Marta erwacht – Vom Wert der Kultur in Pandemie-Zeiten
Am 19. Mai endete die durch Corona bedingte Schließzeit im Marta Herford. Das ganze Team atmete auf: Endlich sollten sich die verlassenen Ausstellungsräume wieder mit Leben füllen! Gleichzeitig schwang bei uns allen aber auch eine leichte Verunsicherung mit: Wie gestaltet sich ein Museumsbesuch in Pandemie-Zeiten?
Ich glaube, das Jahr 2020 haben wir uns alle deutlich anders vorgestellt. Wenn ich daran zurückdenke, dass sich am 25. Januar noch rund 700 Menschen auf der Tanzfläche in der Marta-Lobby zu Lars Eidingers Autistic Disco drängten, dann kommen mir diese Szenen Lichtjahre entfernt vor. Dieser fulminante Auftakt sollte eigentlich auch ein Jahr einläuten, in dem Marta nicht nur seinen 15. Geburtstag feiert, sondern in dem vieles anders und neu werden sollte: Mit einer neuen Aufenthaltsqualität in der Lobby wollte sich Marta noch stärker zu einem „Dritten Ort“ formen und der freie Eintritt für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre sollte die Barriere für einen Museumsbesuch bei Jüngeren senken. Außerdem sollte erstmals ein fest eingerichteter museumspädagogischer Aufenthalts- und Arbeitsraum innerhalb der Gehry-Galerien zu einem besucherzentrierten Ort werden, an dem Interaktion, Partizipation und Kunst gleichermaßen stattfinden. Hierfür hat der belgische Künstler Adrien Tirtiaux als Teil der Ausstellung „Glas und Beton“ „Die Insel im Marta“ geschaffen, ein Ort in dem Besucher*innen u.a. mit Beton-Workshops und vereinten Kräften selbst in die Entwicklung des Raums eingreifen können. Aber selbst nach der Wiedereröffnung herrscht dort eine geisterhafte Stimmung: Aus Sicherheitsgründen steht vieles vom Equipment derzeit unbenutzt in der Ecke und muss auf bessere Zeiten hoffen.

Marta ist wieder offen!
Als das Marta Herford am 19. Mai nach etwas mehr als neun Wochen Schließzeit wieder seine Pforten öffnete, war das für uns ein rührender Moment: Bereits einige Minuten zuvor hatte sich eine kleine Menschentraube am Eingang versammelt und sehnsüchtig auf den Einlass gewartet. Diese ersten Besucher*innen reisten teilweise aus Berlin und Wuppertal an; einige von ihnen kauften, um uns finanziell zu unterstützen, sogar Eintrittskarten, obwohl sie im Besitz einer Jahreskarte waren und berichteten in persönlichen Gesprächen, wie sehr sie sich auf diesen Moment gefreut hätten. Wir wiederrum hatten einen floralen Willkommensgruß vorbereitet: Die Margeriten-Bepflanzung kurz vor dem Zugang zu den Gehry-Galerien sollte nicht nur eine attraktive und sichere Wegeführung für unsere Gäste markieren, sondern ist auch eine Reminiszenz an die Museumseröffnung am 7. Mai 2005 als Gründungsdirektor Jan Hoet die allerersten Besucher*innen mit einer Installation aus zahlreichen Margeriten willkommen hieß.
Sehnsucht nach kulturellen Erlebnissen
Nach mehr als drei Wochen sind wir positiv überrascht: Nicht nur, dass die Besuchenden bis heute mit überwiegendem Verständnis auf die nun herrschende Maskenpflicht und das neue Wegeleitsystem, das die Abstandsregelungen sicherstellt, reagieren. Wir sind vor allem überrascht von dem guten Besucherzulauf in einer Zeit, in der die Rückkehr zur Normalität eigentlich noch in weiter Ferne liegt, die Sehnsucht nach kulturellen Erlebnissen aber riesengroß scheint. Und diese Erkenntnis stärkt uns als Museum.
Mehr Besucher*innen als die Bundesliga
Eigentlich könnte der Blogbeitrag zu einem Corona-Rückblick an dieser Stelle beendet werden – vielleicht noch mit der großen Hoffnung verbunden, dass die Eindämmung der Pandemie und der Besuch von Kultureinrichtungen gut nebeneinander existieren können. Aber ich komme nicht umhin anzureißen, was viele Kultureinrichtungen und natürlich auch freischaffende Künstler*innen in diesen Zeiten umtreibt: Die Existenzangst. Museen, die mit 114 Millionen Besucher*innen im Jahr (Stand 2018, Quelle: Statista) einen besseren Zulauf haben als die Spiele der Bundesliga, müssen ihre Daseinsberechtigung immer wieder unter Beweis stellen. Und der wichtigste Indikator der Trägerschaften für messbaren Erfolg und Qualität sind meistens die physischen Besuchszahlen. Oft werden diese unabhängig von den Begebenheiten gemessen: Also unabhängig von der Größe der Stadt, dem touristischen Zulauf, dem kulturellen Konkurrenzangebot, der wirtschaftlichen Kaufkraft, den Wetterverhältnissen und dem Werbebudget. Aber dank Corona werden wahrscheinlich solche Zahlen in diesem Jahr erstmalig eine untergeordnete Rolle spielen, weil allerorts für viele Wochen das Leben stillstand.
Was ist Kultur wert in diesen Zeiten?
Notgedrungen spielen aber dann wahrscheinlich andere Zahlen eine große Rolle, nämlich die des Umsatzes. Wir haben – wie viele andere Kultureinrichtungen auch – durch die Schließung große finanzielle Einbußen erlitten. Fast alle Kultureinrichtungen tragen sich wirtschaftlich nicht alleine durch den Verkauf von Eintrittskarten oder Shop-Artikeln; hinzukommt, dass die Budgets für Ausstellungen, Werbung und Veranstaltungen generell knapp bemessen sind. Die Krise wird mit Sicherheit den Gürtel zukünftig noch enger schnallen. Aber was bleibt dann? Noch knappere Budgets für Ausstellungen, die aber unter dem Druck stets wachsender Besuchszahlen weiterhin Bestand haben müssen? In schlimmsten Fällen vielleicht sogar die Kürzung von wertvollen Stellen? Bei allem Eifer die drohende Weltwirtschaftskrise so gut wie möglich abzufedern, frage ich mich, welchen Stellenwert wohl der Erhalt und die Hilfe für Kultureinrichtungen und -schaffende in der Politik haben? Was ist Kultur wert in diesen Zeiten?
Museen als lebensrelevante Orte
Die Besucher*innen im Marta machen es deutlich: Bei aller gebotenen Hygienevorsicht, sehnt sich der Großteil des kulturaffinen Publikums nach der Begegnung mit Kunst und Kultur, weil sie für viele einen wichtigen Stellenwert haben. In meiner Wahrnehmung sind Museen hochrelevant. Ja, vielleicht wirklich auch lebensrelevant, wie der Journalist Ulrich Reitz es mal im Hinblick auf die Theater formulierte. Museen haben einen gesellschaftlichen Auftrag und sind dazu da, um (unbequeme) Fragen zu stellen, den Meinungsaustausch und die Meinungsbildung zu fördern oder bereichern manchmal einfach nur mit sinnlicher Erfahrung oder als „Dritter Ort“. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich die Relevanz von Kultureinrichtungen während und auch nach der Corona-Pandemie noch stärker im politischen Bewusstsein verankert. Vielleicht gelingt es sogar eines Tages, dass ihr Stellenwert weniger an nackten Zahlen als an ihrem gesellschaftlichen Auftrag und den damit verbundenen Wirkungen gemessen wird.
Hinweis:
Weitere Artikel zu dem Thema Wiedereröffnung nach Corona-bedingter Schließung sind im Rahmen der Blogparade #closedoropen auf dem Blog von Jörn Brunotte veröffentlicht worden.
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