Sex sells! Oder was darf Museumsmarketing?
Dürfen wir als Museum nackte Brüste und Schambehaarung auf einem Ausstellungsplakat zeigen? Im Marta-Team haben wir gemeinsam mit den Grafikern über diese Frage sehr lange debattiert und uns bewusst für ein solches Motiv entschieden – die Reaktionen aus der Öffentlichkeit sind zwiegespalten.
In diesem Blog-Beitrag möchte ich die Werbemaßnahme zur Retrospektive über Mark Dion und die von außen an uns herangetragenen Grenzen von Kommunikation über Kunst reflektieren. Nicht zuletzt möchte ich auch dem Vorwurf des Sexismus aktiv und auf unserem Marta-Blog entgegen treten.
Chronologie der Ereignisse: Als wir uns im September letzten Jahres zusammengesetzt hatten, um die Leitmotive für die Ausstellungen Paarweise – Neue Werke in der Sammlung Marta und Mark Dion – Widerspenstige Wildnis auszusuchen, waren wir in einem Team von mehreren Frauen, Ausstellungsmacherinnen, Mitarbeiterinnen der Öffentlichkeitsarbeit, und zwei Männern, darunter auch unser Künstlerischer Direktor. Nach vielen Diskussionen und einem „unaufgeregten“ Motiv zweier Becher von Gavin Turk für „Paarweise“, haben wir zu guter Letzt als Verstärkung der Fraktion „Pro-Pin-Up“ auch unsere Geschäftsführerin Helga Franzen um Rat gebeten, ob dieses Motiv etwas Anstößiges haben könnte, was sie verneinte.
Im Anschluss mussten wir noch bei dem amerikanischen Künstler – und seiner Ehefrau – Überzeugungsarbeit leisten, was angesichts einer anderen, kulturell bedingten Auffassung von Nacktheit in den USA nicht ganz leicht und dennoch letztendlich erfolgreich war. In der Diskussion habe ich bemerkt, dass es für den Urheber einen Unterschied ausmacht, ob er Playboy-Poster als Teil des Werks präsentiert, was für ihn überhaupt kein Problem darstellt, oder aber ein solcher Ausschnitt aus seinem Werk zu einem Plakatmotiv avanciert. Last, but not least konnten wir einstimmig und mit einem guten Bauchgefühl das visuelle Leitmotiv bei den Grafikern in Auftrag geben.
In der Marketing-Sprache wird das Leitbild auch als „Key Visual“ bezeichnet – man darf diesen Begriff durchaus wörtlich übersetzen, denn das Motiv soll vor allem ein bildlicher Schlüssel zu der Wahrnehmung möglicher Museumsbesucher sein. Es sollte daher einerseits Aufmerksamkeit erzeugen, aber auch in einem inneren Zusammenhang mit der Schau stehen – zumeist handelt es sich daher um Bilder der zu zeigenden Exponate. Bei „Mark Dion“ war dies auch der Fall: Wir wählten ein Detail aus einem „wilden“ Ensemble aus, das der Besucher nur zu Gesicht bekommt, wenn er einen Hochsitz erklimmt und einen Blick ins Innere erhascht.
Hier erwartet ihn eine „Bude“ voller Jagdtrophäen, leerer Schnapspullen, Pin-Up-Bildern, einem Dartspiel und vielem mehr, was der Künstler gesammelt und für die Retrospektive zusammengetragen hatte. Für die museumspädagogische Abteilung entwarfen wir zusätzlich eine etwas verspieltere Version mit einem Bison aus der Ausstellung, damit auch in Schulen und Kindergärten die Chance besteht, dass das Plakat zur Ausstellung gehängt würde.
Ich war ehrlich gesagt überrascht bis schockiert als wir von offizieller Seite kritisiert wurden – Stichwort „Gleichstellung“. Immerhin wurde bei den vergangenen Marta-Ausstellungen eine Ziege von Bjarne Melgaard in einen Latexanzug gequetscht, Marina Abramović performte nackt und umgeben von ihren SchülerInnen auf der Marta-Baustelle, Klaus Wittkamp stellte deutliche Sex-Szenen dar, Sergey Bratkov inszenierte Frauen als verführerische Sekretärinnen in Dessous etc.: Diese Bespiele aus der Marta-Vergangenheit dürften meiner Ansicht nach doch mehr irritiert haben – aber einzig Melgaards Werk wurde tatsächlich auch zensiert und kritisiert. Dagegen kam mir das Plakatmotiv zu Dion fast schon bieder vor.
Die uns entgegen gebrachte Kritik besteht jedoch weniger darin, dass der Künstler in seiner Lodge alte Playboy-Plakate aus den 1960er/ 70er Jahren ausstellte, sondern dass durch den Akt der Plakatierung die Frau (von damals oder heute bleibt offen) zum Freiwild degradiert werde. Ich habe nach dieser moralischen Anklage verstärkt den Kontakt zum Besucherservice gesucht sowie in Feldstudien Menschen vor dem Banner beobachtet: Sehr viele Autofahrer oder Passanten hielten kurz an, teilweise sogar um ein Foto dieses Banners zu machen. Es wurden auch viele Plakate verkauft – tatsächlich gab es aber auch eine Person, die sehr ausfallend wurde. Hierauf fragte unsere Marta-Mitarbeiterin an der Info-Theke trocken zurück, ob ihr denn ein nackter Mann lieber gewesen sei. Außerdem las ich einen Eintrag im Gästebuch, dass Marta sich schämen sollte nach den Terroranschlägen von Paris eine nackte Frau auf dem Banner zu zeigen. Die Argumentation habe ich überhaupt nicht verstanden und dennoch war ich wirklich erstaunt, dass BesucherInnen von Marta derart verquer denken können.
Unsere Hamburger Gestalter vom büro für mitteilungen haben uns versichert, dass selbst bei 200-prozentiger Vergrößerung „nichts“ zu sehen sei – das Playboy-Plakat zeigt nicht die Vagina der Frau, sondern lediglich eine dunkle Anhäufung von dichtem Haarwerk, auch die Brustwarzen sind eher schemenhaft abgebildet. Diese Tatsache schien aber irrelevant zu sein. Denn Tage nach dieser aufgeregten Frau und einem freundlichen, erklärenden Brief an die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, folgte ein weiteres Schreiben, das auch an den Bürgermeister gegangen ist. Der Vorwurf des Kreis-Verbunds der Gleichstellungsbeauftragten: Sexismus!
Kurz danach habe ich ein Plakat für Sportlernahrung für den Aufbau von Muskelmasse gesehen: Die Grafiker/ Marketingverantwortlichen verfolgten offensichtlich auch das Konzept „Sex sells“ – allerdings ohne inhaltlichen Zusammenhang. Das Muskel-Instant-Pulver wird wohl nicht von dem Großteil der Frauen konsumiert werden, sondern eben von Männern, die dann vielleicht auf eben jene attraktive Frau durch mehr Muskeln anziehender wirken wollen. Dort wird die abgebildete Frau tatsächlich ebenso zum „Freiwild“, wie das Playboy-Bunny während der Aufnahme 1979 durch den männlichen Fotografen und durch das Lesen des männlichen Publikums – aber als Marta-Key Visual wird sie zur Reproduktion von Kunst und zum Verweis auf eine gesellschaftskritische Installation – und regt offensichtlich als Plakat mehr zum kritischen Nachdenken über das Geschlechterverhältnis an als das Original!
Mein Fazit: Was in der Kunst und auch im Wirtschafts-Marketing längst ein alter Hut ist, trifft im Museum auf widerspenstige BesucherInnen – oder: Ist also die kritische Abbildung von Sexismus auch noch Sexismus?
Fußnoten:
Nach Fertigstellung des Artikels bin ich mit meiner Kollegin Nelly Birgmeier über die Identität des Playmates gestolpert: Durch die Signatur auf dem Playboy-Plakat als „Uschi Urban“ sowie der vorbildlichen Datierung des Playboys als „Miss October“ am linken oberen Bildrand und Google landeten wir einen „Volltreffer“. Nicht nur war sie mit zarten 18 Jahren überhaupt das erste deutsche Playmate in der amerikanischen Ausgabe, vielmehr hatte Ursula Buchfellner kurz vor der Ausstellungseröffnung ihre Autobiografie publiziert. Sie beschreibt hierin neben den negativen Folgen auch die große Chance, die sich ihr mit diesem Shooting damals aufgetan hatte – schließlich war sie sogar mit (angezogenen) Burt Reynolds auf dem Playboy-Cover. 1979 sagte sie sogar einen Fototermin mit dem Penthouse für schlappe 80.000 Dollar ab.
Die Marta-Ausstellung von und mit Bjarne Melgaard „Black Low – The Punk Movement was just Hippies with short Hair“ wurde bereits vor der Eröffnung am 5. Mai 2002 geschlossen. Aufgrund von zu expliziten sexuellen und/ oder Gewaltdarstellungen wurde nach 4-wöchiger Schließung und einem kurzzeitig indizierten Katalog des Kerber-Verlags der Zugang für Personen ab 18 Jahren wieder geöffnet. Zwischenzeitlich wurde „Ruinen einer Ausstellung“ gezeigt, bei der die zensierten Werke in schwarze Folie gehüllt waren.
7 Replies to “Sex sells! Oder was darf Museumsmarketing?”
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Hallo Frau Niesel,
Danke für den Einblick in die Überlegungen des Museumsmarketings und die Rückmeldungen der Besucher. Würden Sie ihr Fazit noch etwas ausweiten? Würden Sie ein ähnliches Motiv künftig meiden? Oder ein potenziell anstößiges Motiv in einen Pre-Test schicken? Haben Sie als Museum die eigenen Besucher und ihre Haltungen/Werte falsch eingeschätzt oder sind die negativen Rückmeldungen vielmehr alleinstehende Einzelmeinungen?
Beste Grüße
Rebecca Baasch
Hallo Frau Baasch,
herzlichen Dank für Ihre Nachfragen. Aus meiner Perspektive würde ich keinesfalls grundsätzlich ein derartiges Motiv meiden, wenn es inhaltlich passt und die Ausstellungsmacher sowie Künstler mit der Verwendung einverstanden sind. Schauen Sie sich auch z.B. unser neues Key Visual von „Brutal schön – Gewalt und Gegenwartsdesign“ an, das provoziert auch, nur eben auf eine andere Art.
Der Großteil der Reaktionen war aber positiv, um die Gewichtung noch einmal zu betonen. Einen Pre-Test wie Sie ihn nennen findet meines Erachtens ja im Prozess der Findung statt, indem man im Team umher geht, unterschiedliche Abteilungen anspricht und sozusagen den Motiven einen „Realitäts-Check“ unterzieht. Ich hoffe, dass ich Ihnen noch etwas weitergehende Einblicke vermitteln konnte.
Mit besten Grüßen aus dem verschneiten Marta!
Sarah Niesel
Die neue Verklemmtheit ist ein Baby der ‚Politischen Korrektheit‘. Das eine ist so putzig wie das andere.
Hhhm Jetzt weiß ich endlich, was ich schreiben soll:
Hallo Frau Niesel…wenn das Plakat, Sie, Frau Niesel darstellen würde, speziell für eine neue Ausstellung, wäre das dann ok? Sex sells, oder? Nicht gemalt, nicht in Pappkarton gemeißelt, kein Akt einer Künstlerin,sonder in Playboy-Manie geknipst. Nein, das wäre nicht prüde..darum geht es mir nicht, sondern schlicht: Hat jemand die Frau gefragt, die da den Sex sellt?… Und Sie würden Sie gerne? *provoziert 🙂
Lieber Mikel Bauer,
der Playboy hat (leider?) noch nicht angefragt – Penthouse im Übrigen auch nicht – die Praline auch nicht 😉 Hugh Heffner hat mich ebenfalls noch nicht als Mitbewohnerin mit Puschelschwanz eingeladen. Ansonsten bin ich aber ganz zufrieden mit meinem Leben 😀
Doch Spaß beseite: Grundsätzlich finde ich es persönlich sehr spannend direkt an künstlerischen Prozessen teilzunehmen und auch Teil eines Werks zu sein.
Mit besten Grüßen aus dem Marta!
Sarah Niesel
Ich persönlich finde, dass ein Museum, oder eher gesagt Kunst, alles darf. Kunst muss manchmal weh tun und so verhält es sich auch bei diesem Thema rund um den Sex.