Studie über Kunstbetrachtung im Marta
Was ist Kunst? Was löst sie in uns aus? Und in welchem Zusammenhang steht der emotionale Input zum Kunstverständnis? In seiner Abschlussarbeit an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe geht Lars Albert der Frage nach, ob man Kunst verstehen muss um sie zu genießen. Die Studie dafür hat er im Marta Herford durchgeführt.
Die Kommunikation zwischen dem Rezipienten und dem Kunstwerk beginnt ab der Wahrnehmung durch das Auge der Betrachtenden. Dies kann mit einer Aktion verglichen werden, die durch das Auge gestartet wird und alle anderen Sinne zugleich anspricht. So kann die Künstlerin oder der Künstler allein durch den Bildinhalt beispielsweise Geräusche oder auch Geschmäcker in uns hervorrufen. Dabei besteht ein Kunstwerk aus drei essenziellen Faktoren, die in Interaktion miteinander Kunst schaffen: Dem*der Künstler*in, der Welt und aus den Mitteln der Gestaltung.
Kunstverständnis und Kunstbetrachtung
Wie oben bereits erläutert, beginnt die Kommunikation zwischen einem Kunstwerk und den Rezipierenden mit der Betrachtung. Was Rezipient*innen an Emotionen im Werk erkannt und wahrgenommen haben, hängt vom Individuum ab. Der*die Rezipient*in steht selbst in der Verantwortung sich immer weiter mit dem Thema Kunst auseinanderzusetzen, um die Zeichen im Kunstwerk erkennen, decodieren und somit deuten zu können.
Ein Beispiel dafür ist ein Bild, auf dem eine Frau mit Schild und Waage abgebildet ist. Für Rezipierende, die über das benötigte historische Wissen verfügen, wird klar, dass hierbei der Aspekt der Gerechtigkeit eine tragende Rolle spielt. Für jene, die nicht auf dieses Wissen zurückgreifen können, bleibt es lediglich eine Frau mit Schwert und Waage in der Hand.
Körperhaltung und Kunstbetrachtung
Das stetige Lernen spielt für das Kunstverständnis und die Möglichkeit, Kunst zu decodieren eine signifikante Rolle. In welchem Verhältnis steht aber das Verständnis zum Genießen eines Kunstwerkes? Und kann man es als ansprechend und schön empfinden, wenn die eigentliche Intention dahinter nicht erkannt wird?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, habe ich mit elf Proband*innen, die einen unterschiedlichen Bezug zur Kunst haben, die Ausstellung „Haltung und Fall – Die Welt im Taumel“ besucht. Dabei habe ich sie sechs Kunstwerke betrachten lassen und anschließend Fragen zu den Werken, aber auch über ihre Definition und das Verständnis von Kunst gestellt. Da mich neben den Antworten ebenfalls interessiert hat, wie sich die Körpersprache bei den Rezipient*innen verändert und in wie weit beziehungsweise ob die Körpersprache zu den getroffenen Aussagen passt, wurden während der Kunstbetrachtung Fotos gemacht.
Ungeachtet des Bildungsgrades, dem Bezug zur Kunst oder der Möglichkeit, diese überhaupt verstehen zu können, war Kunst für alle Befragten etwas, das emotional berühren muss. Das Kunstwerk muss etwas erzählen, etwas in einem auslösen und faszinieren können. Unterschiedlicher waren hingegen die Antworten zu den einzelnen Kunstwerken, beziehungsweise viel mehr die Art der Antwort. Es war festzustellen: Je mehr sich ein*e Proband*in mit der Thematik Kunst beschäftigt, desto gefestigter und ausführlicher waren die Antworten. Die Vorgehensweise war schematischer als bei Proband*innen, die sich gar nicht mit Kunst befassen oder denjenigen, die auf Grundlage ihrer kognitiven Einschränkungen die Kunstwerke nur als Fläche, Form und Farben wahrnehmen konnten.
Im Anschluss wurde allen Fragen zu dem Kunstwerk gestellt, das für sie als subjektiv Schönstes empfunden wurde. Die Proband*innen begründeten ihre Entscheidung mit den Emotionen und der von ihnen erdachten Intention des Werkes. Dabei war festzustellen, dass nur zwei Betrachtende die Intention des Künstlers oder der Künstlerin zum Teil oder ganz verstanden haben. Das waren zugleich auch die Proband*innen, die sich nach eigenen Angaben viel mit dem Thema Kunst auseinandersetzen.
Obwohl der Großteil die Kunstwerke nicht decodieren konnte und somit keine Intention herausgefunden hat, wurden die Werke dennoch auf emotionaler Ebene in der Art wahrgenommen, wie es der Künstler oder die Künstlerin zum Ausdruck bringen wollte. Dies geht nicht nur aus den getroffenen Aussagen hervor, sondern auch die jeweilige Körpersprache deutete auf die emotionale Lage hin, die beschrieben worden ist. Dabei muss erwähnt werden, dass diese nie mit Genauigkeit analysiert werden kann. Dennoch ließen sich Parallelen zwischen der Körperhaltung bei der Kunstbetrachtung und den getroffenen Aussagen in den Interviews erkennen.
Zusammenfassung
Kunst ist ein komplexes Thema und ihre individuelle Wahrnehmung lässt sich nicht eindeutig definieren. Dennoch gibt es Inhalte, die Künstler*innen in ihren Werken in Form von Zeichen einbringen und die von Betrachtenden „gelesen“ werden können. Das Lesen und Deuten dieser Zeichen bedarf eines umfangreichen Wissens. Dieses Wissen wird nicht benötigt, um ein Kunstwerk genießen zu können, es hilft allerdings dabei, es besser zu verstehen und somit neue Facetten erkennen zu können, die das emotionale Gefühl beeinflussen.
Für mich hat diese Studie die Erkenntnis gebracht, dass es egal ist, ob man ein Kunstwerk versteht oder nicht. Es kommt darauf an, was der eigene Anspruch an Kunst ist. Soll Kunst etwas sein, dass man sich anschauen kann, das ein gewisses Gefühl vermittelt und das subjektiv für schön empfunden wird oder will man Kunst verstehen, um sich gegebenenfalls darüber austauschen zu können? Was nicht bedeutet, dass es im zweiten Fall keinen Platz für Emotionen in der Kunst gibt. Vielleicht ist es teilweise gut, Kunst nicht zu verstehen, da es wie in einem Bild von Rorschach kein Richtig oder Falsch geben kann. Schlussendlich können wir so nur die Intention oder das Gefühl wahrnehmen, welches wir uns wünschen beziehungsweise brauchen.
Hinweise zum Autor:
Lars Albert hat vor kurzem sein Bachelorstudium „Medienproduktion“ an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe abgeschlossen. Dieser Text ist ein Auszug aus seiner Abschlussarbeit mit dem Titel „Kunstrezeption: Kongruenz zwischen Verstehen und Genießen“, für die er Besucher*innen in einer Marta-Ausstellung (fotografisch) begleitet hat. Die dazu entstandene Fotoserie ist hier auf seiner Website veröffentlicht.
2 Replies to “Studie über Kunstbetrachtung im Marta”
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Danke Lars Albert für Ihre Studie, man merkt ihr an, dass Sie wirklich ein Interesse an der Frage haben. Meine Erfahrung ist, dass es entscheidend ist, wie gut oder ob es überhaupt ein Kunstwerk ist. Es gibt schlechte Kunst, die von nicht mit Kunst vertrauten Rezipienten als interessant oder gelungen empfunden werden kann, doch gute Kunst kann in der Regel für alle Rezipienten etwas erfahrbar machen, aus verschiedenen Blickwinkeln und Zugangsweisen natürlich, inklusive Ablehnung.
Hej Angelika,
Danke. Sie haben vollkommen recht. Die Thematik ist so facettenreich und spannend, weswegen es auch viel als gemacht hat mich in meiner Arbeit damit zu befassen.
An dieser Stelle auch nochmal ein Dankeschön an das Marta für die Unterstützung und die Möglichkeit für diesen Blogeintrag.