„Spieglein, Spieglein an der Wand…“
Wer kennt sie nicht, die unheilschwangeren Worte, die Schneewittchens böse Stiefmutter dem allwissenden Spiegel stellt?
Und wer würde nicht auch gerne die betörende Antwort hören: Du bist die/der Schönste im ganzen Land! Mit dem Thema Spiegel befasst sich die Arbeit von Claudia Wieser in der aktuellen Ausstellung „Ausbruch aus der Fläche – Das Origami-Prinzip in der Kunst“. Die gefaltete Spiegelfläche ihres Werkes lädt den Betrachter ein, die eigene Wahrnehmung im Ausstellungsraum anders zu erleben.
Seit seiner Erfindung verweist der Spiegel den Menschen an sich selbst zurück, antwortet auf unbequeme Fragen und wurde so im Laufe der Zeit zum schillernden Sinnbild für tiefgreifende Fiktionen.
Die Tür zum Wunderland
Im Barock-Zeitalter galt der Spiegel als ein Symbol der Vergänglichkeit. Lewis Carroll ermöglicht Alice durch ihn den Zutritt ins Wunderland. Der Volksglaube verbindet auch heute noch mit dem zerbrochenen Spiegel sieben Jahre Unglück. Und last but not least sollen ja Vampire bekanntlich kein Spiegelbild haben, gehören sie doch einer dunklen seelenlosen Spezies zwischen den Welten an.
Zwiesprache mit dem eigenen Ich
Vor der Spiegelarbeit von Claudia Wieser reagieren die Besucher*innen im Marta derzeit ganz unterschiedlich. Manche fühlen sich angesprochen und angezogen. Andere betrachten den gefalteten Raum, in dem die Exponate veränderte räumliche Beziehungen zueinander eingehen. Manchmal kommt es auch vor, dass ein*e Besucher*in vor dem eigenen Spiegelbild zurückschreckt. Diese Spiegelarbeit berührt unmittelbar. Der Ausspruch von Adolph Menzel scheint zum Greifen nah: „Ein Spiegel ist besser als tausend Ahnenbilder.“
Dieses Kunstwerk thematisiert die Kommunikation des Menschen mit dem Raum und mit sich selbst. Dieses Zurückgeworfensein ist an sich kein neues Gefühl. Der Mensch erfährt es bisweilen in der Erhabenheit der Natur. Es ist dieses zwiespältige Gefühl, wenn man am Meeresufer oder vor einem gewaltigen Bergmassiv steht und sich gleichzeitig klein (beinahe bedeutungslos) und dennoch gut aufgehoben fühlt.
Erhabenheit am Wasserfall von Marta
Wenn ich im flachen OWL dieses große Gefühl nachempfinden möchte, stelle ich mich auf die Marta-Plaza vor den Wasserfall der Gehry-Architektur, der mir genau dieses Gefühl spiegelt. Dann bin ich einmal mehr grenzenlos erstaunt, was Kunst vermag.
Kommunikation mit Kunst, Kommunikation mit uns selbst und Kommunikation mit anderen: Das ist, wozu Kunst bewegt, wozu wir im Marta unsere Besucher*innen immer wieder gerne und aufs Neue inspirieren. Um es in Gedenken an Stephen Hawking zu sagen: „Die größten menschlichen Errungenschaften sind durch Kommunikation zustande gekommen – die schlimmsten Fehler, weil nicht miteinander geredet wurde.“