Pop-Pop-Pop-Pocorn – Humor als Stilmittel im Werk von Navid Nuur
Die vielgestaltigen Arbeiten von Navid Nuur zeugen von einem Drang, die Welt um uns herum zu ergründen, sich nicht mit dem Gegebenen zu begnügen, sondern stets mit offenem Blick die skurrilen und zauberhaften Details unseres Alltags auszumachen. Der Künstler scheint sich seine kindliche Neugierde bewahrt zu haben und schafft es, dass auch wir sie in uns wiederentdecken. Seine Konzeptkunst macht Spaß, ist lehrreich, äußerst unterhaltsam und offenbart dabei das Schöne, das uns häufig unmittelbar umgibt.
Quer durch die Ausstellung ist eine Wäscheleine mit zum Teil in schwarzer Farbe getränkter Kleidung gespannt und verweist bereits auf den humorvollen Ansatz, der sich durch Nuurs Schaffen zieht. In unmittelbarer Nachbarschaft hängt die Fotografie „Another window in my studio“, die über die schwarzgefärbten Sachen aufklärt: Ist der Künstler wirklich durch dieses dunkle Loch aus Farbe gestiegen oder handelt es sich hier wohl doch eher um einen komödiantischen Versuch der Täuschung? Etwas weiter präsentiert er die amorphen Formen des Marta-Museums als Kuchen aus Salzteig, der die skulpturale Schönheit des Gebäudes vergegenwärtigt. Dass sich diese auch unmittelbar in Alltagsobjekten und Lebensmitteln offenbart, verdeutlicht „PopP“: Der Entstehungsprozess vom Maiskorn zum Popcorn macht nicht nur Appetit auf den süßen Snack, sondern würdigt ihn auch als ästhetisches Objekt. So aufgereiht im weißen Rahmen kommen die vielfältige Formensprache und verschiedenen Töne zwischen Karamellbraun und Gelb hervorragend zur Geltung.
Zum Glück wird die Ausstellung von der Publikation „TADA – Künstler*in werden im Nullkommanichts“ begleitet. Hier erklärt Navid Nuur Schritt für Schritt nicht nur, was man dafür braucht, sondern auch, wie wir seine Werke selbst entwickeln können. Für ein Alphabet aus Kaugummi benötigen wir zum Beispiel lediglich eine Sorte unserer Wahl – der Künstler empfiehlt etwas Geschmacksneutrales, damit uns nicht schlecht wird –, viel Ausdauer beim Kauen und Zungenfertigkeit.

Kunst als intellektuelles Spiel
Für Navid Nuur ist die konzeptuelle Entwicklung der Idee inhärenter Teil des Kunstwerks, weshalb er immer wieder sein Publikum einlädt, diese an seiner Stelle umzusetzen und das Werk fertigzustellen. Einige der ausgestellten Arbeiten entstehen somit erst im Akt der Ausführung der angegebenen Handlungsanweisung. So zum Beispiel das auf den ersten Blick vollkommen schwarz erscheinende Bild „97-93-95 (from the Eyecodex of the Monochrome)“, das erst durch das Blitzlicht unserer Handykamera als digitales Bild in grüner Musterung erscheint. Das abgelichtete Aluminiumblech ist mit einer blau-braun-schwarzen Emulsion übermalt, wodurch es durch die Absorption bzw. Reflektion des weißen Lichts grünlich wirkt. Spielerisch und mit einem Augenzwinkern macht der Künstler auf ein Phänomen des digitalen Zeitalters aufmerksam. Das digitale Abbild und die kontemplative Erfahrung vor dem Original werden zunehmend gleichwertig behandelt.

Humor als Stilmittel
Hintergründiger Humor und eine gewisse Leichtigkeit einerseits und ein kritischer, offener Blick auf die aktuellen Tendenzen unserer Zeit andererseits prägen die konzeptuelle Praxis Nuurs. Die 3-Kanal-Video-Installation „When doubt turns into destiny“ zeigt den Künstler bei dem Versuch, Außenleuchten mit Bewegungsmeldern in Berliner Hinterhöfen durch ein extrem langsames Vorbeischleichen auszutricksen. Erneut setzt ein Schmunzeln ein, doch gleichzeitig kommt man nicht umhin sein Scheitern im Kontext einer wachsenden Einschränkung individueller Freiheiten zu deuten.
Obwohl sich verschiedene Stilrichtungen wie Dada oder Surrealismus daran abgearbeitet haben, die Kunstbetrachtung von der geradezu sakralen Ernsthaftigkeit zu befreien, gilt es für viele immer noch sie zu verstehen und zu bewundern, aber auf gar keinen Fall dabei zu lachen. Dabei würde eine gewisse Lockerheit manchmal helfen – wir müssen nicht immer alles ergründen und verstehen, sondern können uns auch noch als Erwachsene in kindliches Staunen versetzen lassen.
So zum Beispiel auch über die Welt, die der Künstler aus den weggeworfenen Überbleibseln unseres Alltags neu erschafft und die wir durch einen Türspion erblicken, sobald wir die Werkstattlampe anknipsen. „Ich suche in meinem Alltag intuitiv nach Resten […]. Wenn sie persönliche und ästhetische Qualitäten besitzen, die ich weiter ausarbeiten oder befördern kann, verwandle ich sie in Objekte“, schreibt er über „These are the days“, 2004-2020. Die Überführung von Alltagsobjekten in Kunstwerke knüpft an Marcel Duchamp und seine „Ready-mades“ an. Heute wie damals ruft diese lapidare Geste noch immer Unverständnis bei manchen hervor. Als spielerische Skepsis verstanden ist sie hingegen eine erfrischende Alternative zu unserem sonst so vernunftorientierten Denken.
Humor als Haltung
Wie Duchamp geht es auch Navid Nuur in der Kunst um geistige Freiheit. Assoziationen und der Kontext spielen eine wichtige Rolle. Eine humorvolle Einstellung fördert eine Loslösung vom vermeintlich Endgültigen und die Bereitschaft, Dinge mal aus ganz anderer Perspektive zu betrachten. Humor darf hier jedoch nicht als Ironie, Zynismus oder Komik missverstanden werden, sondern sollte eher als irrationale, unbewusste Lebenshaltung gedeutet werden. Er ist nicht Teil des Kunstwerks, sondern ein begleitendes Moment, der eine menschliche Haltung, also auch den Humor selbst, enttarnt. Dann wirken die Arbeiten auch außerhalb der Aura und gedämpften Flüsteratmosphäre des Museums – im eigenen Regal, zu Hause. Lasst uns Popcorn machen und bewundern!