergehen. Ein Künstler, der kein Publikum will, darf seine Werke nicht veröffentlichen (und braucht kein Urheberrecht im eigentlichen Sinne, nur die §§ 12, 13 UrhG). Üblich ist: Eine Autorin ist daran interessiert, dass sie von vielen gelesen wird, eine Komponistin will, dass ihre Musik bekannt ist etc. Der Hochzeitsmarsch aus Lohengrin z. B. lässt sich nicht mehr kontrollieren, weil er Teil der Gesellschaft, „in den Menschen vorhanden“ (nicht allen) ist, was zugleich der größte Erfolg für einen Komponisten sein dürfte.
Das Gut eines Werkes ist, profan ausgedrückt, der Kunstgenuss, der Erkenntnisgewinn oder die „Nutzung“. Das Urheberrecht ist nun nicht mit der Nutzung eines Werkes unmittelbar verbunden. Wenn ich ein Bild ansehe, ein Buch lese oder Musik höre (das Werk nutze), brauche ich kein geistiges Eigentum an dem Werk. Beim Urheberrecht geht es deshalb auch nicht um eine Verbindung zwischen dem Gut und dem Nutzer, sondern um Marktkontrolle, die Steuerung von Geldflüssen und Verteilung von Vermögen.
Lieber Herr Höffner,
vielen Dank für Ihre klaren Worte. Diese Unterscheidung zwischen der Nutzung eines Werkes im Rahmen der Wahrnehmung und Würdigung eines Kunstwerkes und dessen rechtlicher und damit wirtschaftlicher Auswertung ist eine wichtige und oft übergangene. Dennoch verstehe ich natürlich auch den Wunsch und die Hoffnung vieler Künstler*innen, mit ihren Werken ein Einkommen zu erzielen, das ihnen die Produktion weiterer Werke und damit ein Leben für die Kunst ermöglicht. Nur ist diese Versorgungs- und Honorierungsfrage eben eine ganz andere als die juristisch bis ins Unüberschaubare verzweigte „Verwertungskette“, die sich zunehmend zur Verhinderungsindustrie entwickelt.
Mit herzlichen Grüßen
Roland Nachtigäller