Marta diskutiert: Kunst und Spektakel
Mit den beiden Ausstellungsprojekten „Willkommen im Labyrinth“ und „Brisante Träume“ widmete sich Marta Herford in der letzten Zeit gleich zwei Themen, die mit ungewöhnlichen Formen des Spektakulären zu tun haben.
Während in der Labyrinth-Ausstellung faszinierende Großinstallationen die Besucher*innen zum räumlichen Erleben einluden, zeigte „Brisante Träume“, dass Expos oftmals „Blockbuster-Ausstellungen“ im besten Sinne waren. So hat allein die Mega-Schau in Osaka 1970 über 64 Mio. Besucher*innen empfangen. Wie aber kann sich die Kunst dauerhaft in diesen Kontexten behaupten? Folgt sie nur noch der Logik großer Zahlen und läuft Gefahr zu einem niedrigschwelligen Unterhaltungsprogramm zu verkommen? Oder dienen populäre Projekte nicht auch dazu, neue Kreise von Besucher*innen zu erreichen und neue Erfahrungsräume für jene zu eröffnen, die sonst kaum mit Kunst in Berührung kommen? Welche Chancen und Gefahren darin liegen, haben Mitarbeiterinnen des kuratorischen Teams, der Vermittlungs- und der Öffentlichkeitsarbeit diskutiert.
Die Kunst der Expos: Eventcharakter oder ein Spiegel der Zeit?
Friederike Fast (F.F.): Die Marta-Ausstellung „Brisante Träume“ begrüßte die Besucher*innen mit der riesigen Leinwand von Robert Delaunay. Damit führte sie gleich zum Einstieg eindrücklich vor Augen, mit welchen Mitteln die Künstler*innen auf Weltausstellungen das Publikum beeindruckten. Das rhythmische Spiel aus wirbelnden Farben und Formen, in dem der Künstler 1937 die moderne Stadt Paris inszenierte, versetzt die Betrachtenden bis heute in Staunen. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob die Überwältigungsstrategie der überdimensionierten Leinwand nicht auch einer gewissen politischen Propaganda der Expos oder ihrem Eventcharakter entsprach.
Ann Kristin Kreisel (A.K.K.): Delaunays Faszination für den technischen Fortschritt und das vibrierende Leben 1937 in der Kunsthauptstadt Paris hat für mich weniger mit Unterhaltung, Spektakel oder Propaganda zu tun. Der Künstler wählt hier eine Metapher für ein Thema, welches ihn nachhaltig beschäftigt hat und spiegelt die Herausforderungen der Zeit – und natürlich auch eine gewisse positive Überforderung durch technische Entwicklungen. Durch die Gegenüberstellung von historischen Werken und zeitgenössischen Beiträgen entstand in der Ausstellung „Brisante Träume“ ein besonderer Dialog zwischen sofort ins Auge springenden künstlerischen Aussagen, nachhaltigen visuellen Eindrücken, inhaltlicher Tiefe und guter Vermittlung der Thematik. Das Erzeugen genau dieser Spannung ist meiner Meinung nach eine der Hauptaufgaben des Ausstellungsmachens.
Spektakuläre Rauminstallationen und „nichts dahinter“?
F.F.: Einerseits ist uns eine gute Resonanz wichtig, andererseits war ich bei der Labyrinth-Ausstellung angesichts dieser Besuchermengen schon ein wenig überwältigt. Die großen Besucherströme gerade am letzten Tag der Ausstellung führten dazu, dass ein Dialog kaum noch möglich und auch die Kunstbetrachtung selbst deutlich eingeschränkt war. Spätestens in diesem Moment frage ich mich, ob diese Ausstellung, deren Thema mir sehr am Herzen liegt, eventuell etwas zu „spektakulär“ geraten war. Konnten die Besucher*innen unter diesen Bedingungen die Aktualität und Brisanz des Themas überhaupt noch nachvollziehen?
Angela Kahre (A.K.): In der Labyrinth-Ausstellung ging es vielen Besuchenden in erster Linie nicht um ein intellektuelles oder abstraktes Nachvollziehen des Gesehenen, sondern um einen Raum- und Zeitbezug im eigenen Erleben. Das Publikum konnte sich körperlich und visuell zum Raum in Beziehung setzen. Das hat vor allem zu einer langen Verweildauer Einzelner, zum Wahrnehmen und zu einer direkten Kommunikation untereinander geführt. Dies finde ich unter dem Aspekt eines offenen kulturellen Bildungsbegriffs hervorragend! Ich würde vom Begriff des „Spektakels“ bezogen auf unsere Ausstellungen aber doch etwas abrücken und das Spektakuläre im Sinne von „Augenweide, Anblick“ (s. Wikipedia) positiv besetzen. Kunst und Spektakel müssen keine Polaritäten bilden.
A.K.K.: Ich glaube nicht, dass die Werke zu „spektakulär“ waren. Die Labyrinth-Ausstellung zeigte eher kontemplative Räume, die wichtige Themen der Zeit widergespiegelt haben: Wo stehe ich als Individuum in der immer hektischer werdenden, immer stärker vernetzten Welt? Und wie kann ich mich durch neue Perspektiven und Denkweisen neu positionieren? Gerade in einer Zeit, die gefühlt immer kurzlebiger wird, immer schneller getaktet ist, sind Museen und Kunstwerke umso wichtiger, um Perspektiven und Alternativen aufzuzeigen. Unser Ziel ist es, Ausstellungen für die Besucher*innen (und das ist bekanntlich eine nicht homogene Gruppe mit unterschiedlichen Erwartungen) zu machen. Wenn viele kommen, bedeutet das erstmal, dass wir mit unserer gewählten Thematik auf großes Interesse stoßen.
Nele Rullkötter (N.R.): Genau, Ausstellungen sind in erster Linie für die Besucher*innen gemacht. In einem früheren Blogbeitrag („Ein Wunschzettel fürs Museum“) habe ich bereits angemerkt, wie wichtig es ist, besonders die junge Generation für das Museum zu begeistern und das funktioniert vermutlich auch mit „spektakulären“ Ausstellungen. Wie aber ist der Begriff „spektakulär“ in unserem Kontext zu definieren? Heißt es, wir sollten in unseren speziellen Räumlichkeiten vermehrt besonders Aufsehen erregende Großinstallationen zeigen? Heikle Themen ansprechen? Uns auf populäre Künstlernamen fokussieren? Eine Ausstellung „instagrammable“ gestalten? Ich denke diese Vorüberlegungen verursachen vor allem eines und zwar eine Schere im Kopf bei all denen, die an der Konzipierung einer Ausstellung beteiligt sind. Und manchmal oder meistens ist es gar nicht planbar, was das eigene Museumspublikum als spektakulär empfindet.
A.K.: Ich denke wir müssen uns davon verabschieden, dass wir die Besucher*innen auf unserer Blickachse und in unserem kuratorischen Denken immer „mitnehmen“ können. Wir müssen verstehen, dass jede*r sich durch den eigenen Erfahrungsschatz und die Prägung andere Gedanken macht. Die Ausstellung ist eine Projektionsfläche, bestimmt durch Bewegung in Zeit und Raum. Eine erfolgreiche Ausstellung misst sich demzufolge nicht ausschließlich an den Besucherzahlen, sondern an den Resonanzen der Einzelnen.
Wenn ich diese Position einnehme, stellt sich für mich die Frage nach dem Spektakulären nicht mehr. Wir bieten an und begleiten, die Ausstellungsbilder machen die Besucher*innen für sich. Ich denke, wir legen im Marta die Ausstellungen nicht auf das Spektakel hin an, sondern sie werden dann zum Spektakel – im positiven Sinne –, wenn sie gut besucht werden, wenn es eine Mund-zu-Mund-Propaganda außerhalb des Museums gibt, wenn die Ausstellung einen Aufforderungscharakter entwickelt, noch einmal wiederzukommen, um Ungewöhnliches zu sehen, zu erleben und zu teilen. Dann haben wir vieles richtig gemacht, denn dann passiert kulturelle Teilhabe – auch in der Schlange. Dabei gewesen zu sein schafft Kommunikation auf allen Kanälen und das verändert sehr nachhaltig den Blick auf Kunst und Museum.
Alles eine Frage des Geldes?
F.F.: Spektakuläre Projekte brauchen außerdem oftmals ein meist beinah genauso spektakuläres Budget, das ohne externe Partner heute meist nicht mehr möglich ist. Das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum beispielsweise musste kürzlich ein geplantes Projekt über französische Kunst des 18. Jahrhunderts aus mangelnden finanziellen Mitteln absagen. Stattdessen zeigt es nun eine Auswahl der eigenen Sammlungswerke, die die Hintergründe der heutigen Museumsarbeit und ihren Zwang zu großen Besucherzahlen in den Fokus rückt. Drohen Museen auf diese Weise nicht auch zur Staffage einer gewinnorientierten Gesellschaft zu werden? Mit diesen Fragen muss sich ein Museum heute beschäftigen und gleichzeitig den Glauben an die sinnliche Kraft der Kunst hochhalten…
A.K.K.: Ich glaube dem größten Teil des Publikums ist gar nicht bewusst, welchen finanziellen Aufwand ein Museum für Transporte oder Versicherungen der Kunstwerke aufbringen muss. Große Rauminstallationen, die nicht nur materialaufwendig sind, sondern auch Manpower benötigen, sind ohne Förderungen und zusätzlichen Sponsoren quasi nicht finanzierbar. Ich finde, auch hier kommt es auf eine gute Mischung an: große Namen und bekannte Werke oder aufwendig inszenierte Rauminstallationen neben kleinen feinen Setzungen, die formal unaufwendig sind, aber inhaltliche Durchschlagskraft haben und die nicht unbedingt laut, aber umso nachhaltiger sind. Denn tatsächlich sehe ich unsere Aufgabe darin, festgefahrene Denkweisen aufzurütteln, wach zu sein und sich auf Neues einzulassen. Wer sich nur auf die Wirkung etablierter und erfolgserprobter Beiträge beruft, erzeugt keine Spannung.
Diversität statt Spektakel
A.K.: Als Gedanken würde ich dem „Spektakel“ gern das „Diverse“ gegenüberstellen. Wenn wir Ausstellungen so anbieten, dass sie mal lauter, mal leiser, mal voller, mal minimaler inszeniert werden, wenn sie auffordern zu sprechen und dann wieder zu schweigen, wenn sie nachdenklich machen oder zum Lachen anregen, dann werden sie von vielen angenommen. Diversität in den Themen und Präsentationen fordert auf, die Diversität in der Betrachtungsweise der Besucher*innen zuzulassen und Kultur gemeinsam zu gestalten und zu erleben.
N.R.: Das sehe ich genauso, zumal das Museum nach meinem Verständnis nicht vorzugsweise ein Ort von Großspektakeln sein sollte, sondern vor allem ein Ort, der auf die Besucher*innen auf die von dir genannten Weisen einwirkt. Eine Auseinandersetzung mit der Kunst wird aber möglicherweise durch begehbare Großinstallationen, wie das Werk „Everywhere“ von Song Dong (Labyrinth-Ausstellung), erleichtert, weil vordergründig für die Besuchenden nur die Überwindung des Eintretens und erst auf den zweiten Blick ein intensivere Beschäftigung notwendig ist.
A.K.K.: Darin liegt meiner Meinung nach die Chance: sich Werke bewusst ansehen, sich Zeit dafür nehmen. Das kann auch spektakulär sein. Museen schaffen Raum, um sich Themen aus ungewohnter Perspektive zu nähern. Dabei können auch Strukturen von Propaganda, Marketing und Kommerz in den Fokus der künstlerischen Betrachtung geraten. Hier sehe ich einen Mehrwert, nicht darin, sich diesen Mechanismen mit Blockbuster-Ausstellungen zu unterwerfen. Ein interessantes Programm ist der Schlüssel, um vielen verschiedenen Besuchergruppen einen Zugang zu ermöglichen, Stichwort Niederschwelligkeit. Der Bildungsauftrag des Museums besteht doch gerade darin, querzudenken und vielleicht auch mal eine Pirouette zu drehen, um Zusammenhänge zu reflektieren.
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