Rainer Prohaskas „Mobile Tea House“
Jeder von uns hat schon einmal ein Haus mit Legobausteinen gebaut. Das offene Stecksystem ermöglicht das Bauen nach unseren individuellen Wünschen und Träumen.
Durch das stetige Hinzufügen weiterer Elemente und das einfache Umgestalten entsteht eine Welt voller Geschichten und sozialer Interaktionen. Die baulichen und spielerischen Möglichkeiten scheinen unendlich zu sein.
Ein Teehaus in Herford – inspiriert vom System Lego
Mit zahlreichen Teesorten im Gepäck reiste der Künstler Rainer Prohaska am Samstag, den 15.07.17, in die Herforder Innenstadt, um ein mobiles Teehaus zu bauen. Das Teetrinken ist im nahen und fernen Osten fest in den Alltag integriert. In Ländern wie der Türkei, Indien, Syrien und dem Libanon wird das Teetrinken mit der alltäglichen Kommunikation verbunden. Auch auf dem Herforder Marktplatz sollte ein solcher Ort des Austauschs entstehen.
Für seine Baukastenarchitektur ersetzt Rainer Prohaska die Legobausteine durch Holzprofile. Das Steckprinzip übersetzt er in Ratschgurte, mit denen die einzelnen Hölzer fest verbunden werden. Zum Auftakt entstand ein bauliches Grundgerüst aus Podesten und Sitzflächen. Prohaska und seine HelferInnen bauten eine flexible Struktur, die den BesucherInnen einen Freiraum zum individuellen Gestalten bietet. Und die Partizipation ist ausdrücklich gewünscht, denn wie das heutige Design wandelt sich auch das mobile Teehaus zum offenen System, das von unterschiedlichen Menschen gestaltet wird. Der Sozialwissenschaftler Herbert Alexander Simon (*1916, †2001) schrieb, dass im Prinzip jeder Mensch ein Designer sei, der die planvolle Änderung eines Ist-Zustands vornehme. Das Entwerfen ist heute nicht nur auf Designer und Architekten beschränkt, sondern wird von vielen Menschen und Berufszweigen ausgeführt.
Der Mensch steht im Mittelpunkt
Immer wieder wurden wir gefragt, wann denn das mobile Teehaus fertig sei. Doch fertig gebaut ist es nie, denn zu jeder Zeit darf sich jeder einbringen, um die bauliche Struktur zu ergänzen oder umzubauen. Das Bauen wird zum sozialen Prozess, denn entworfen wird durch das intuitive Bauen sowie im Dialog mit den BaukollegInnen. Dieser Denkansatz, der den Menschen in den Entwurfsprozess mit einbezieht, definieren DesignerInnen und ArchitektInnen als das Human-Centered Design (dt. Nutzerorientiertes Gestalten).
Das Human-Centered Design orientiert sich an den Bedürfnissen und Wünschen der NutzerInnen. Sei es in der Analysephase, um den Ist-Zustand zu erheben oder in der gestalterischen Entwurfsphase. Ein konkretes Beispiel: Im Rahmen eines Kreativworkshops können die zukünftigen NutzerInnen ihre Wünsche und Vorstellungen visualisieren. Hierbei entstehen Ideenskizzen und Architekturmodelle.

Im Human-Centered Design ist nicht das Produkt oder das Gebäude die zu entwerfende Planungseinheit, sondern das Mensch-Raum bzw. Mensch-Objekt-System. Dadurch werden Interaktionen mit dem Design und mit anderen NutzerInnen ebenso wie z. B. soziale Beziehungen entworfen. Bei einem Ort für das gemeinsame Teetrinken können wir uns fragen, welche Sitz- und Tischformen die Kommunikation fördern, um das soziale Miteinander vor Ort zu gestalten. Das eigentliche Potential von Design ist nicht das Styling, also die Orientierung an der Mode, sondern die Gestaltung von Prozessen und sozialen Beziehungen.
Das Design wird gesellschaftspolitisch
Mithilfe der offenen Teeküche und vielfältigen Workshops rund um die Themen Architektur und Teekultur wird der öffentliche Raum besetzt. Der Marktplatz wird zum Interaktionsraum zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kulturen. Den baulichen Prozess und die Beteiligung der Bürger sieht Rainer Prohaska als gesellschaftliche Metapher für Flexibilität und den positiven Umgang mit Veränderungen.
Das Design entwickelt sich zum Problemlöser und zum Motor eines gesellschaftlichen Wandels. Es greift komplexe Zustände unserer Zeit auf und reagiert auf die gegenwärtigen Probleme und Missstände der Gesellschaft sowie der Umwelt. Es befasst sich beispielsweise mit Fragen der Flüchtlingssituation und des Klimawandels.
Zum Autor:
Dennis Kehr arbeitet als Kunstvermittler im Marta Herford. Er gibt Führungen durch die aktuellen Ausstellungen und betreut Kreativ-Workshops für Kinder. Des Weiteren ist er Student der Innenarchitektur und Raumkunst an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur. Zuletzt verfasste er eine wissenschaftliche Hausarbeit über ein Design, das sozial-gesellschaftspolitische Faktoren integriert.