Schatten auf der Seele – Ein Gespräch mit der Telefonseelsorge Bielefeld
Die Ausstellung „Im Licht der Nacht“ berührt unter anderem Folgen der heutigen 24-Stunden-Gesellschaft wie Überlastung oder Schlaflosigkeit. Doch wer hilft, wenn nachts die negativen Gedanken kreisen und sich Schatten auf die Seele legen?
Besonders in der dunklen Hälfte des Tages, wenn die Einsamkeit an Raum gewinnt, tut es vielen gut, ihre Sorgen zu teilen. Die sorgfältig ausgebildeten Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge Bielefeld hören zu und helfen den Anrufenden dabei, die nächsten kleinen Schritte zu überlegen. Dieses Angebot für Menschen in Lebenskrisen und belastenden Situationen wird von der evangelischen und katholischen Kirche gemeinsam getragen.
Zusammen mit ihrem Team haben Miriam von Brachel und Ulrich Geschwinder, stellvertretende Leitung der Telefonseelsorge Bielefeld, die aktuelle Nacht-Ausstellung besucht. Was für Parallelen sie zu ihrer Aufgabe ziehen können und ob die Telefonate nachts anders sind als bei Tage, haben die beiden in einem Gespräch verraten.
Sind die Gespräche mit den Anrufenden nachts anders als bei Tage?
Ja, die Gedanken der Anrufenden sind häufig der Grund, warum sie nicht schlafen. Oft sind sie grundsätzlicher Natur und es dreht sich nicht um ein separates Problem. Das prägt die Gespräche, die dadurch besonders dicht und persönlich sind. Themen in der Nacht sind besonders häufig: Einsamkeit, Sinn des Lebens und Sucht. Die Haltung der Telefonseelsorge ist in der Nacht tendenziell aber eher „zuzudecken“ als „aufzudecken“. Auch für die Telefonseelsorger*innen ist die Nacht eine besondere, vom Alltag losgelöste Zeit. Sie haben mehr Zeit und Ruhe, sind fokussierter und fühlen sich den Anrufenden näher. Ein Bild für die Nacht könnte so ein Mantel sein, der die Telefonseelsorger*innen und Anrufenden gemeinsam umhüllt.
Warum erscheinen uns die Sorgen nachts schlimmer?
Die Sorgen können nachts eine Eigendynamik entwickeln. Es gibt viel weniger Ablenkung und das „Ich kann nicht schlafen“ lässt die Sorgen eher wachsen und absolut erscheinen. Am Morgen sieht die Welt dann schon wieder neu und anders aus! Und natürlich fehlen nachts die Gesprächspartner*innen, die zuhören und so etwas von der Last nehmen können.
Sie haben mit Ihrem Team das Museum Marta besucht. Wo sehen Sie Parallelen zwischen Ihrem Engagement und der Ausstellung „Im Licht der Nacht“?
Die Ausstellung lässt Stimmungen der Nacht lebendig werden, die uns als Telefonseelsorge in den Anrufenden begegnen wie die Stille der Nacht, Einsamkeit, Dämonen der Nacht, aber auch die eigene Erschöpfung nach einer Nachtschicht. Einigen Ehrenamtlichen fiel aber auch auf, dass sie in der Ausstellung das „Tröstende der Nacht“ vermisst haben, das die Dichterin Mascha Kaleko sehr schön eingefangen hat: „Die Nacht, in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond.“
Die Telefonseelsorge ist 24 Stunden am Tag besetzt. Was sind ihre Tricks, um während der Nachtschicht wach und aufmerksam zu bleiben?
Zuerst einmal ist sicher auf Seiten der Telefonseelsorge eine Spannung da, die hilft, wach zu bleiben. Manchen gelingt es „vorzuschlafen“, andere bleiben wach in der Vorfreude auf das Bett. Dann ist es auch möglich, in einer Pause einige Zeit zu schlafen, um wieder fit zu sein. Manchmal ist es natürlich auch gut, einen Kaffee zu trinken oder etwas zu essen. Den einen hilft es, überall Licht zu machen, anderen ist es schummerig lieber, vielleicht sogar nur bei einer Kerze. So hat jede*r seine eigenen Rituale. Manche Ehrenamtliche übernehmen sehr gerne Nachtschichten und tun dies dann einmal im Monat.
Wie lässt man die Sorgen anderer am Ende der Schicht dort und nimmt sie nicht mit nach Hause? Gibt es Rituale für das Schichtende?
Bei Schichtende findet eine Übergabe an die nächste Telefonseelsorgerin, bzw. den nächsten Telefonseelsorger statt. Diese dient zum einen der Entlastung und zum anderen der Einordnung von Anrufenden, die sich morgens noch einmal melden. Ein Ritual ist auch, Stichworte zu vernichten, die sich die Ehrenamtlichen in der Nacht gemacht haben. Manche schließen die Nacht aber auch mit einem Gebet ab, einige zünden dazu in einer Kirche eine Kerze an oder aber sie freuen sich einfach auf das Frühstück, mit dem die Familie sie zuhause empfängt.
Wichtige Hinweise:
Die Telefonseelsorge ist gebührenfrei erreichbar unter der bundeseinheitlichen Rufnummer 0800 / 111 0111 oder 0800 / 111 0 222.
Für diesen wichtigen Dienst werden jederzeit neue Ehrenamtliche gesucht!
Wer mehr über die Arbeit der Telefonseelsorge erfahren möchte, ist herzlich eingeladen zum Gesprächsabend „Schatten auf der Seele“, der im Rahmen von Marta 22 am 05.02.20 um 19:00 Uhr direkt in der Ausstellung „Im Licht der Nacht“ stattfindet.