Modenität
Noch nie kommunizierten Kunst und Mode auf eine so enge, zeitgenössische, vergleichbar gewordene Art und Weise wie heute. Wie kunstvoll wird heute Mode als Modus sozialer Distinktion und (Selbst-)Beobachtung verwertet? Inwiefern verwandelt sich Kunst heute in so etwas wie eine Form von angewandter (Achtung: Kunstwort) „Modenität“?
Auch wenn die Felder Kunst und Mode traditionell so unterschiedlich sind, lag eine Vergleichbarkeit stets nahe. Inzwischen arbeiten Künstler*innen längst auch als Gestalter*innen in Modekontexten (so beispielsweise Rosemarie Trockel für „Bottega Veneta“); Mode- und besonders Konsumphänomene sind mittlerweile ebenfalls zu Themen von Kunstproduktionen geworden.
Kunst wird dann zur (modischen) Marke, wenn sie weder ein rein soziales Medium noch ein rein ästhetisches Meisterwerk geworden ist. Die Kompetenzen und Ansprüche, die sich im Medium aktueller und modisch-zeitgeistiger Kunst- oder Modeformen manifestieren, haben häufig eine ebenso abstrakte wie auch gegenwärtige Funktion: Eine ihre aktuellen Probleme kommunizierende, zeitgebundene oder zeitlose Kommunikation von Konsumobjekten, die uns auf höchst unterschiedliche Weise Versprechen von Konsumlust und -kritik, sozialer Verantwortung, Geschlechtergerechtigkeit, Klimaschutz etc. machen. Die modernen Medien machen unerwartete Vergleichbarkeiten möglich und erweitern so die Grenzen und Kontexte des jetzt Darstellbaren: Kunst macht ihre Modevergleichbarkeit, ihre „Modenität“ sichtbar; Mode macht heute intensiver als in früheren Zeiten ihre Kunstbezüglichkeit diskutierbar, indem sie ihre spezifische Sensibilität für aktuelle und zukünftige soziale und ökologische Probleme thematisiert.
Totem, Mode und Macht
Die früheren in der Modewelt üblichen Unterscheidungen „modisch/altmodisch“ oder auch „in/out“ haben sich, relativ gesehen, eher erweitert; Heute kommunizieren – gerade auch durch Kunstzitate reflektierte – Modediskurse nicht mehr nur noch interne, ästhetische Modephänomene, sondern signalisieren – angestachelt und ermöglicht vor allem durch Social Media – immer mehr auch kritische, Mode übergreifende Sichten eines Individuums auf seine / ihre Umwelt. Bezeichnenderweise „wird nicht von der Modewelt bestimmt, was tatsächlich gerade modisch ist. …. Man hofft, dass man die noch nicht eingetroffene Mode trifft. Es gibt aber vieles Neue und Erfundene, das nie modisch wird. Die Wege und Irrwege der Kleidermode sind notorisch.“ (Zit. nach: Bjørn Schiermer, Mode, Bewusstsein und Kommunikation,2010).
Gerade Mode funktioniert heute als ein aktueller, immer häufiger konsum-moralisch getriggerter Diskurs, als eine spezifische soziale Beobachtungstechnik, um Haltungen zur Welt des Konsums in Form von Unterscheidungen visuell und /oder kritisch zu inszenieren. Die Macht von – exklusiver und gegenwartsbewusster – Mode liegt offenbar darin, genau jetzt, in diesem Moment etwas Paradox-Abweichendes so zu inszenieren, dass wir davon wie gebannt erscheinen und uns nicht genau bewusst wird, worüber wir hier eigentlich kommunizieren. Mode ist mit Aby Warburgs legendärer Formel gesprochen eine „Pathosformel“ ihrer jeweiligen Gegenwart. Sie zeigt uns, wie nahe wir uns am jeweiligen Zeitgeist bewegen und wie ambivalent und inspirierend es heute ist, Kunst mit Mode zu kombinieren und Mode als erweiterte Kunst oder als Gegenwartskommentar zu rezipieren.
Schließlich erinnert Mode, in welcher Form auch immer, daran, dass wir jetzt das Neueste konsumieren sollen: Mode ist seit jeher ein temporaler Marker, auf Deutsch ein Saisonartikel – nur wirklich neuartigen Mode-Ideen gelingt es, sich als zeitlose Ikonen zeitunabhängig zu machen – und damit eine Art von extrem exklusiver Entschleunigung zu praktizieren. Der Soziologe Bjørn Schiermer macht auf einen weiteren temporalen Aspekt von Mode aufmerksam: „Im zeitlichen Verlauf sind Modeobjekte aber nicht wie Könige, Kunstwerke oder Fußbälle im selben Grade identisch mit sich selbst. Vielmehr verschwinden und entstehen sie regelmäßig. Das Paradox der Mode ist, dass Moden gerade in ihrem Wandel eine stabilisierende Funktion haben.“ Kunst und Mode ähneln, so Schiermer, in gewisser Hinsicht ‚Totemobjekten‘: „Das Totemobjekt überbrückt nicht nur die Schwelle zwischen Ritual und alltäglicher Existenz, zwischen sakralem und profanem Bereich, sondern folgt dem Bewusstsein auch dann, wenn es gar nicht an der Kommunikation teilnimmt“ (s.o.).
Gegenwartsaktivitäten: Verehren, betrachten, verwerten
In frühen Zeiten wurden magische Objekte verehrt, später wurden besonders gemalte Bilder exklusiv betrachtet, hochpreisig gehandelt und (kunstvoll) kommentiert, heute werden performativ aufgeführte Ereignisse als ambivalenter Ausdruck ihrer Gegenwart bewertet und sofort weiter verwertet. Die historischen Wert-Maßstäbe von Kunst – Exklusivität, Unverfügbarkeit, Singularität, Zeitgenossenschaft – sind so nicht mehr einzigartig, indem diese öffentlich kommuniziert und gerade dadurch – auch in modisch-zitierender Form – weiter verwertet werden. Als Kunst lebt sie von ihrer eigenen Fähigkeit zur Paradoxierung aller ihrer bisher realisierten Werte, Erwartungen und Ansprüche. Als gewinnträchtiges Markenprodukt bzw. als sozialer Marker wird Kunst zu einem Teil, einer Art von Mode; als Nicht-Kunst steigert sie ihren Anspruch auf unendliche nachwachsende Kommunizierbarkeit. Indem – gerade heute – Kunst (auch) zu einem öffentlich beachteten Kommunikationsprodukt geworden ist, steigert es seine Zeitgenossenschaft und Aufmerksamkeit um ein Vielfaches: Sein öffentliches Ansehen steigert sich „durch den Kometenschweif von Reproduktionen, den es hinter sich herzieht“ (Walter Grasskamp, 1989).
ICH präsentiere mich, also bin ich (anders)
Die Vergleichbarkeit zwischen Kunst und Mode wird schon lange praktiziert und wird heute immer relevanter; nicht nur Kunst, sondern alle Arten von visueller Gestaltung spielen mehr und mehr mit ihrem aktuellen „Look“ während Mode vom Status des Einzigartigen von Kunst profitiert. In der aktuellen Ausstellung „Look!“ gefällt mir Andy Dixons „Versace-Shirt (Maimi)“ 2019 mit am besten: Das Riesenhemd in Leinwandoptik macht in seiner amerikanisch-hyperrealen Übersteigerung „einen auf dicke Hose“. Ob Kunst oder Mode ist ihren Besitzenden letztlich egal – so lautet offenbar die Botschaft. Hauptsache es zieht öffentliche Aufmerksamkeit und ertappt sein Publikum dabei, wie es sich dabei beobachtet, dass in der heutigen visuellen Kultur tendenziell alles unter Eycatcher-Aspekten ausgewählt und aufgehängt wird: ICH präsentiere mich, also bin ich (anders). Und natürlich ist immer auch der Affekt des „Lustkaufs“ nicht zu unterschätzen: Ob als Kunstsammler*in oder als Modekonsument*in: Ich leiste mir das Werk oder Kleidungsstück und ich genieße dessen Kauf, der mein Selbst-Bewusstsein spiegelt.
Die Vergleichbarkeit zwischen Kunst und Mode wird schon lange praktiziert und wird heute immer relevanter; nicht nur Kunst, sondern alle Arten von visueller Gestaltung spielen mehr und mehr mit ihrem aktuellen „Look“ während Mode vom Status des Einzigartigen von Kunst profitiert. In der aktuellen Ausstellung „Look!“ gefällt mir Andy Dixons „Versace-Shirt (Maimi)“ (2019) mit am besten: Das Riesenhemd in Leinwandoptik macht in seiner amerikanisch-hyperrealen Übersteigerung „einen auf dicke Hose“. Ob Kunst oder Mode ist ihren Besitzenden letztlich egal – so lautet offenbar die Botschaft. Hauptsache es zieht öffentliche Aufmerksamkeit und ertappt sein Publikum dabei, wie es sich dabei beobachtet, dass in der heutigen visuellen Kultur tendenziell alles unter Eycatcher-Aspekten ausgewählt und auf aufgehängt wird: ICH präsentiere mich, also bin ich (anders). Und natürlich ist immer auch der Affekt des „Lustkaufs“ nicht zu unterschätzen: Ob als Kunstsammler*in oder als Modekonsument*in: Ich leiste mir das Werk oder Kleidungsstück und ich genieße dessen Kauf, der mein Selbst-Bewusstsein spiegelt.