Licht – bei Tag und bei Nacht
Kunst im Sommer – was kann das besseres sein als Projekte im öffentlichen Raum, zumindest wenn das Wetter trocken und warm ist und nicht gleich so heiß, dass man dankbar in die klimatisierten Räume des Museums flüchtet. Viele Initiativen machen in diesen Monaten auf sich aufmerksam, im In- und Ausland.
Und da Tanja Praske im Rahmen ihrer BlitzBlogparade #KultTrip nach persönlichen Empfehlungen für diese Tage fragt, sei an dieser Stelle mal auf zwei sehr verschiedene und weit voneinander entfernte Initiativen hingewiesen.
Zum ersten Tipp habe ich zugegebenermaßen eine persönliche Beziehung (ich saß in Vorschlagskommission und Jury). Aber was nach über zwei Jahren Vorbereitungszeit dann Mitte Juni in Braunschweig eröffnet wurde, hat meine Erwartungen doch deutlich übertroffen. Zum vierten Mal organisierte die Stadt auf einem hohen, ambitionierten Niveau einen „Lichtparcours“, der mit den beliebigen Beleuchtungsprojekten im Dienste des Standortmarketings nichts zu tun hat. „Lp ’16“ verbindet 15 namhafte KünstlerInnen mit zum Teil sehr aufwendigen Neuproduktionen und drei permanenten Beiträgen zum Lichtparcours Braunschweig 2016. Viele Projekte nehmen gezielt Bezug auf den Ort ihrer Installation oder rücken mit künstlerischen Mitteln nicht nur auf den Wechsel der Lichtverhältnisse, sondern auch zum Teil aufschlussreiche Themen in den Mittelpunkt.

Tobias Rehbergers Imbiss „Bei Pess u. Puse“ beispielsweise bildet neben den normalen Versorgungsfunktionen und einer spektakulären Nachtansicht auch den Fokus für eine höchst eigenwillige Stadtgeschichte aus der Nachbarschaft. Alfredo Jaar dagegen platziert politisch provokant seinen Schriftzug „Kultur = Kapital“ direkt an die Fassade des zu einem Einkaufszentrum umgebauten Residenzschlosses in der Braunschweiger Innenstadt. Und Andreas Fischers atmende Hütte „OWN-AUS“ geht in ihrer dramatischen Zuspitzung ebenso unter die Haut wie die von Licht und Sound pulsierende Villa „…But No One’s Home“ von Kevin Schmidt. Doch auch die Beiträge von Tomás Saraceno, Kai Schiemenz, Michael Sailstorfer, Björn Dahlem und noch einigen anderen lohnen den Besuch in der zweitgrößten Stadt Niedersachsens allemal.
Empfehlung: Eine Übernachtung einplanen! Zwar legen die Veranstalter Wert darauf, dass alle Projekte auch eine Faszinationskraft bei Tageslicht besitzen. Aber es ist doch noch einmal ein ganz anderes Erlebnis, in einer lauen Sommernacht ab 22 Uhr mit dem Fahrrad den Parcours abzufahren (dazu gibt es diverse Angebote). Und eine informationsreiche, Smartphone-taugliche Website mit Karte und Erläuterungen zu den Werken besitzt das Projekt ebenfalls.
Der zweite #KultTrip führt etwas weiter, genauer nach Westfrankreich: Nantes, die Stadt an der Mündung der Loire hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Nicht zuletzt durch die Nominierung als „Umwelthauptstadt Europas 2013“ wurde noch einmal deutlich, dass der Strukturwandel von der früheren Hafenstadt zu einem lebendigen Kultur-, Tourismus- und Wirtschaftsstandort mit großer Nachhaltigkeit gelungen ist. Die Stadt atmet geradezu Licht, Innovation und Aufbruch, vor allem wenn man sich auf die ehemaligen Werftinsel Île de Nantes zubewegt, die einst von Seifenindustrie, Seehandel und Schiffsbau geprägt war.
Ist man schon von den teils radikalen, vor allem aber konsequent umgesetzten Verkehrsplanungen beeindruckt, so setzt sich das Staunen beispielsweise in der gigantischen Werftenhalle fort, wo heute die Werkstätten für „Les Machines de L’Île“ untergebracht sind: Hier entstehen die vielen überwiegend mechanischen Maschinentiere mit hydraulischen Gelenken und beeindruckenden Bewegungsabläufen. Nicht ganz zu unrecht werben die Touristiker mit einem Flair von Jules Vernes und Leonardo da Vinci (der ja bekanntlich seinen Lebensabend im königlichen Schloss in Amboise an der Loire verbrachte).
Aber auch Architektur und Kunst sind hier auf hohem Niveau zu finden: Markante Gebäude von Jean Nouvel, Nicolas Michelin, Christian de Portzamparc u.v.a.m. prägen das Viertel. Oft auch gehen sie eine Verbindung mit künstlerischen Beiträgen ein (wie beispielsweise Jenny Holzer am Palais de Justice). Eigentlich hinweisen aber wollte ich auf das Projekt „Estuaire“, das im Rahmen von drei Ausgaben (2007, 2009, 2012) insgesamt 29 permanente Kunstwerke entlang der Loire zwischen dem Atlantik und Saint Nazaire ermöglichte. Beiträge u. a. von internationalen Künstlern wie Jimmie Durham, Huang Yong Ping, Erwin Wurm oder Jeppe Hein lassen sich auf einer ebenso anregenden wie idyllischen Tour entlang der Loire per Fahrrad, Auto oder sogar mit dem Schiff entdecken.
Auf der Île de Nantes kann man gleich mit der bemerkenswerten Station Prouvé beginnen (dem Prototypen einer Tankstelle, die der große Designer und Architekt Jean Prouvé Ende der 1960er Jahre entwarf) oder mit den Landmark-artigen Kreisen „Les Anneaux“ von Daniel Buren & Patrick Bouchain, die des Nachts ein leuchtendes Farbspiel entwickeln (womit sich auch der Kreis zu Braunschweig schließt).
Und auch hier die Empfehlung: Etwas Zeit mitnehmen! Denn es wäre eine verpasste Chance, sich auf den Spuren dieses Skulpturenwegs nicht vom einmaligen Licht der wild mäandernden Loire-Landschaft einfangen zu lassen oder die vielen kulinarischen und kulturellen Reize der Region zu ignorieren. Noch bis zum 28. August läuft zudem das vieles zusammenfassende Programm „Le Voyage à Nantes“.
7 Replies to “Licht – bei Tag und bei Nacht”
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Lieber Herr Nachtigäller,
mir gehen für die Blogparade #KultTrip so langsam wirklich die Beschreibungen und Danksagungen aus – soo schön ist Ihr Beitrag. Mich freut sehr, dass Sie den Blick woanders hinrichten, sehr unterschiedliche Orte, sehr verschiedene Kunst.
Bei Frankreich muss ich nun oft an die Beiträge von Wibke Ladwig (Nr. 2) und Anke von Heyl (Nr. 27) denken. Jetzt bereichern Sie mein Kopfkino mit Braunschweig und Nantes. Leider fahren wir ganz in den Süden Frankreichs, sonst hätte ich bestimmt einen Stopp in Nantes eingelegt, zu einladend sind Ihre Beschreibungen und es wäre der perfekte Anlass gewesen Mini mit der Fantasiewelt von Jules Vernes vertraut zu machen. Gut. Sie ist noch ein bisschen jung dafür.
Spannend finde ich beide Parcours, vor allem vor der Kunst- und Radltour der Emscher Kunst über die @WWecker (Nr. 22) und @AxelKopp (Nr. 26) schon berichteten. So lässt sich Kunst aktiv erfahren. Das vermag eine ganz andere Intensität bereithalten. Ich muss unbedingt eine artverwandte Tour mal abfahren – danke für die Motivation dazu!
Mich begeistert es zunehmend, wie die einzelnen Beiträge zu #KultTrip sich immer mehr zu einem Gesamtbild fügen, Querverbindungen und Abweichungen eingeschlossen – viel Stoff zum Nachdenken.
Vielen herzlichen Dank!!!
Sonnige Grüße
Tanja Praske
Liebe Frau Praske,
es ist wirklich beeindruckend, was bei Ihrer Sommer-Blogparade so zusammengekommen ist! Man kommt mit dem Lesen kaum hinterher. Umso schöner, dass Sie sich bis zum Ende die Zeit nehmen, alles entsprechend zu würdigen und zu kommentieren. Vielen Dank dafür!
In der Hoffnung, dass über das ganze Tipp-Sammeln das Reisen nicht zu kurz kommt, wünsche ich Ihnen noch einen schönen Restsommer mit noch etwas ermutigenderem Tourwetter, herzlichst
Roland Nachtigäller
ich bin begeistert 🙂
Freut mich, denn man los! 🙂