Museum! Neu! Denken! – Überlegungen nicht nur zum Jahresende
2020, im Jahr des 15. Jubiläums der Eröffnung, wird sich im Marta vieles ändern. Aber warum, war 2019 kein gutes Jahr? Doch, nur ist es einem jungen Museum für zeitgenössische Kunst sozusagen mit in die Wiege gelegt, immer wieder die eigenen Strukturen und Strategien infrage zu stellen. Auf welche Weise kann ein Ausstellungshaus auf die Entwicklungen einer Gesellschaft reagieren? Kulturschaffende sind auch Botschafter*innen des Zukünftigen und es ist eine zentrale Aufgabe, dafür einen offenen, experimentierfreudigen und interessanten Rahmen zu bieten.
Damit stellt sich unter anderem die Frage, welche Bedingungen genau diese anregenden und vor allem auch notwendigen Begegnungen mit den Themen der Gegenwart benötigt. Wie entsteht eine einladende, ja auch schöne Umgebung, um sich zu bilden, zu entspannen, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, sich vielleicht auch zu ereifern, um neue Ideen und Perspektiven zu entwickeln oder einfach nur ein wenig die Seele baumeln zu lassen? Zusammengefasst werden diese Bemühungen derzeit unter dem Schlagwort „Dritte Orte“. Darunter fasst man Anlaufpunkte mit großer Aufenthaltsqualität, die neben dem Privatraum und dem Arbeitsort im Rahmen der individuellen Freizeitgestaltung häufiger aufgesucht werden.
Aufenthaltsqualität jenseits der Eintrittsbarriere
Doch was genau kann das für ein Museum bedeuten? Soll es Sesselgruppen, eine Bar, Musik und Kaffee geben an einem Ort, der doch eigentlich für das Sammeln, Ausstellen und Vermitteln von Kulturgütern gedacht ist? Warum eigentlich nicht? Was hindert uns daran, Forschung und Erkenntnis, Austausch und ästhetische Erfahrung in einem angenehmen Rahmen anzubieten? Wie wäre es denn, wenn man nach dem Ausstellungsbesuch nicht einfach durch Museums-Shop und -Café dem Ausgang zustrebt, sondern wenn man das Gesehene noch in einladender Atmosphäre nachklingen lässt, vielleicht in dem einen oder anderen weiterführenden Buch blättert, einer Frage im Internet nachgeht oder einfach den Blick durchs Fenster ins Grüne und auf den Fluss hinterm Museum schweifen lässt?
In diesem Jahr wird das Marta einen großen Schritt in die angedeutete Richtung gehen. Wir werden nach wie vor für unser Publikum den Besuch guter, überraschender und intelligent gemachter Ausstellungen in den Mittelpunkt stellen. Aber wir werden auch mit neuen Initiativen die Lust an einer weitergehenden Nutzung unseres Hauses steigern. Tatsächlich soll es eine neue Möblierung in der Lobby geben, auch ein interaktives Info-Terminal ist geplant und die Kaffee-Station ist zwar noch nicht in trockenen Tüchern, aber eine fixe Idee. Wir möchten stärker den Dialog mit unseren Besucher*innen suchen, eher spielerisch, beiläufig als durch große Befragungen. Zum Beispiel mit der „Frage der Woche“, die man per Knopfdruck, Postkarte oder auf überraschend andere Weise rasch mit Ja oder Nein beantworten kann.
Neue Zugänglichkeiten
Wir verlängern die Abendöffnung am ersten Mittwoch im Monat um eine Stunde bis 22 Uhr, wir streichen ab März den Eintritt für Menschen bis 18 Jahre komplett und für Lernende bis 27 fast. Wir präsentieren „Die neue Jahreskarte“ und die bequeme Form der Onlinebuchung von Veranstaltungen und später auch Ausstellungstickets. Und, noch viel wichtiger, wir installieren „Die Insel im Marta“: Ein neuer, fester Raum am Ende des Ausstellungsrundgangs, in dem man sich selbst einbringen kann, lesen, bauen, basteln, zuschauen oder diskutieren. All das wird zu einer anderen, erweiterten Erfahrung während des Museumsbesuchs beitragen, der noch stärker ein erfülltes und hoffentlich lange nachklingendes Freizeiterlebnis wird als eine belehrende Unterweisung in Kulturdingen.
Publikumsdialoge
Schon im Jahresprogramm 2019 haben wir dafür hoch spannende Erfahrungen gesammelt, haben Dinge ausprobiert und vor allem Reaktionen beobachtet und ausgewertet. Wir freuen uns noch immer riesig über die vielen Rückmeldungen, selbst wenn sie mal kritisch negativ ausfallen, wenn wir uns missverstanden fühlen oder Dinge nicht so wahrgenommen werden, wie wir sie ursprünglich gemeint hatten. Neben dem noch immer viel genutzten klassischen Besucherbuch und den Kommentaren im Netz sind es vor allem die „Loben Meckern Aufschreiben“-Postkarten, die wir jeden Monat zahlreich in der entsprechenden Box finden und in allen betroffenen Abteilungen sehr aufmerksam lesen. Doch es gibt auch sehr viele persönliche Gespräche mit mir, dem Besucherservice, den Kuratorinnen und anderen Mitarbeiter*innen, die oft unerwartete Wünsche oder Perspektiven vermitteln.
Abenteuer des Sehens
Nachdem wir gleich zu Beginn des vergangenen Jahres mit „Spurensuche“ bereits zum fünften Mal die künstlerischen Energien der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL) auf ihre Strahlkraft und ihr Potenzial hin untersucht hatten, erwartete die Besucher*innen kurz darauf in den großen Gehry-Sälen eine inszenatorische Überraschung: Für „Die Realität … ist absurder als jeder Film“ hatte sich das Museum in einen überwältigenden Kinokomplex verwandelt, der von der Großleinwand über Kuschelsäcke vor Bildschirmen bis hin zum Eintauchen in eine virtuelle Realität alles zu bieten hatte.
Diese Ausstellung mit Filmen großer israelischer Künstler*innen war uns nach viel Vorarbeit ein besonderes Anliegen, weil die ganz eigene Art des Erzählens, die poetische Bildsprache und vor allem die hochpolitischen Zusammenhänge mehr als bewegend sind. Das haben viele ähnlich begeistert aufgenommen, aber wir mussten auch die Erfahrung machen, dass für manche Besucher*innen das Video eigentlich keine „richtige“ Kunst ist. Und auch wenn jeder der fünf Filme von beeindruckenden Rauminszenierungen mit ergänzenden Werken begleitet waren, verließen immer wieder mal Personen die Ausstellung enttäuscht bis empört mit der Meinung, zu wenig für ihr Geld geboten bekommen zu haben.
Design als künstlerische Debatte
„Rebellische Pracht – Design-Punk statt Bauhaus“ war dann das komplette Gegenteil: Überbordend, üppig, lustvoll, eng bestückt und trotzdem – wie es der Titel bereits nahelegte – voller Opposition. Entwickelten wir das Projekt eher im Widerstand gegen einen völlig übertriebenen und oft in die historische Ungenauigkeit zielenden Bauhaus-Jubel, so präsentierte die Ausstellung ein Design, das ab Ende der 70er-Jahre nichts mehr von der Nüchternheit dieser prägenden Tradition gelten lassen wollte und dennoch gerade deswegen nicht vom Bauhaus loskam. Zusammen mit der Präsentation des „9. RecyclingDesignpreises“ im Herbst kam dem Design in diesem Ausstellungsjahr sogar eine etwas herausgehobenere Stellung zu. Allerdings legen wir nach wie vor großen Wert darauf, keinem Objektfetischismus zu frönen, sondern die angewandte Gestaltung vor allem mit künstlerischem Blick in einen gesellschaftlichen Diskurs zu rücken.
Besuchende als aktives Gegenüber
Mit „Haltung & Fall – Die Welt im Taumel“ eröffnete dann eine Ausstellung mit der wir – neben dem thematischen Interesse – einmal sehr konkret erproben wollten, wie sich Besucher*innen auf eigenes Handeln und dialogische Formate einlassen. Und das, ohne den Ausstellungsraum zum banalen Spielplatz zu machen. Es stellte sich nicht nur heraus, dass künstlerische Beiträge und vermittelnde Elemente aus dem pädagogischen und kuratorischen Team in einer Ausstellung gut nebeneinander stehen können. Auch zeigte sich, dass es geradezu ein Bedürfnis bei vielen Besucher*innen danach gibt, aktiv in eine Ausstellung einbezogen zu werden: Sei es, auf Christian Falsnaes’ Bühneninstallation selbst dem Publikum etwas zu präsentieren, sei es sich auf Robert Bartas Kugelbahn aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen, oder auch nur mit einer kommentierten Postkarte auf die schlichte wie knifflige Frage zu antworten: „Was ist wichtiger, Freiheit oder Sicherheit?“
Schranken einreißen oder Blüten abknicken?
Vor allem aber eroberte bei dieser Ausstellung die sogenannte Leichte Sprache erstmals unübersehbar den zentralen Ausstellungsbereich: Neben deutschen und englischen Saaltexten fanden die Besucher*innen an den Wänden auch große Erläuterungen nach dieser radikal vereinfachten Sprach- und Rechtschreibregelung. Und das nicht verschämt auf einem Begleitzettel oder im übrigen Textbereich versteckt, sondern als eigene Rezeptionsebene durch die Ausstellung gut sichtbar auf dafür freigehaltenen Wandsegmenten.
Die Reaktionen waren erstaunlich: sehr persönlich, sehr emotional, sehr direkt. Das führte uns dazu, für das große historische Ausstellungsprojekt „Im Licht der Nacht – Vom Leben im Halbdunkel“ noch einen Schritt weiterzugehen. Hier finden die Besucher*innen an den Wänden plötzlich wieder eine Zweisprachigkeit, aber ganz anders: Einerseits kurze Texte in Leichter Sprache und dann die englische Übersetzung der deutschen Originaltexte. Diese selbst sind jedoch nur im ebenfalls zur Verfügung stehenden Audioguide zu hören. Das ist dann einigen Leser*innen doch zu radikal, und nicht nur einmal hörten wir die Frage danach, ob wir jetzt nicht die Differenzierungsmöglichkeiten, ja auch die Schönheit der deutschen Sprache gänzlich opfern würden.
Wie viel Worte braucht die Kunst?
Was dann auch bemerkenswert ist: Obwohl immer wieder gewünscht und meistens aufgrund der hohen finanziellen Belastung nicht realisierbar, ist der Audioguide kein gleichwertiger Ersatz. Nur ein Bruchteil der Besucher*innen folgt hier den gesprochenen Erläuterungen zu den einzelnen Werken, während nicht wenige umfangreichere Texte an den Wänden oder auf den Labels vermissen. Vor dem Hintergrund der (ja eigentlich auch überhaupt nicht neuen) Totalverweigerung von Informationen in der aktuellen Düsseldorfer Ausstellung „Edvard Munch gesehen von Karl Ove Knausgård“ ist das noch einmal ein nachdenklich machendes Feedback. Wie viel Vermittlung, ja auch Belehrung oder, etwas neutraler ausgedrückt, Kontextualisierung ist notwendig und gewünscht, um den Fokus der direkten künstlerischen Begegnung nicht zu sehr zu verstellen? Diese Frage werden wir auch in diesem Jahr mit hoher Priorität bearbeiten.
Das neue Marta 2020
Auch wenn hier die höchst herausfordernden und facettenreichen Fragestellungen rund um den öffentlichen Auftrag von Museen nur angerissen und benannt werden konnten, so werden die Marta-Strategie 2020 und vor allem auch die zahlreichen Veränderungen genau darum kreisen: Wie können wir den klassischen Museumsgedanken weiter aus dem Staubfänger-Image in die Mitte eines möglichst breiten Alltagslebens führen; wie können wir auch weiterhin nicht nur Erbauliches zeigen, sondern relevante Fragen der zeitgenössischen Gesellschaft verhandeln; und wie können wir ungebrochen auch einer jüngeren Generation vermitteln, dass Investitionen in ein kritisches, herausforderndes kulturelles Leben Investitionen in ihre eigene Zukunft sind?
„Gelingt ein solcher Diskurs um die Rolle und Aufgaben der Museen“, schrieb Kia Vahland vor einigen Tagen in der Süddeutschen Zeitung, „dann sind die Häuser im Jahr 2030 aus der Mitte von Städten und Gemeinden nicht wegzudenken … Denn Museen bieten sinnliche Vergnügungen und Erkenntnisse, und die vermitteln sich allen gleichermaßen. Weil sie von Objekten leben, die einem ganz real vor Augen treten, kann kein noch so gut gemeintes Digitalisierungsprojekt über Schäden und Verluste hinwegtrösten. Nur das öffentliche, real existierende Museum ist in der Lage, Geschichte dingfest zu machen.“ Und Gegenwart begreifbarer, Zukunft verhandelbarer zu machen, würde ich gerne ergänzen.
Auf ein aufregendes, immer wieder anderes Museumsjahr 2020!
5 Replies to “Museum! Neu! Denken! – Überlegungen nicht nur zum Jahresende”
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Nachdem zeitgenössische Kunst Jahrzehnte mit scheinbar intellektuellem Gehabe, Referenz, Recherche und anderen Methoden für viele unzugänglich gemacht wurde, entpuppt sie sich nun als eine Ansammlung von Harmlosigkeiten, netten Einfällen und schnell auflösbaren Spitzfindigkeiten und Assoziationsketten.
Die Bemühungen, das Museum zum „Dritten Ort“ zu machen, sind sinnvoll, über die Art lässt sich streiten und die Frage, ob ein „Drittes Publikum“ bedient werden soll stellt sich mir.
Womöglich wird die Krise der zeitgenössischen Kunst damit einfach weiter verschoben und tabuisiert.
Ich glaube übrigens dass es eine „Dritte Lösung“ geben kann…
Liebe Angelika Zeller,
vielen Dank für Ihre detaillierte Auseinandersetzung mit der Thematik. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass die zeitgenössische Kunst (wann und wodurch auch immer) unzugänglich gemacht wurde. Sie steckt einfach in einem letztlich auch nicht auflösbaren Dilemma: Einerseits steht und entsteht sie innerhalb eines Fachdiskurses, der an Hochschulen und unter Künstler*innen/Kunstwissenschaftler*innen geführt wird, auf den sie Bezug nehmen will/muss und der notwendig ist, um eine künstlerische Entwicklung, ja, am Ende auch die Kunstgeschichte selbst voranzutreiben. Andererseits haben wir (zu Recht) erkannt, dass die zeitgenössische Kunst auch ein Publikum benötigt, das mehr ist als reines Insidertum. Gerade wir Museen haben sehr darauf gedrängt (und tun es noch), dass die Ausstellungsorte niederschwellig, Neugier weckend, einladend und angstfrei für eine breite Öffentlichkeit funktionieren. Der schmale Grad zwischen erleichterter Zugänglichkeit und belangloser Unterhaltung muss immer wieder neu verhandelt werden.
(Und dann kommt da noch der dritte Aspekt ihrer heute komplett veränderten Marktfunktion hinzu, aber den lassen wir an dieser Stelle mal außen vor.)
Bei der Diskussion um Dritte Orte geht es aber auch darum, die Museen in ihrer Aufenthaltsqualität zu erweitern, d.h. dass der Besuch einer Ausstellung nur Teil des Besuchs dieses öffentlichen Ortes ist, manchmal vielleicht sogar gar nicht Hauptanlass. Das würde auch die Präsentation der Kunst selbst entlasten von dem Anspruch, immer für jede*n sofort zugänglich zu sein. Sie war und ist immer ein Angebot, die Chance eines produktiven Dialogs – aber ob man sich dem widmen möchte oder das im Moment der Begegnung dann doch zu mühsam ist, muss jeweils individuell entschieden werden.
Interessieren würde mich, was Sie als „Drittes Publikum“ verstehen oder weiterführend gar als „Dritte Lösung“ – und was wären dann die ersten beiden?
Mit herzlichen Grüßen
Roland Nachtigäller
Lieber Herr Nachtigäller,
danke für Ihre engagierte Antwort.
Auch ich sehe das Verhältnis von musealem Raum und aktueller Kunst als nicht mehr zeitgemäß, und kann Ihr Anliegen eines erweiterten Publikumsbegriffs und auch das eines Museum als Aufenthaltsort gut verstehen.
Nur wie? Aktuelle Kunst als exklusiver Diskurs in einem wenig lebendigen Museumskontext geführt langweilt, aktuelle Kunst als Inneneinrichtung eines Erwachsenenspielplatzes wird banal.
In Herrn Eidingers Kunstansatz kann ich beispielsweise nicht mehr als eine harmlose Spielart von Kreativität erkennen, ebenso wie ich in vielen zeitgenössischen Werken oftmals nicht mehr als eine Abarbeitung von Diskursen finde.
Ich erlaube mir das einfach mal so in den Raum zu werfen.
Vielleicht ist es eine Durchmischung von Kunst und Unterhaltung, die mir Sorge bereitet, es fehlt mir das sowohl als auch, gute Kunst und gute Unterhaltung, durchaus im selben Gebäude, und damit die Möglichkeit dass etwas drittes entsteht.
Ich bin mir sicher, dass Sie gute Lösungen finden und freue mich, dass es einen solchen Blog gibt, der Fragen wieder öffnen kann.
Herzliche Grüße,
Angelika Zeller
Lieber Roland Nachtigäller, Ihre gedanklichen Ansätze können wir ausgesprochen gut nachvollziehen. Nicht ohne Grund haben wir unserer eigenen Initiative den Namen http://www.museumNEUdenken.de gegeben.
Lieber Herr Dr. Henkel, vielen Dank für Ihre positive Rückmeldung. Ich bin gespannt, zu welchen Ergebnissen Sie dann in Ihrer weiteren Arbeit kommen!