Marta diskutiert: Was müssen Museumsbesucher*innen aushalten?
Als Museum für zeitgenössische Kunst, Design und Architektur ist das Marta Herford automatisch ein Ort, der sich mit vielerlei gesellschaftlichen Diskursen auseinandersetzt. Dabei werden auch immer wieder sensible Themen wie Gewalt, Sexualität, Religion oder Politik berührt.
Einige Museumsgäste fühlen sich durch den Anblick nackter Körper, die ironische Verarbeitung religiöser Symboliken oder explizite Gewaltdarstellungen gestört. Gleichzeitig handelt es sich dabei meist um Kunstwerke mit einer großen gesellschaftspolitischen Bedeutung. Wie man diese teils kontroversen, aber dennoch wichtigen Themen in einer Ausstellung präsentiert, ohne das Publikum zu überfordern, habe ich Marta-Kuratorin Ann Kristin Kreisel (A.K.K) und Angela Kahre (A.K.), Leiterin der Abteilung Bildung & Vermittlung im Marta, gefragt.
Warum ist die Auseinandersetzung mit sensiblen oder kontroversen Themen im Museum überhaupt wichtig?
A.K.K.: Die Ideen für Gruppenausstellungen im Marta entwickeln sich immer aus Auseinandersetzungen mit aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen, die uns alle betreffen. Die Themen haben dabei sehr häufig einen politischen, philosophischen, kulturellen oder religiösen Bezug, weil das wichtige Bereiche sind, die unsere Gesellschaft ausmachen und formen. Die Künstler*innen reagieren häufig mit poetischen, witzigen, teils aber auch grausamen und brutalen Blickwinkeln auf diese Themen, genauso entstehen auch zarte Ausblicke und kritische Reflexionen. Dabei bewegt man sich sicherlich in einem sensiblen Bereich, der Kontroversen hervorrufen kann. Aber genau das finden wir als Kuratorinnen sehr wichtig. Wir möchten eine Auseinandersetzung erzeugen und für kontroverse und schwierige Themen sensibilisieren.
Wie viel Rücksicht muss man auf die Bedürfnisse der Museumsbesucher*innen nehmen und was müssen sie aushalten können?
A.K.K.: Als Kuratorin finde ich es sehr wichtig, auch mal zu provozieren und die Besucher*innen herauszufordern. Kunst soll nicht gefällig sein, sondern den Geist wach halten. Es geht um ein Einlassen auf andere Sichtweisen, um die Auseinandersetzung mit Themen, die auch unbequem oder verstörend sein können. Als gesellschaftlicher Ort sollten im Museum alle Themen verhandelt werden, die unsere Gesellschaft prägen – dazu gehören auch grausame, unschöne oder verletzende. In diesen Fällen sollten die Besucher*innen die Möglichkeit haben, vorab zu entscheiden, ob sie sich darauf einlassen möchten oder nicht. Das gelingt mithilfe von Hinweisen durch den Besucherservice oder eine entsprechende Beschilderung.
A.K.: Bei Kindern müssen die Eltern oder Erziehungsberechtigten diese Entscheidung treffen. Diese Verantwortung können und wollen wir als Museum nicht übernehmen – das gilt auch für die Erwachsenen. Ein Museum hat nicht die Funktion, zu bevormunden: Nicht wir entscheiden für die Besucher*innen, sondern diese entscheiden für sich selbst und ggf. auch für ihre Kinder. Ich denke, dass wir die Kunst, die wir im Marta ausstellen, unbedingt zeigen sollten, auch wenn die Werke nicht für jede*n geeignet sind. Da unterstütze ich die Entscheidung der Kuratorinnen. Wir wollen keine Appetithäppchen anbieten, die leicht zu verdauen sind, wir wollen nachdenklich machen und zur Diskussion anregen. Generell bin ich der Meinung, dass unser Publikum mehr aushält, als wir manchmal denken.
Wie geht man mit der Gratwanderung zwischen der Auseinandersetzung mit sensiblen oder kontroversen Themen und den Bedürfnissen der Besucher*innen um? Was ist wichtiger für die Konzeption einer Ausstellung?
A.K.: Dafür gibt es keine endgültige Setzung, das Verhältnis muss bei jedem Werk neu ausdiskutiert werden. Gemeinsam mit den Kuratorinnen überlegen wir als Museumspädagoginnen, wie man die Ausstellungen für möglichst viele Menschen zugänglich macht. Ich denke aber, dass eine reine Besucherorientierung dazu führt, dass man das Publikum bevormundet, ihm vorschreibt, was es verarbeiten kann und was nicht.
A.K.K.: Für das kuratorische Team ist es eine grundlegende Aufgabe, die gesamte Ausstellung im Blick zu haben und dabei darauf zu achten, wie einzelne Werke wirken – sowohl im Zusammenspiel untereinander als auch auf die Besucher*innen. Aus diesem Grund ist der frühzeitige Austausch mit der Abteilung Bildung & Vermittlung so wichtig, denn dabei diskutieren wir schon im Vorfeld über schwierige Themen und Werke und überlegen, wie man diese vermitteln kann. Oftmals versuchen wir auch in enger Absprache mit den Künstler*innen durch verschiedene Formen der Präsentation, beispielsweise in separaten Räumen, die Möglichkeit zu schaffen, vorab zu wählen, ob man etwas sehen möchte. Vor der Eröffnung sprechen wir zudem intensiv mit unserem Besucherservice, denn die Kolleg*innen sind schließlich diejenigen, die die direkten Reaktionen der Besuchenden bekommen. Grundsätzlich gilt: Der Kunstgenuss sollte immer im Vordergrund stehen. Wir wollen unser Publikum nicht mit einem Schilderwald aus Warnhinweisen nerven.
Wie genau sieht die Zusammenarbeit von Kuratorinnen und dem Team der Bildung und Vermittlung im Marta aus? An welcher Stelle steht die kuratorische Arbeit im Vordergrund und an welcher die pädagogische?
A.K.K.: Es ist uns aus kuratorischer Sicht sehr wichtig, mit der Abteilung Bildung & Vermittlung im Austausch zu sein und schon früh gemeinsam über Ideen und mögliche Schwerpunkte zu sprechen. Jede Abteilung blickt anders auf die Themen und für uns kommen in diesen Runden sehr wichtige Anregungen und Fragen, die die weitere kuratorische Arbeit beeinflussen. Besonders bei interaktiven Werken und der Einbindung der Besucher*innen bauen wir auf die Mitwirkung der Kolleginnen. Die Museumspädagoginnen sind direkt an den Besuchenden dran und vermitteln die Inhalte der Ausstellung. Das ist enorm wichtig und ein existenzieller Teil der Museumsarbeit.
A.K.: Während die Kuratorinnen vor allem vor einer Ausstellung gefragt sind, beginnt unsere Arbeit schwerpunktmäßig, sobald diese eröffnet wurde. Natürlich geschieht die Konzeption der verschiedenen Vermittlungsangebote vorher, doch erst sobald eine Ausstellung fertig ist, können wir richtig auf die Gegebenheiten in den Ausstellungsräumen eingehen und final überlegen, welches Angebot wie umgesetzt werden kann. Es kann zum Beispiel sein, dass es Werke gibt, die für Kita-Gruppen nicht geeignet sind. Dann muss man sich überlegen, welche Möglichkeiten es während einer Führung gibt, um damit umzugehen.
Gab es schon Situationen, in denen eure Vorstellungen bezüglich der Präsentation von Kunstwerken auseinandergingen?
A.K.K.: Ja klar, das kommt vor. Es ist wichtig, dass man die verschiedenen Vorstellungen zusammenbringt. Zuerst geht es natürlich um die Vorstellungen der Künstler*innen. Wie ist ein Werk gedacht? Wie wird es präsentiert, um die optimale Wirkkraft zu haben? Laut meiner Erfahrung sind die Künstler*innen aber meistens sehr offen für Vorschläge und bereit, gemeinsam eine Präsentationsform zu entwickeln, die im jeweiligen Ausstellungszusammenhang passt. Die Pädagoginnen schauen noch mal aus einem anderen Blickwinkel auf die Werke und die Präsentation.
A.K.: Gerade die Akustik in den Ausstellungsräumen ist für uns als Museumspädagoginnen eine große Herausforderung. In der Vermittlungsarbeit wird nach wie vor viel gesprochen. Bei Führungen stellt die Akustik bestimmter Kunstwerke dann eine direkte Konkurrenz dar. Das kommt dann auch bei den Besucher*innen negativ an. Bei der Konzeption von Ausstellungen muss man einfach ein offenes Auge für womöglich – inhaltlich wie technisch – problematische Fälle haben und diese gemeinsam mit den verschiedenen Abteilungen diskutieren. Grundsätzlich gilt für mich: Die Diskussion steht vor dem Verbot!