Wörterbuch Kunstsprech (2) →kuratieren
Es erscheint vielleicht etwas billig, dieses „Wörterbuch KunstSprech“ gleich mit dem Begriff „kuratieren“ zu beginnen. Aber es ist letztlich einer der kometenhaftesten Begriffe der letzten rund zehn Jahre, der sich mit rasanter Geschwindigkeit nicht nur innerhalb der Kunstwelt ausgebreitet hat.
Und wenn uns der Oberkurator Hans-Ulrich Obrist aktuell nun gleich „Kuratieren!“ auch noch mit einem Ausrufezeichen von seinem neuesten Buchtitel entgegenschleudert, so soll dieser flehende Ruf (wohlgemerkt für seine erste Autobiografie!) nicht ganz ungehört erschallen.
Kuratieren wir hier also ausnahmsweise mal – denn im Marta Herford ist zumindest die Verbform höchst verpönt. Es steht heute schlicht für „auswählen“, was schlagend offenkundig wird, wenn ich – wie jüngst geschehen – in einem „kuratierten“ Museumsshop stehe. Ich spare mir die klassische Begriffsanalyse im Sinne von „Seiner Wurzel nach bedeutet das Wort eigentlich …“, „Bei Wikipedia findet man unter dem Eintrag …“ oder „Googlet man das Wort, so erhält man …“. Das ist nicht nur altklug, sondern wurde an anderer Stelle bereits mehrfach getan, beispielsweise mustergültige von Ulrich Gumbrecht mit Blick in den Duden, bildungshubernd auf die lateinischen Wurzeln verweisend bei Joachim Güntner oder durch die Netzkultur streifend von Jan Flüchtjohann.
Kuratieren vs. Ausstellungen machen
Was aber bedeutet es, wenn es in einer Biografie mittlerweile zum Standard gehört, ein „… und Kurator“ anzuhängen, also „Autor und Kurator“, „Kunstvereinsleiter und Kurator“, „Künstler und Kurator“. Ist es eine höhere Qualität und Erweiterung von Berufsbezeichnungen wie Direktor, Schriftsteller, Regisseur, auch ein „Auswähler“ zu sein? Kürzlich mailte mir eine junge Künstlerin etwas empört, dass für ihre aktuelle Ausstellung so wenige Ressourcen vorhanden gewesen wären, dass sie diese nicht nur selbst gehängt, sondern auch kuratiert habe. Aha, sie hat also aus ihrem Werk das ausgewählt, was gezeigt wird. Tut sie das sonst nicht? Und ist nicht das Schaffen der Werke schon in viel komplexerer Form Auswahl, Entscheidung und Entwicklung von Struktur? Spätestens bei „14 Künstler kuratieren sich erstmals gegenseitig“ stelle ich mir die Gruppendynamik irgendwo zwischen „kurieren“ und „massakrieren“ vor …
Erzählen wollte die zitierte Künstlerin aber eigentlich, dass sie mit der Verantwortung für ihre Ausstellung völlig allein dastand. Was in der Tat traurig ist, denn so einer Präsentation fehlt am Ende etwas ganz Wesentliches: Jemand, der KünstlerInnen begleitet und schützt, der alles dafür tut, dass das Werk in seiner bestmöglichen Form zur Geltung und beim Besucher zu Bewusstsein kommt. Diese Aufgabenbeschreibung des „Ermöglichers“ erfasst in meinen Augen noch immer perfekt der Begriff des „Ausstellungsmachers“. Denn eine Ausstellung mit einem oder mehreren KünstlerInnen zu realisieren bedeutet, sich einzusetzen für einen adäquaten Raum, für finanzielle Unterstützung, für die Realisierung völlig maßlos gedachter Projekte, für die öffentliche Wahrnehmung, für gute Arbeitsbedingungen von KünstlerInnen vor Ort – und natürlich auch für eine erhellende und kluge Präsentation der Werke. Dann wird daraus plötzlich auch wieder ein Berufsbild, das man nicht nur über ein „und“ an etwas Anderes anhängt, sondern einen vielfältigen Fulltime-Job beschreibt.
Und so hat das „Kuratieren“ einen rasanten Bedeutungswandel vollzogen, der sich fast parallel mit der Geschwindigkeit seiner öffentlichen Präsenz entwickelte. Mit als eine der ersten Institutionen begann 1994 De Appel in Amsterdam mit einem kuratorischen Trainingsprogramm, in dessen Folge eine Kuratorenausbildung jenseits des Museums vor allem in universitären Studiengängen und im privaten Fortbildungskontext immer breiteren Raum einnahm. Doch die Einsatzfelder wuchsen nur begrenzt mit, und so wurde es für die zwar prekär arbeitende, aber wenigstens diskurssichere Kuratorengeneration immer wichtiger, mindestens ebenso sichtbar wie den Künstlernamen auch das „kuratiert von“ auf die Einladungskarte zu setzen. Damit verschob sich auch praktisch der Fokus in der öffentlichen Wahrnehmung bei „kuratierten Projekten“ vielfach von den Künstlern und deren Werk hin zur Auswahl und deren theoretisierendem Kontext. Das Auswählen aus dem immer dichter werdenden Netzwerk der Kunst wollte selbst als ein dem künstlerischen Schaffen gleichwertiger kreativer Akt wahrgenommen werden.
Ein anderes Selbstverständnis?
Doch – wie Ralf Schlüter dies trocken und schonungslos nachzeichnet (großartig immer noch die begleitende Abbildung der „kuratierten Aufschnittplatte eines unbekannten Metzgereifachbetriebes auf dem ‚Thüringer Wursttag‘“) – der Begriff ist der Kunstwelt längst verloren gegangen: Wie so oft war das Netz schneller. „Digitales Kuratieren“ beschreibt heute mitnichten das Einrichten von virtuellen Ausstellungen, sondern etablierte sich in der Medien- und Werbewelt als das strategisch geschickte Auswählen, Zusammenstellen und Sharen von Links und Webinhalten zur Vermarktung von Personen, Produkten und Unternehmen. Für „Content Curation“ stehen nicht nur diverse Ratgeber der Consulting-Branche zur Seite, sondern auch entsprechende Software-Tools wie „Storify“ oder „Buzzfeed“: „Die schlaue Zusammenstellung ist heute alles“, so der „Werber-Rat“.
Und von hier schwappen Begriff und Technik unmittelbar wieder zurück in die konkrete Arbeitswelt, wenn das Kuratieren von Texten (Stichwort: Newsdesk) mehr und mehr die Redaktionsarbeit ersetzt und damit zur Bedrohung des Journalismus und seiner Akteure wird: „Unter dem Deckmantel des Kuratierens findet aber zugleich eine Re-Feudalisierung hierarchischer Strukturen statt, die am Ende dazu führen könnte, dass weder Autoren noch Redaktionen viel zu sagen haben, weil sie den „Konzeptjournalismus“ umsetzen müssen, den herausgebende oder geschäftsführende Kuratoren am grünen Tisch für sie entwickeln.“ (Wolfgang Michal)
Während also Content und Webstreams, Blumengebinde und Kochrezeptsammlung weiterhin eifrig kuratiert werden, sollten wir uns für die Kunstwelt genauso schnell wieder von dem Begriff verabschieden, wie wir ihn begeistert für alles Neue aufgegriffen haben. Insofern ist der erste Eintrag im unsystematischen „Wörterbuch KunstSprech“ eigentlich weniger eine Sprachkritik als ein Appell an Selbstverständnis und Haltung: Sehen wir uns wieder mehr als diejenigen, die möglich machen, den Rücken frei halten, mit Rat und Tat zur Seite stehen – und etwas weniger als Selbstdarsteller und -vermarkter, denen man die Not der eigenen Rechtfertigung als Geschmacksverstärker schon am hektischen Jonglieren von Begriffen, Theorien und Interviews anmerkt.
Register
Wörterbuch KunstSprech (9) → hinterfragen
Wörterbuch KunstSprech (8) → wir
Wörterbuch KunstSprech (7) → raumgreifend
Wörterbuch KunstSprech (6) → Ikone
Wörterbuch KunstSprech (5) → Arbeit
Wörterbuch KunstSprech (4) → spannend
Wörterbuch KunstSprech (3) → Position
Wörterbuch KunstSprech (1) Einführung: Fachsprache vs. Fachsprech
15 Replies to “Wörterbuch Kunstsprech (2) →kuratieren”
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Natürlich habe ich bei meiner Ausstellung AGIPOP im Kunstwerk Schüttorf weder einen namhaften Kurator noch eine kompetente Kuratorin in der Vorbereitungszeit gefunden . Ich war schon wie viele andere KünstlerInnen auch , sehr froh , dass die Inhaber eines so geeigneter Ausstellumgsortes bereit waren , mir die Einzelpräsentation meiner Arbeiten und die kostenlose Gestaltung eines Ausstellungskataloges zu ermöglichen .
Ich durfte/musste die Bilder selbst zum Thema auswählen , die Bilder selbst aufhängen ( z.B. in ca. 5 Meter Höhe ) , die Pressearbeit machen , Einladungen entwerfen und verschicken , den Katalog konzipieren , den neuen Kunstbegriff AGIPOP selbst definieren , mit dem Grafiker die Gestaltung abstimmen , für die Eröffnung ein passendes Programm finden , usw. .
Obwohl mein BBK in Berlin immer wieder sagt , dass uns ein Honorar zusteht ( wie viele Berufsgruppen verdienen an Kunstpräsentationen , nur eben die meisten KünstlerInnen NIX ) sind doch viele von uns „schön“ froh überhaupt , ausstellen zu können !
Da ist der Kunstsprech zum Kuratieren und die Erhellung über die sprachliche Auflösung des Begriffes eher eine Luxusproblematik .
Da sind wir aber unversehens bei einem großen Thema! Vielleicht etwas zu groß für die Kommentarspalte, aber es könnte daraus ja mal ein nächster Blog-Beitrag entstehen. Vielen Dank auf jeden Fall für diese Erweiterung.
Dennoch bleibt die Frage: Wer sind die „vielen Berufsgruppen“, die an Kunstpräsentationen verdienen? Und vor allem an welchen? Gab es wirklich jemand im „Kunstwerk“, der sich ob der ganzen künstlerischen Selbstausbeutung die Hände gerieben hat, weil er bestens daran verdiente? Es mag gerade im Künstlerohr vielleicht ein wenig zynisch klingen, aber es gibt mittlerweile nicht wenige Museen, die – ähnlich wie von Ihnen für die Künstler beschrieben – froh sind, überhaupt noch ausstellen zu können. Der Verlauf der Frontlinie dieser Thematik ist überraschend und äußerst windungsreich.
Und, lieber Herr Berresheim, Sprache ist in meinen Augen niemals ein Luxusproblem (das thematisieren letztlich sogar Sie selbst in Ihrer Arbeit). Zu viel schon wurde mit ihr angerichtet und bewegt, als dass wir nicht allzeit wachsam hinhören sollten, egal in welchem kommunikativen Umfeld.
Mit Dank für Ihr Statement und besten Grüßen
Roland Nachtigäller
🙂 guter Text, danke!
Vielen Dank, Herr Kopp, das freut mich. Und es wird weitergehen, die Begriffsliste wächst.
Lieber Roland,
au weia: Erwischt! Auch ich gehöre zu denjenigen, die an die eh bereits dubiose Berufsbezeichnung Künstlerin einige Male die ebenfalls dubiose Bezeichnung Kuratorin angehängt hat – aber ich schwöre dir: und möchte mich mit einem schwierigen politischen Kontext reinwaschen: alles begann damals in Vietnam vor 23 Jahren, als noch nicht jeder Kurator sein wollte und ich unvorbereitet mit vietnamesischen Künstlern zusammenlebte, die weder reisen konnten noch einen Reisepass besaßen und die mich baten ihre Arbeiten an ihrer Stelle nach Singapur zu bringen oder diese in Deutschland zu hängen und so weiter und so weiter… ein kuratorischer Freundschaftsdienst unter deutscher Flagge, ähh Reisepass, sozusagen.
Trotzdem war es zunächst einmal komisch für mich – hatte ich ja bis dahin nur mich selbst beaufsichtigt und jetzt plötzlich Arbeiten anderer: betrachten, drüber reden, fotografieren, auswählen, transportieren, hängen, ankündigen, Texte verfassen etc… also respektvoll und liebevoll fördern und auf einen guten Weg bringen, so wie du es auch beschreibst in deinem Essay. Na ja – grenzüberschreitend war es ja schon und ich hörte daraufhin oft: du solltest nicht den Blick auf deine Arbeiten verlieren und ich habe dann entschuldigend gesagt: Ja, aber, die dürfen das ja alles nicht. Und ich fühlte mich verantwortlich und auch mittelmäßig wohl in der Rolle der guten Freundin, die sich aufopfert und eine Wegbereiterin und Brückenbauerin, aber auch die beste Kuratorin, die es jemals in Vietnam gegeben hatte, wurde. Und angemerkt sei an dieser Stelle auch, ja, richtig, als Kuratorin wird man ganz selbstverständlich auf eine Gehaltsliste gesetzt – also, was soll ich mich da beklagen?
Zudem die vietnamesischen Künstler ja auch meinen Weg bereiteten und ich lernte von ihnen so viel wie sie von mir. Das wäre aber eine andere Geschichte. Sie sahen wundersame Videos über Ausstellungen in denen Luft ausgestellt wurde oder schamanenartig auftretende Männer, die den Kunstbegriff erweitern wollten. Und dann war da irgendwann eine Dokumenta mit Jan H. den einige vietnamesische Künstler ab dann als Boxer bezeichneten… und der war flott, frech, unbekümmert, der war so wunderbar unakademisch, dass ihn alle mochten und sogar aufgrund einiger Videos verehrten und fragten: what is he? Artist? Denn offensichtlich war, er agierte nicht wie ein klassischer Kunsthistoriker, das konnte man sogar in Vietnam sehen und hören. No, he is Curator. Ah: Kurator. (womit ich jetzt nicht sagen will – dass Jan H. der erste Kurator war….!!) Vor 20 Jahren war dieser Begriff noch nicht so populär in Vietnam, geschweige denn, dass man damit hätte etwas anfangen können. Personalbeschaffungs-Direktor, könnte man einen Kurator auch fieser weise nennen, würde man die vietnamesischen Worte giam und tuyen einfach so übersetzen. Was man aber nicht tut. Eigentlich heißen sie ja auch nur beaufsichtigen und auswählen.
Zurück zu der Zeit damals in Vietnam: es gab nur und ohne Ausnahme den Künstlerverband der immer und einzig allein auswählte, kontrollierte, zensierte, verbot oder erlaubte, wer denn nun Künstler sei und wer nicht – und, wessen Arbeit in der Nationalen Kunstausstellung oder in einer Galerie präsentiert werden würde – es waren einzig und allein kunstschaffende Funktionäre der Kommunistischen Partei, die die Macht hatten jemanden als Künstler anzuerkennen oder nicht. Sie allein besaßen die Macht, darüber zu entscheiden wer ins Ausland reisen durfte oder nicht und vieles mehr. Und wen wundert es: Jeder Künstler hatte Angst den Ansprüchen der Funktionäre nicht zu genügen, denn, das war das Tragische: Ohne sie gab es kein Weiter. Schon gar nicht in die große weite Welt mit ihren wundersamen Möglichkeiten die da lauteten: Biennalen, Sponsoren, staatliche Ausstellungsförderung, subventionierte Kataloge, Künstlerförderung, Stipendien, und das alles flankiert von Produzentengalerien, wilden und kreativen non-profit Initiativen, Projektförderungen, Initialprojekten und immer und überall Eigeninitiative und Selbstverantwortung. Kurz: man konnte offensichtlich tun und lassen was man wollte und war: Künstler!
Na ja, vielleicht war es auch ganz anders und noch viel komplizierter – rückblickend erzählte Zeit macht es leicht, diese auch zu verfälschen. Irgendwann Ende der 90er Jahre entwickelte sich aber eine nicht mehr zu übersehende freie Szene in Vietnam. Zur Überraschung vieler agierten plötzlich erstmalig Künstler ohne Funktionäre – manchmal mit der Hilfe der kleinen Ich-Kuratorin – und bekamen Präsenz im internationalen Kunstbetrieb. Und, ich weiß nicht mehr so genau ab wann – ich glaube so ab 2000, da wurde das Wort in Vietnam kunstszenetauglich und scheint bis heute magisch aufgeladen: Kurator!
Unzählige internationale Kuratoren-Touristen besuchen seit Jahren Südostasien und auch Vietnam. Von den dortigen Künstler/innen werden wie mit Respekt und sehr gutem vietnamesischen Essen hofiert, denn, das hat sofort jeder begriffen, wer von einem internationalen Kurator-Tourist aufgesucht wird, na, der gilt nicht nur in den eigenen Reihen was. Da kommt schließlich jemand, der besitzt Macht und ein sicheres Netzwerk. Geld sowieso und falls er/sie die Rechnung für den Wein übernimmt, eine Spesenkasse. Die Sprache ist englisch – wer ihr nicht folgen kann hat automatisch schlechtere Karten, denn dieser Kurator-Tourist vertritt offensichtlich große Interessen und besitzt: Die Macht der Auswahl, der Beförderung von Kunst, der Bewertung, der Einordnung von Kunst und ihrer Vermarktung. Der Kurator-Tourist besitzt die Macht über die Kunst und die Existenzberechtigung der Künstler.
Tja, je mehr ich den Kurator im Kontext Vietnam sehe, vor dem gerade immer noch nicht ganz entmachteten kunstschaffenden Parteifunktionärs… na ja, jetzt höre ich besser auf – da gibt es jetzt sicherlich einen großen Aufschrei. Sicherlich, da muss man drüber reden. Und diese Diskussion wird ja auch geführt, insbesondere in Asien – aber: wer will schon gerne Macht aufgeben? Zumal man einer steigenden Anzahl wartender und hoffender Künstler weltweit sowieso nicht mehr gerecht werden kann. In meinem Buch vor 6 Jahren habe ich mich etwas vorsichtiger ausgedrückt. Wer besitzt die Macht der Worte, der Konzepte, der Ideen und wer vertritt die Interessen der Freien Szene im Ausland? Wer darf sie vertreten? Wer sind die Funktionäre der Freien Szene? Muss man sich mit ihren Interessen engagieren? Erhalten auch sie ihre Provisionen?
Ich kann mit meinen kleinen Künstlerinnen/Kuratorinnen-Füßchen nicht besonders weit treten, aber ich kann diesen Aspekt der „Macht“ deinen schönen Ausführungen hinzufügen. Ein Textblatt, welches ich meiner ersten Ausstellung im damals noch kuratoren- aber nicht zensurfreien Vietnam hinzufügte, lautete: Wenn du sprechen könntest, zu wem würdest zu sprechen?
Heute zu Dir, Roland.
Liebe Veronika, vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar und die weiterführenden Gedanken. Es ist ja oft so: Wir sprechen und agieren in der Kunstwelt gerne so, als sei im Grunde alles in einer großen Szene zusammengerückt, global, vernetzt und am gemeinsamen Projekt „zeitgenössische Kunst“ arbeitend. Aber tatsächlich offenbaren sich bei genauerem Hinsehen immer wieder gravierende Unterschiede. Und so bieten Deine Vietnam-Erfahrungen sicherlich eine ganz spezielle Perspektive auf die Kuratorenaufgabe damals. Aber selbst der von Dir zitierte „Jan H.“ arbeitete noch in einer Zeit, in der diese Aufgabe einfach „Ausstellungsmacher“ hieß. Das ist mir schon allein deshalb wichtig, weil der „alte“ Begriff mehr nach Handwerk klingt, nach Dienst für eine Sache (so wie Du es ja auch sehr aufopfernd in Vietnam getan hast und bisweilen Dein eigenes künstlerisches Schaffen hinten an gestellt hast).
Ich glaube nach wie vor, dass die Auswahl, Einrichtung und Organisation einer Ausstellung in allererster Linie der Kunst selbst verpflichtet sein sollte, dem Werk anderer und nicht dem Streben nach eigener Profilierung, dem Bedienen von Eitelkeiten oder der Sehnsucht nach Anerkennung einer eigenständigen kreativen Leistung. Wir Ausstellungsmacher (oder eben auch Kuratoren) sollten immer hinter dem Werk der präsentierten KünstlerInnen zurücktreten. Dann ist es eine gute Ausstellung.
Die Machtfrage allerdings ist nochmal eine ganz andere. Da geht es auch um Authentizität, Korrumpierbarkeit, Generalverdacht oder Subjektivität. Aber wie langweilig wären Ausstellungen, wenn sie nicht den persönlichen Blick offenbarten, Haltung kommunizierten, Angebote offerierten, streitbar wären, den Mut zur Wahl und zur Entscheidung zeigten. Die damit verbundenen ethischen Fragen allerding bekommen wir nicht allgemeingültig beantwortet, das glaube ich nicht. Hier hilft nur der Blick auf die/den EinzelneN und deren/dessen Integrität. Diesbezüglich z.B. erlebe ich Dein Engagement als höchst souverän. Und auch wenn wir dieses Blog nicht zur Werbeplattform ausbauen werden, Dein wunderbaren Buch „Sicherheitsabstand“ ist es wert hier noch verlinkt zu werden.
Herzliche Grüße
Roland
Danke für dieses neue Portal und die interessanten Gedanken! Mir gefällt die Bezeichnung Ausstellungsmacher. Er ist Deutungsneutral(er) und verkörpert die Aktivität und das Streben bzw. Angestrebte und maßt sich nicht an, wie Roland schon erwähnt hat, mit dem eigentlichen „Werk“ um Gunst zu konkurrieren.
Mit einher der Neigung zur Profilierung und Bekümmern der eigenen Eitelkeiten, fehlt noch die Nennung des von dieser Berufsgruppe oftmals adoptierte Modeaccessoires: Der Kuratorenschal!
Lieber Dietmar Walther, ich freue mich sehr, dass dieses Angebot gefällt. Das Marta-Blog macht uns allen hier im Team viel Spaß, auch wenn damit hinter den Kulissen eine Menge zusätzlicher Arbeit verbunden ist. Das „Wörterbuch Kunstsprech“ ist so ein lang gehegtes Steckenpferd von mir, für das sich hier jetzt ein schönes Forum gefunden hat. Es liegen noch einige Stichwörter auf Halde, aber leider reicht die Zeit nur für einen Artikel pro Monat.
Und den „Kuratorenschal“ hätte ich diesem Text gerne selbst noch umgeworfen 😉 Danke für die schöne Ergänzung!
Herzliche Grüße
Roland Nachtigäller
Das ist eine ähnliche Entwicklung wie im (zumindest deutschen) Theater, wo bei der Erwähnung von Bieitos Entführung aus dem Serail, Peymanns Dreigroschenoper oder Schlingensiefs Parisfal nicht mehr mit der Wimper gezuckt wird… Vielliecht wäre „Regisseur“ für die Ausstellungsmacher ohnehin der bessere Begriff.
Ich muss gestehen, dass ich die Funktion des Regisseurs beim Theater doch noch etwas näher an einer Autorenschaft sehe. Das liegt vor allem daran, dass im klassischen Theater überwiegend mit alten und unzählig oft aufgeführten Texten gearbeitet wird. Hier Aktualisierungen oder Collagen mit neuem Material, Schnitte, Umdeutungen und Verschiebungen vorzunehmen bedeutet immer wieder, einen Text in andere (!) Bilder zu überführen und ihn auf seine Gegenwartsrelevanz hin zu befragen. Das ist bei der zeitgenössischen Kunst erst einmal anders, weil sich in diesen Werken die Gegenwart selbst bereits manifestiert und zum zweiten auch keine Übersetzungsleistung vom Textgerüst zum inszenierten Bild erfolgen muss. Insofern sollten wir als Ausstellungsmacher doch vor allem Ausstellungsmacher sein.