Raumatmosphären – Prof. Georg Augustin bei „Stadt und Vision“
Wieder ein Architekturgespräch im Marta, das einen neuen Blick auf den Umgang mit Raum und Stadt eröffnete: Prof. Georg Augustin (augustinundfrankarchitekten, Berlin) sprach über die Atmosphäre von Räumen als Ergebnis von Raumerfahrung.
Er veranschaulichte die Entwicklung und Bedingungen von Raumatmosphäre in der Architektur anhand eigener Projekte. Sein Büro realisiert Wohnbauten, Umbauten, öffentliche Gebäude wie Schulen und Bauten, die gleichzeitig zum Wohnen und Arbeiten genutzt werden können. Einzelne dieser Bauprojekte, eigene Erfahrungen und entwickelte Methoden stellte Augustin in seinem Kurzvortrag bei „Stadt und Vision – Herforder Architekturgespräche 20“ am 23.9.2017 unter dem Titel „Die Stadt im Haus“ vor. Darunter sind die Wechselwirkungen zu verstehen, die sich zwischen der Wahrnehmung von Stadt und Gebäuden oder Räumen in Gebäuden ergeben.
Unverhoffte Raumgestaltungen
Eines der vorgestellten Beispiele war der Vorschlag des Büros für den Ideenwettbewerb „Urban Living“ in Berlin, eine zu einem Wohngebäude transformierte Parkgarage, bei dem „neue Formen für das zukunftsfähige Wohnen in der gemischten Stadt“ gesucht werden. Dabei wurden laut Augustin durch die Strukturen des Parkhauses, die erhalten bleiben sollten, sozusagen unverhofft Lösungen für Raumgestaltungen gefunden, an die man vorher so nicht gedacht hätte. Unkonventionell klingt die Idee, Ein- und Zweifamilienhäuser auf den Fahrbahnrampen und ehemaligen Stellplätzen zu platzieren, ein „in seiner Einfachheit sowohl nachhaltiger wie auch radikaler“ Entwurf, wie die Berliner Zeitung vom 6.3.2014 feststellte.

Stadt und Land
Ein anderes Projekt ist das „Haus OS“, ein Privathaus, das seit 1910 Nutzungen als Lager, Scheune, Markthalle, Fabrik, Wohnung, Bürogebäude und dann mit dem Umbau durch augustinundfrankarchitekten die Freilegung von Räumen erfuhr: Entstanden sind ein Raum zum Arbeiten, ein zweiter zum Wohnen; Elemente der Scheune und der Fabrik blieben sichtbar erhalten. Hierbei legte Augustin den Begriff der Raumatmosphäre sowie das Verhältnis von Stadt und Land dar. Wie wirkt das Land in die Stadt? Elemente, die vom Land oder aus der Natur kommen – wie die Reste einer Scheune – können in einer Architektur oft besondere Identifikationsmomente bilden.
Räume sehen, lesen und erfahren
Beim Gebäude für das Institut für Physik der Humboldt-Universität in Berlin-Adlershof, einem Gefüge von überwiegend Laboren, Büros und Fluren, bezeichnete Augustin die Erweiterung des Raumprogramms um die Außenräume als eine der wichtigsten Ideen: Mit dem Gegensatz der im Vergleich zu den Innenräumen relativ großen Außenräume, der fünf Höfe, konnte dem Haus eine besondere Charakteristik, eine Identität gegeben werden. Bedeutend ist dabei die Art und Weise der Verbindung von Innen und Außen. Mehrere „Schichten“ dienen der Abgrenzung von Räumen. Einzelne, sich wiederholende Elemente, die in verschiedenen Raumkontexten Beziehungsgruppen bilden, schaffen eine Vielfalt von Situationen. Beim „Erwandern“ der Räumlichkeiten erinnert man sich an diese in unterschiedlichen Zusammenhängen erkennbaren gleichen Elemente und zieht Vergleiche – dadurch kann man die Räume sehen, lesen und erfahren, so der Architekt.
Raumatmosphäre durch Wiederkehrendes und Verdichtungen
Beeindruckend ebenso der „Betonquader“ für die Künstlerin Katharina Grosse, der auf eine ehemalige Militärschneiderei in Berlin-Moabit aufgesetzt wurde. Augustin schilderte, dass mit wenigen Elementen im Innenraum, der aus Wohn- und Arbeitsbereich besteht, vielfältige Raumsituationen geschaffen und damit unterschiedliche Lesarten gewonnen wurden. Statt eines Flures ist ein abwechslungsreicher Rundgang durch das Haus angelegt, der Verdichtungen oder spezielle Ausblicke hervorbringt, erzeugt durch den Einsatz wiederkehrender simpler Elemente sowie von Farben, Lichteinblicken oder Fenstern, die mit der Wirkung eines gerahmten Bildes eine Aussicht in die Umgebung bieten.
Nicht zuletzt gefiel mir Georg Augustins Bemerkung über „unnütze Räume“, deren Existenz er in einer guten Architektur für wichtig hält: Räume, oder Zwischenräume, die keine Funktion erfüllen – oder vielleicht auch fehlgeplant sind – die man nicht braucht, aber gerne nutzt, weil sie zu einer „kompakteren“ Wahrnehmung eines Gebäudes beitragen sowie auch eine Offenheit für ganz verschiedene Verwendungsmöglichkeiten bieten.
Interview
Georg Augustin, der 1986 mit Ute Frank das gemeinsame Büro in Berlin gründete, beantwortete mir im Anschluss an seinen Vortrag einige Fragen:
Welches Gebäude hätten Sie gerne selbst entworfen?
Die Frage interpretiere ich als eine nach meinen persönlichen Referenzen in der Architektur – meine Lieblingshäuser. Keines davon hätte ich selbst entwerfen können, denn ich habe ja von ihnen gelernt.
Welches Projekt würden Sie als Ihr persönliches Meisterstück bezeichnen?
Mein bestes ist immer ein temporäres Projekt, weil es das zuletzt entworfene und realisierte ist. Folglich gibt es im Moment keines, es ist in der Planung und wird erst gebaut. Wenn es fertig ist und ich weiterbauen kann, wird es wohl in der Zukunft auf meiner persönlichen Rankingliste von etwas Neuem abgelöst werden.
Wenn Sie vor 15 Jahren das Marta Herford hätten planen können, wie würde es aussehen?
Wenn ich vor 15 Jahren das Marta Herford hätte planen können, hätte ich Frank Gehry die Planung überlassen, er hat es gut gemacht. Hätte ich heute die Chance dazu, würde ich allerdings gern die Museumsräume in die Hohlräume zwischen den Innen- und Außenfassaden hinein erweitern.
Wieviel Experiment braucht Architektur?
Das Experiment in der Architektur würde ich nach Vitruv in drei Hinsichten betrachten. Die „firmitas“, die technische Hinsicht, gibt in der Architektur naturgemäß wenig Anlass zum Experiment. Zur „utilitas“, dem Aspekt des Gebrauchs, ist heute vieles in Bewegung, da sind besonders auch die Architekten gefragt. Mit der „venustas“ sind wir beim ästhetischen Experiment angelangt, unter dem die Architektur auch alle vorher schon genannten Experimentierfelder in ihrem Kerngeschäft zusammenfasst. Meine Erfahrung ist, dass jedes Projekt ohnehin mit experimentellen Anteilen arbeiten muss, ob bewusst oder nicht. Je höher der Anteil an neuen Sichtweisen, Interpretationen und Konstellationen ist, der bewusst in die Projekte einfließt, desto besser wird das Ergebnis.
Wie würden Sie das Verhältnis von Innen und Außen in der Architektur beschreiben, und wie in dem Zusammenhang auch das von Stadt und Natur?
Für das Verhältnis von Innen und Außen gibt es keine bessere Beschreibung als die „destruction of the box“ von Frank Lloyd Wright. Anstatt über den Zusammenhang von Stadt und Natur würde ich dann lieber über den Zusammenhang von Stadt und Land sprechen und damit über die Erkenntnisse, die wir durch Analysen des „Brutalismus“ gewinnen können.